Wasser, blauer Himmel und rote und weisse Häuser auf einer Insel im Stockholmer Schärengarten

Foto: Anna Jarmuth

Goodbye Deutschland – hej Sverige!

16.05.2019

Um die 900.000 deutsche Staatsbürger leben laut Statistischem Bundesamt in einem anderen EU-Land, davon rund 29.000 in Schweden. Doch was hat sie eigentlich nach Schweden geführt? Wie verändert ein Umzug in ein anderes Land das eigene Leben und die Sicht auf das Heimatland? Das haben wir einige unserer deutschen Kolleginnen und Kollegen in der Deutsch-Schwedischen Handelskammer gefragt, die schon vor längerer Zeit den Schritt auf die andere Seite der Ostsee gewagt haben.

Was eigentlich nur eine Schwangerschaftsvertretung werden sollte, entwickelte sich zu bislang 16 Jahren in Schweden: „Ich bin in Schweden hängen geblieben. Am Anfang hatte ich einen richtigen Kulturschock und auch kein Wort Schwedisch im Gepäck. Aber obwohl es damals schwierig war, bin ich mittlerweile deutschlanduntauglich“, berichtet Claudia Simonsson (Finanzbuchhaltung).

Bei anderen Kollegen fiel die Entscheidung, das eigene Leben von Deutschland nach Schweden zu verlagern, spontan, zum Beispiel der Liebe wegen. So war es vor 33 Jahren bei Christiane Schreiber (Empfang): „Ich bin vorher nie in Schweden gewesen, habe mich einfach spontan auf das Abenteuer Skandinavien eingelassen und bin dann geblieben.“

Auch Katrin Kraus (Market Entry & Business Development) wusste erst sechs Monate vor dem Umzug, dass es nach Schweden gehen würde. Die Sprache hat sie im Job gelernt, obwohl sie genauso gut auch auf Englisch hätte arbeiten können. Frank Luthardt (Communications, Members & Events) hingegen folgte vor zehn Jahren seiner Schwedenvorliebe, um die Sprache vor Ort zu lernen, und das Leben im hohen Norden hat sich daraufhin nach und nach ergeben.

Wenig Kontakt zur deutschen Community

Unter den rund 29.000 Deutschen in Schweden finden sich besonders viele im Großraum Stockholm. Wer will, kann sich hier also sehr gut untereinander vernetzen und zum Beispiel deutsche Kulturveranstaltungen besuchen. Die befragten Kollegen suchen allerdings eher selten Kontakt zu anderen Deutschen.

Anja Fromm (Löhne & Gehälter) beschreibt es so: „Man landet da schnell in einer Art Blase. Und ist die Blase einmal zu groß, fühlt man sich plötzlich nicht mehr wie in Schweden – dabei hat man sich doch bewusst dafür entschieden, sich aus dem deutschen Leben herauszuhalten, um die Kultur des anderen Landes richtig kennenzulernen.“

„Vielleicht würde man den Kontakt mit Deutschland noch eher suchen, wenn man nicht bei einer halb-deutschen Organisation wie der Deutsch-Schwedischen Handelskammer arbeiten würde“, vermutet Frank.

Der Kontakt zum Heimatland wird oft durch einen regelmäßigen Austausch mit Familie und Freunden gehalten. „Seit ich nicht mehr in Deutschland lebe, habe ich plötzlich auch einen ganz neuen Blickwinkel, wenn ich mir das tagespolitische Geschehen in den deutschen Nachrichten anschaue“, ergänzt Claudia.

Deutsche Brille im schwedischen Arbeitsalltag

Nach einiger Zeit im Ausland – hier zwischen sieben und 33 Jahren – kann man darüber hinaus Unterschiede zwischen den verschiedenen Arbeitskulturen feststellen. In Schweden schätzen alle die flachen Hierarchien. „Alla ska med“ – hierzulande gibt es viele Meetings, bei denen jeder mitdiskutieren kann, bis ein Konsens gefunden wird.

Den Nachteil daran, oder das, was an dieser Vorgehensweise mitunter etwas frustrierend sein kann, beschreibt Katrin so: „Typisch schwedisch ist es, niemals einen klaren Beschluss zu fassen.“ Es kann also mal ein bisschen länger dauern, bis ein Konsens gefunden ist – was aber nicht unbedingt bedeuten muss, dass man bis zur Ausführung auch tatsächlich länger braucht als in Deutschland.

Den Umgang mit den Kollegen empfinden unsere Befragten als weniger formell und freundschaftlicher als in der alten Heimat. „Man sagt offen, wenn etwas gut ist, aber man kann auch genauso gut kritisches Feedback geben und erhalten“, so beschreibt Frank die Vorteile dieser offenen Arbeitsatmosphäre.

Anja betont vor allem die Familienfreundlichkeit der Arbeitgeber in Skandinavien, die im Vergleich zu Deutschland stärker ausgeprägt ist. Zudem ist sich Claudia sicher, dass die Fikapause – sich mit Kaffee und Gebäck mit den Kollegen zusammenzusetzen – eines der schwedischsten Dinge ist, die einem auf der Arbeit begegnen können.

Deutsch, schwedisch, oder europäisch?

Aber selbst der größte Schwedenfan hat irgendwann auch einmal Heimweh und vermisst das eine oder andere aus Deutschland. Bei den Handelskammer-Kollegen zählen dazu spontane Verabredungen ohne lange Vorlaufzeiten, der Bäcker um die Ecke, die gemütliche Kneipenkultur, einzigartige Läden, die kulturelle Vielfalt in Deutschland und natürlich, Familie und Freunde nah bei sich zu haben.

Die Sehnsucht nach typisch deutschem hierarchischem Denken, dem Bestreben, alles schriftlich festzuhalten, und der Tatsache, dass vieles Digitale in Deutschland mit Komplikationen verbunden ist, ist bei den Kollegen hingegen äußerst gering. „Und diese typisch deutschen durchsichtigen Gardinen in Wohnungsfenstern vermisse ich auch überhaupt nicht“, lacht Christiane.

Und wie fühlt man sich nun nach so vielen Jahren in einem anderen Land? Immer noch deutsch oder schon ganz schwedisch? „In Deutschland fühle ich mich eher schwedisch und passe vom Denkmuster her auch nicht mehr ganz rein. In Schweden bleibe ich allerdings immer deutsch, obwohl ich mich an Schweden angepasst habe“, erklärt Katrin. Ähnlich erlebt es Frank: "In Deutschland bin ich ‚der Schwede‘ und in Schweden fühle ich mich oft recht deutsch. Man vergleicht ständig und bemerkt Unterschiede zwischen den Ländern.“

Irgendwie befindet man sich also zwischen zwei Kulturen. „Europäisch“, beschreiben Anja und Claudia dieses Gefühl und für Claudia lautet die Devise: „Einfach das Beste aus beiden Ländern leben und mitnehmen.“