
Erst im dritten Quartal wissen wir mehr: Schwedens Wirtschaft in Coronazeiten
18.08.2020
Die schwedische Wirtschaft blickt zuversichtlich auf ein besseres drittes Quartal. Aufatmen kann man laut unserem Senior Advisor Prof. Hubert Fromlet deshalb allerdings noch nicht.
Auf den ersten Blick sind die Sommermonate ökonomisch nahezu spurlos an Schweden vorbeigegangen. Wirtschaft und Finanzmärkte sorgten für mehr Optimismus, zusätzlich zur bereits vor den Sommerferien notierten Stimmungswende. Die Anzahl neuer Corona-Todesfälle nahm in den letzten Wochen sichtbar ab – nach zuvor allzu rascher Expansion.
Diese positiveren Zukunftserwartungen reichten schon aus, um die Schwedenkrone endlich wieder auf robustere Gefilde zu lotsen. Allerdings haben wir in der Vergangenheit häufig erfahren müssen, dass sich die schwedische Währung immer wieder plötzlich abschwächte.
Tiefere Analysen sind notwendig
Bislang basiert der Stimmungsumschwung in der schwedischen Wirtschaft in erster Linie auf Hoffnungen und Erwartungen. Harte und aussagefähige statistische Indikatoren existieren bis dato kaum. Vor der Bekanntgabe des vorläufigen BIP für das zweite Quartal dominierte in Schweden deutlich die Meinung, dass der zu erwartende Wachstumseinbruch im zweiten Quartal wegen der viel liberaleren Corona-Öffnungspolitik deutlich schmerzloser ausfallen würde als in vergleichbaren Ländern.
„Schmerzloser” stimmte im Großen und Ganzen, nicht aber der Zusatz „deutlich”. Daher wurde in Schweden mit gewissem Stirnrunzeln vernommen, dass die BIP-Zahlen im Vergleich zum Vorquartal für die strenger abgeschotteten Nachbarn Finnland und Dänemark mit -3,2 und -7,4 Prozent sogar günstiger ausgefallen sind als für Schweden (-8,6 Prozent, mit deutlicher Export- und Konsumschwäche). Für Norwegen liegen noch keine Ergebnisse für das zweite Quartal vor.
Vor allem Finnland sollte man Respekt zollen, auch wenn dort, genau wie in Dänemark, andere Wirtschaftsstrukturen vorliegen. Finnland und Dänemark haben die Pandemie bisher sehr viel erfolgreicher bekämpft als Schweden, speziell was die Anzahl der Todesfälle betrifft. Noch handelt es sich um ein Zwischenergebnis (Stand 14.8.2020; Quelle: Worldometer), das für Schweden gegenwärtig alles andere als günstig aussieht.
Infektionen | Todesfälle | |
Schweden | 84 294 | 5 784 |
Dänemark | 15 483 | 621 |
Norwegen | 9 934 | 261 |
Finnland | 7 720 | 333 |
Noch wissen wir viel zu wenig
Trotz leichter Hoffnungsschimmer bereiten mir drei Faktoren gegenwärtig besonders viel Sorge. Dabei handelt es sich um den weiteren Verlauf von Covid-19, den schwedischen Export und die Entwicklung am Arbeitsmarkt und damit auch des privaten Konsums.
Covid-19
Die Statistik vermag noch immer sehr wenig über zukünftige wirtschaftliche Entwicklungen und Trends aussagen, weder in Schweden noch anderswo. So ziemlich alles hängt vom Verlauf der Coronapandemie ab. Auch Virologen können in diesen Tagen kaum etwas Konkretes über die Situation im Sommer 2021 sagen, Ökonomen und Finanzmärkte überhaupt nichts. Das macht jede Konjunkturprognose für 2021 zu einem Ratespiel.
Internationale Konjunktur
Trotz des zuerst genannten Risikos vermuten viele Konjunkturexperten innerhalb und außerhalb Schwedens eine recht kraftvolle Konjunkturerholung im Laufe der nächsten Quartale. Das wäre gut für die schwedischen Exporte. Aber wie werden sich die instabilen Volkswirtschaften der USA, Chinas, Japans und der meisten EU-Länder in den nächsten Quartalen entwickeln? Zuletzt trugen die stark abgeschwächten schwedischen Exporte beträchtlich zum negativen zweiten BIP-Quartal bei.
Arbeitslosigkeit und privater Konsum
Schon vor Ausbruch der Coronakrise zeigte sich der schwedische Arbeitsmarkt nicht gerade von seiner besten Seite. Inzwischen hat sich die Lage weiter verschlechtert. Finanzministerin Magdalena Andersson spricht von einer besorgniserregenden Verschlechterung am Arbeitsmarkt. Momentan beläuft sich die totale offizielle Arbeitslosigkeit auf nahezu 10 Prozent. Bei Jugendlichen zwischen 15 und 24 Jahren beträgt sie etwa 30 Prozent, mit lediglich Griechenland und Spanien hinter Schweden, während Deutschland die niedrigsten Zahlen zu verzeichnen hat (gemäß Eurostat). Selbstverständlich bleibt der Arbeitsmarkt ein Schlüsselfaktor für den privaten Konsum – sowohl psychologisch als auch faktisch.
Schon jetzt zeichnet sich ab, dass die Entwicklung des BIP im dritten Quartal etwas günstiger aussehen wird als im Vorquartal. Damit ist noch lange kein selbsttragender Aufschwung garantiert. Gleichzeitig sollten wir die Augen vor früher oder später besseren Zeiten nicht verschließen.
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