Blaue Wand, Schatten von Menschen und der Text "Wirtschaftliche Einschätzungen zum Coronavirus. Prof. Hubert Fromlet kommentiert für die Deutsch-Schwedische Handelskammer"

Schweden: Coronavirus zwischen Theorie und Praxis

06.03.2020

Momentan fällt es noch sehr schwer, sich ein genaueres Bild über die direkten und indirekten Auswirkungen des Coronavirus zu machen – in Schweden genau wie in Deutschland und den meisten anderen Ländern in Europa. Hier kommt ein Versuch, die momentane Stimmung und Lage in Schweden mit der Unterscheidung zwischen dem offiziellen Schweden, dem Unternehmenssektor und den privaten Haushalten zu erfassen.

Die Statistik zeigt, dass sich in Schweden mittlerweile etwa 100 Personen mit dem Virus infiziert haben, offensichtlich in erster Linie durch Reisen nach Italien bzw. den Kontakt zu Reisenden. Betrachtet man diese Zahl in Relation zu den 10 Millionen Einwohnern des Landes, kann dies einerseits beruhigen. Andererseits kann es aber auch zu einer groben Unterschätzung der Risiken führen. Hamstereinkäufe in Supermärkten und Apotheken sind mittlerweile auch in Schweden gang und gäbe.

Man kommt von dem Eindruck nicht los, dass der schon länger bestehende strukturelle Mangel an Krankenhausbetten teilweise eine gewisse situationsbedingte Gelassenheit von offizieller Seite untermauert. Derartige Engpässe lassen sich nur langsam beheben. Regierung und Reichsbank halten sich noch mit nennenswerten negativen Signalen zurück. Bei Berücksichtigung des vielzitierten schwarzen Schwans muss das nicht unbedingt falsch sein. Allerdings kann man die wegen der Auswirkungen des Coronavirus geschätzten BIP-Wachstumseinbußen des Finanzministeriums im Jahr 2020 von 0,3 Prozent schon als recht optimistisch bezeichnen.

Auch beim Wendepunkt der Coronakrise variieren die Prognosen erheblich, teilweise wohl auf eine große Zahl von nicht registrierten Infektionen zurückzuführen. Hierbei spielen Aussagen von medizinisch und virologisch weniger kundigen Ökonomen eine ziemlich unrühmliche Rolle. Ökonomen sollten ihre Fachgebiete nicht verlassen.

Mehr Bewegung im offiziellen Krisenmanagement

Obwohl zuletzt mehr Bewegung in konkrete Pläne und Maßnahmen gekommen ist, lässt das offizielle Krisenmanagement insgesamt noch einiges zu wünschen übrig – weniger im schon seit langem und strukturell überforderten institutionellen Gesundheitswesen als vielmehr in der Regierung und im Parlament. Zumindest hat man seitens der Regierung eingesehen, dass schleunigst mehr vorbeugende Aktivitäten auf den Weg gebracht werden müssen.

Beispielsweise arbeitet man inzwischen energisch an einer revidierten und mehr an das Virus angepassten Gesetzesvorlage für Teilzeitarbeit, die auch verkürzte Arbeitszeiten für einzelne Unternehmen und Branchen ermöglichen soll. Dies war bislang nur bei extremer makroökonomischer Gefährdungslage möglich. Meines Erachtens gehen schwedische Unternehmen verantwortungsvoll mit dem Coronavirus um.

Weiterhin wird lebhaft diskutiert, in welcher Form eine expansivere Finanzpolitik zum Zuge kommen kann. Primär mit an das Virus angepassten Maßnahmen oder eher mit generellen wachstumsfördernden Maßnahmen, beispielsweise über Kommunen, Infrastruktur und andere öffentliche Investitionen? Persönlich halte ich im Falle des Coronavirus mehr von segmentausgerichteten Förderungsmaßnahmen als von generell stimulierender Wirtschaftspolitik.

Reichsbank verantwortlich für Liquidität und Kreditversorgung

Die Haltung der Reichsbank ist derzeit noch abwartend. Dies ist auch angebracht, da die US-Notenbank schon längst bei Leitzinsen ein Stück über null angekommen war. Die jüngste Zinssenkung in den USA hatte wohl auch innenpolitisch bedingte Konjunkturgründe.

Konjunkturell würde eine schwedische Zinssenkung wohl keine nennenswerten Wachstumsimpulse geben. Dies schließt aber eine leichte Zinssenkung in näherer Zukunft nicht aus, vor allem nicht, wenn sich die Europäische Zentralbank für einen derartigen Schritt entschließen sollte.

Für die Reichsbank sollte es zukünftig in erster Linie darum gehen, Schweden als Land und besonders durch die Auswirkungen des Virus geschwächte Unternehmen im Extremfall mit erforderlicher Liquidität und eventuell auch mit selektiver Kreditversorgung unterstützen zu können. Daran arbeitet man. Dies sollte im Ernstfall bei gründlicher Vorbereitung auch kein allzu großes Problem sein. 

Kontakt

Hubert Fromlet

Affiliierter Professor an der schwedischen Linné-Universität und Senior Advisor der Deutsch-Schwedischen Handelskammer

Kontakt
Wir nehmen Anfragen ausschließlich von Unternehmen und Organisationen an.
Durch das Absenden des Formulars verarbeitet die Deutsch-Schwedische Handelskammer Ihre persönlichen Daten. Datenschutzerklärung | Deutsch-Schwedische Handelskammer
Diese Frage dient dazu, zu testen, ob Sie ein menschlicher Besucher sind oder nicht, und um automatisierte Spam-Übermittlungen zu verhindern.

* Pflichtfeld