
Coronavirus jetzt auch offiziell auf höchster Alarmstufe
20.03.2020
Aktualisiert: 20.03.2020, veröffentlicht: 11.03.2020
Schwedens offizielle Gesundheitsbehörde Folkhälsomyndigheten (FHM) genießt nach wie vor relativ hohes Ansehen in der Öffentlichkeit. Dies ist zumindest meine eigene Einschätzung angesichts aufgeschnappter Stimmen in der schwedischen Presse seitens der Bevölkerung und Teilen der Akademie. Zu den Aufgaben der FHM gehört unter anderem, „die Gesellschaft vor Gesundheitsrisiken zu schützen”. Dabei hat die FHM das Primat der Deutung akuter Gesundheitsrisiken, auch im aktuellen Fall des Coronavirus.
Die in Schweden historisch bedingte Loyalität zur behördlichen Obrigkeit bedeutet auch, dass die abwartende Grundhaltung der obersten Gesundheitsbehörde bei der Corona-Epidemie bislang nur zögerliche Veränderungen im schwedischen Alltag herbeigeführt hat.
Zwar wird verstärkt die Nutzung des Homeoffice empfohlen. Für Grundschulen, Kindergärten, Spielplätze, Schwimmbäder, viele Trainingsanlagen in Sporthallen und auf Sportplätzen usw. gelten aber bei Berufung auf die FHM kaum konsequente und einheitliche Verhaltensregeln und Restriktionen. Dies wird sich allerdings notgedrungen ändern, wenn auch wahrscheinlich reichlich spät.
Explosion der Viruserkrankungen
Noch in der vorletzten Woche trat die FHM in diesem Zusammenhang nicht gerade aufgeregt auf und ermöglichte unter anderem auch die Durchführung des schwedischen Finales für den Eurovision Song Contest vor schätzungsweise 35.000 Personen. Hinzu kamen gutbesuchte Generalproben. Kurz zuvor prognostizierte die FHM sogar ein genaues Datum für den Hochpunkt der Infektionskurve – genauer gesagt, bereits kurz nach Rückkehr der schwedischen Skiläufer aus den Winterschulferien in Südtirol.
Es kam aber alles anders als gedacht. Noch in meinem letzten Artikel an dieser Stelle vom 6. März hatten sich lediglich 100 Personen mit dem Virus infiziert. Innerhalb von wenigen Tagen schoss die Anzahl von Corona-Infektionen derartig in die Höhe, dass die FHM am 11. März das Coronavirus in die höchste Alarmstufe von allgemeiner Ansteckungsgefahr einreihte (500 registrierte Ansteckungsfälle am 11. März, am 19. März schon knapp 1.500).
Maßnahmen der Regierung mit breitem politischen Konsens
Es ist nicht auszuschließen, dass die reichlich späte Verschärfung der Alarmeinschätzung durch die oberste Gesundheitsbehörde FHM auf politischen Druck zurückzuführen war. Die verschärfte Alarmeinschätzung erleichtert und/oder ermöglicht jetzt endlich der Regierung und einer Reihe von öffentlichen Institutionen, dem Coronavirus zielbewusster, konkreter und schärfer entgegenzutreten zu können. Erwähnenswert ist auch, dass alle Veranstaltungen mit mehr als 500 Personen unmittelbar und zwingend abgesagt werden müssen. Diese Zahl wird wahrscheinlich noch weiter zurückgenommen werden – wie in vielen Ländern schon geschehen.
Schon jetzt wurde eine Reihe von Maßnahmen eingeführt oder zur Gesetzgebung weitergereicht, siehe auch diese Präsentation von Finanzministerin Magdalena Andersson vor einigen Tagen (auf Schwedisch).
Generell:
- mehr Geld für verschiedene Gesundheitsbehörden
- staatliche Finanzierung von zusätzlichen Diagnose- und Behandlungskosten auf regionaler und kommunaler Ebene
Für Corona-betroffene Unternehmen:
- Kompensation für Arbeitszeitverkürzung statt Entlassung
- Aufschub von betrieblichen Steuer- und Abgabeneinzahlungen
- vorläufige Abschaffung des Karenztages für erkrankte Arbeitnehmer und erhöhtes Krankengeld für Corona-infizierte Personen
- verbesserte Darlehensmöglichkeiten für den staatlichen/regionalen Entwicklungspartner Almi und (halb-)staatliche Exportförderungsinstitutionen
Das obengenannte Maßnahmenbündel ist nicht komplett aufgezählt. Insgesamt kann sich das vorgeschlagene Liquiditätspaket bei voller Ausnutzung auf zirka 300 Milliarden Kronen belaufen.
Bereitschaft für weitere Maßnahmen
Zudem hat die Regierung hohe Bereitschaft für weitere Maßnahmen angekündigt, falls später noch mehr zu tun ist, auch finanziell. Die schwedischen Staatsfinanzen sind bekanntlich sehr solide.
Diskutiert wird teilweise noch über das erforderliche Tempo bis zur Durch- oder Einführung der geplanten Maßnahmen und der neuen Gesetze. Es soll ja alles schnell gehen. Für etliche Maßnahmen soll der 1. Mai als Startdatum gelten.
Immerhin scheint die rot-grüne Regierung breiten politischen Konsens mit bürgerlichen Parteien gesucht und bis auf weiteres auch gefunden zu haben. Und damit sind – wie oben zitiert – spürbare Erleichterungen für Corona-betroffene Unternehmen im Gange. Mehr wird wohl vonnöten sein.
Mein persönlicher Eindruck geht auch dahin, dass die schwedischen Unternehmen – generell betrachtet – durchaus verantwortungsvoll mit den Risiken durch das Coronavirus umgehen. Ein weiterer Lichtblick ist wohl auch, dass die oberste Gesundheitsbehörde FHM nun bei realistischeren Einschätzungen angelangt ist. Der große und einigermaßen beruhigende Wurf ist jedoch noch nicht gelungen.
Schwedische Rezession rückt näher
Die späte Kriseneinsicht der offiziellen Epidemie-Experten hat leider die rasante Ausbreitung des Virus begünstigt, wobei leider noch kein Wendepunkt abzusehen ist. Damit wird es zu weiteren Revisionen nach unten für die BIP-Prognosen im Jahr 2020 kommen. Zuletzt sprach die Regierung von einem um 0,3 Prozenteinheiten abgeschwächten BIP-Wachstum, was mir von Beginn an sehr optimistisch erschien.
Inzwischen ist sogar das Rezessionsrisiko stark angestiegen – wie übrigens auch in Deutschland. Wahrscheinlich wird sich eine deutliche Rezession schon jetzt nicht mehr vermeiden lassen. Die Dauer der mutmaßlichen Rezession verbleibt weiterhin ungewiss und ist direkt von der Bekämpfung des Coronavirus abhängig.
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