Eine Collage mit drei Bildern: Eine Mutter und ihr Sohn, der eine schwedische studentmössa trägt, eine Waldlandschaft mit einem Heißluftballon und ein Mann, der gestresst die Hände vor sein Gesicht hält

Foto: Sofia Sabel/Patrik Svedberg/imagebank.sweden.se/Unsplash

Deshalb sind Schweden im Frühsommer so gestresst

11.06.2019

Die Tage werden länger, die Sonne scheint und die Natur blüht – im Mai und Juni kommt der Sommer auch im nördlichen Schweden an. Doch das idyllische Schwedenbild im Frühsommer trügt. Es wirkt paradox, aber wir befinden uns mitten in der Hochphase einer alljährlichen Stressperiode – vergleichbar mit dem Weihnachtsstress.

Es sind all die eigentlich schönen Aktivitäten, die an den warmen Tagen vor den Schulferien anstehen: Urlaubsplanung, Feiertage, Sommerfeste bei der Arbeit, in Vereinen und in der Schule. Weil diese sich allerdings in einem recht kurzen Zeitraum anhäufen, bedeuten sie für viele Schweden nur eines: Stress.

Grund für die vielen Aktivitäten ist unter anderem eine Tradition, die vor allem Eltern von jungen Kindern zittern lässt: avslutningar – ein Begriff, der sämtliche Abschlussfeierlichkeiten zum Schuljahresende beschreibt. Abgeschlossen wird dabei nicht nur das eigentliche Schuljahr in der Schule, sondern auch sämtliche Freizeitaktivitäten der Kinder, bei denen die Sommerpause ansteht.

Für diese Veranstaltungen muss gebacken, stets ein Geschenk für Lehrer und Trainer besorgt und vor allem Zeit gefunden werden. Im Normalfall finden avslutningar nämlich mitten am Tag statt und es wird erwartet, dass die Eltern an diesen Veranstaltungen teilnehmen. Schließlich sind avslutningar ein wichtiger Teil der schwedischen Kindheit und die Eltern wollen ihren Kindern großartige Erlebnisse bieten. Schon bei einem Kind muss viel koordiniert werden.

Zudem stehen Anfang Juni viele Abiturfeiern (studentfester) an, die eine besonders groß gefeierte Variante der avslutningar sind. Hier ist gleich die gesamte Verwandtschaft involviert und fährt schon mal quer durch das Land, um dabei zu sein, wenn die Sprösslinge aus der Schule ins „echte“ Leben entlassen werden.

Alles muss perfekt sein

Für all diese Aktivitäten müssen sich die Schweden frei nehmen. Gleichzeitig müssen bei der Arbeit die letzten großen Projekte beendet werden, da viele Schweden ab Mittsommer in einen mehrwöchigen Urlaub gehen und die Arbeitswelt dann für eine Weile still steht. Termindruck im Büro steht also neben all den Freizeitaktivitäten auf dem Tagesprogramm und vielleicht muss zusätzlich noch die eine oder andere Zimtschnecke für ein Abteilungsmeeting organisiert werden.

Die Erwartungen sind hoch: Alles soll perfekt sein, alles soll besucht werden und alle sollen auch noch Spaß daran haben. Das alles in kurzer Zeit zu planen und zu organisieren wird zu einem Drahtseilakt, der im Volksmund als Mai- und Junistress bekannt ist. Es scheint, als müsse die Sommerperiode bis aufs Letzte ausgenutzt werden.

Priorisierung als Herausforderung

So wird auch das schwedische livspussel – das Lebenspuzzle durcheinandergeworfen. Mit dem Lebenspuzzle wird die Herausforderung beschrieben, alle möglichen Teile des Lebens zu einer guten und ausgewogenen Kombination zusammenzufügen. Zeit für Familie, Arbeit, Hobbies, Fitness und alles andere, was einem wichtig ist, soll in einem Puzzle vereint werden.

Dabei ist die Herausforderung, richtig zu priorisieren. Und das scheint in dieser Stressperiode, in der das Lebenspuzzle wieder neu geordnet werden muss, ein bekanntes Problem zu sein. Immer wieder werden Artikel mit Tipps zur Stressvermeidung veröffentlicht: Es wird geraten zu priorisieren und nur zu ausgewählten Veranstaltungen zu gehen. Aber wie soll man sich entscheiden, wenn alles wie ein „Muss“ erscheint oder wenn die Abschlussfeiern von beiden Kindern gleichzeitig stattfinden?

Ta det lugnt! – Immer mit der Ruhe! Ein Ende ist in Sicht, denn nach dem Frühsommerstress beginnt der richtige Sommer in Schweden – eine Zeit, in der das Land geradezu stillsteht und entspannt. Im Juli ist es nämlich (oftmals) endlich richtig warm und viele Schweden zieht es zu ihren Sommerhäusern auf dem Land, wo auf Stress und Termine verzichtet und der Sommer mit der Familie in vollsten Zügen genossen wird.