Prof. Hubert Fromlet kommentiert für die Deutsch-Schwedische Handelskammer

Schwedischer Arbeitsmarkt an vorderster Front

14.10.2020

Die Lage am Arbeitsmarkt ist Gesprächsthema Nummer eins in Schweden – noch vor Corona. Unser Senior Advisor Prof. Hubert Fromlet beleuchtet die Bereiche, die besonders heiß diskutiert werden.

Die Herausforderungen, die mit Covid-19 einhergehen, bleiben selbstverständlich ein Dauerthema in der schwedischen Gesellschaft, zumal die Entwicklung der Neuinfektionen in den letzten Wochen wieder deutlich in die falsche Richtung gezeigt hat – auch im Vergleich zu Deutschland (siehe hierzu den gleitenden 7-Tage-Durchschnitt für Neuinfektionen in Schweden und Deutschland des European Centre for Disease Prevention and Control).

Gesprächsthema Nummer eins scheint dennoch die Lage am Arbeitsmarkt zu sein. Hierbei rücken drei Bereiche in den Vordergrund: die statistische Entwicklung der Arbeitslosigkeit, die von der Politik angestrebten Reformregeln für den Kündigungsschutz und die kommenden Tarifrunden.

Kaum Entwarnung am Arbeitsmarkt 

Die Entwicklung am schwedischen Arbeitsmarkt sieht nach wie vor düster aus und entspricht keineswegs dem Anspruch einer arbeitnehmerfreundlichen Regierung. Aktuell lag die schwedische Arbeitslosenquote im September nach Berechnung der staatlichen Agentur für Arbeit (Arbetsförmedlingen, AF) insgesamt bei nach wie vor hohen 9 Prozent sowie für Jugendliche im Alter von 18 bis 24 Jahren bei 12,8 Prozent. Dabei ist zu beachten, dass sich die Zahlen von AF und das offizielle Ergebnis der zentralen Statistikbehörde (SCB) wegen verschiedener Messverfahren um einiges unterscheiden. Dies zeigt sich auch bei der Ermittlung der Jugendarbeitslosigkeit, die bei SCB wesentlich höher ausgewiesen wird als bei AF.

„Für 2022 wird ein leichter Rückgang der Arbeitslosigkeit prognostiziert. Allerdings scheinen mir derartige Prognosen vor allem wegen Covid-19 auf einem noch unsichereren Fundament als üblich zu ruhen.“

Für 2021 rechnen schwedische Konjunkturexperten mit einem weiteren leichten Anstieg der Arbeitslosigkeit. Erst für 2022 wird ein leichter Rückgang prognostiziert. Allerdings scheinen mir derartige Prognosen vor allem wegen Covid-19 auf einem noch unsichereren Fundament als üblich zu ruhen.

Geplante Lockerung des Kündigungsschutzes

Schweden hat in dieser Legislaturperiode eine rot-grüne Minderheitsregierung, deren Existenz in hohem Maße auf die Einhaltung der mit den Liberalen und der Zentrumspartei ausgehandelten Reformpläne angewiesen ist. Dabei messen die zwei bürgerlichen Kooperationsparteien der im Januar 2019 vereinbarten Lockerung des Kündigungsschutzes (Lagen om anställningsskydd, LAS) ganz besondere Bedeutung zu.

Seit vielen Jahren – seit dem historischen Abkommen von Saltsjöbaden im Jahre 1938 – pflegen nennenswerte Veränderungen am Arbeitsmarkt von den Tarifpartnern ohne Einmischung der Politik ausgehandelt zu werden. So geschah es auch bei den zunächst gescheiterten Verhandlungen über die politisch geplanten Lockerungen des Kündigungsschutzes: Künftig kann bei Kündigungen bei fünf Personen von der Reihenfolge der Einstellung abgesehen werden.

Unklar ist, wie es jetzt weitergehen soll. Die meisten Experten plädieren für eine Rückkehr zum Verhandlungstisch (oder zu digitalen Verhandlungen). Falls dieser Schritt nicht funktioniert und kein konkretes Verhandlungsergebnis erzielt werden kann, blieben der Regierung und den zwei bürgerlichen Unterstützungsparteien nur noch die vereinbarte Zwangslösung, das heißt, die Vorschläge des im Frühjahr 2020 präsentierten Expertengutachtens zu legalisieren.

„Es spukt immer mehr das Gespenst einer für die rot-grüne Koalition unliebsamen Regierungskrise.“

Zudem spukt immer mehr das Gespenst einer für die rot-grüne Koalition unliebsamen Regierungskrise, aber auch eines Risikos stark verschlechterter Beziehungen der schwedischen Gewerkschaften zur Sozialdemokratie.

Tarifverhandlungen gehen bald los

Aufgrund des Ausbruchs der Coronapandemie wurden die ursprünglich für das Frühjahr 2020 vorgesehenen Tarifverhandlungen verschoben und stattdessen die bestehenden Tarife verlängert – vereinzelt bis Oktober und November, aber zumeist bis Ende Dezember dieses Jahres. Lohn- und Gehaltsverhandlungen für 2021 und vielleicht auch für 2022 wurden inzwischen teilweise wieder aufgenommen – oder dies wird bald der Fall sein. Im Fokus steht die Industrie steht mit geplantem Verhandlungsende schon Ende Oktober.

Dabei geht die Deutung der Ausgangsposition für die Tarifverhandlungen bei Arbeitgebern und Arbeitnehmern in der Industrie um einiges auseinander. Von Arbeitgeberseite wurden bereits Andeutungen von einer gewünschten Nullrunde gemacht, während den Arbeitnehmern eine etwa dreiprozentige Lohnforderung zugeschrieben wird.

Für 2021 landet der kommende Tarifvertrag für die Industrie möglicherweise etwas unter zwei Prozent – wie auch von etlichen Kollegen erwartet. Meines Erachtens wird sich der nächste Tarifvertrag auf höchstens zwei Jahre erstrecken, wegen der offensichtlichen Corona- und Konjunkturrisiken vielleicht auch nur auf ein Jahr. Dies bleibt allerdings abzuwarten.

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Hubert Fromlet

Affiliierter Professor an der schwedischen Linné-Universität und Senior Advisor der Deutsch-Schwedischen Handelskammer

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