Sechs Personen überqueren eine Straße in Stockholm an einer Fußgängerampel

Foto: Simon Paulin/imagebank.sweden.se

Warum Schweden glücklicher arbeiten

22.10.2018

In Schweden geht man gerne zur Arbeit. Studien zufolge ist das Stresslevel bei Angestellten und Führungskräften hierzulande vergleichsweise niedrig und auch in internationalen Glücksrankings wie dem World Happiness Report belegt das Königreich immer wieder einen der vorderen Plätze. Doch was machen die Skandinavier anders als beispielsweise die Deutschen?

Genau das hat sich auch Maike van den Boom gefragt – DIE Autorin, wenn es um Fragen zum Thema Glück geht. Beinahe zwei Jahre lang reiste sie durch Skandinavien, besuchte Unternehmen verschiedenster Branchen und Größen und lernte eine Arbeitswelt kennen, die glücklicher kaum sein könnte.

Das glückliche Arbeitsleben in Schweden habe seinen Ursprung bereits in der Schule, erklärt die gebürtige Heidelbergerin, die inzwischen in Stockholm lebt. Sie stelle zum Beispiel bei ihrer eigenen Tochter fest, dass das Gemeinschaftsgefühl in schwedischen Schulen stark gefördert werde: „Kinder lernen miteinander umzugehen, Probleme gemeinsam zu lösen und finden in ihren Lehrern enge Vertrauenspersonen.“

Dieses Gefühl von Gemeinschaft, Vertrauen und Integrität mache sich später im Berufsleben wieder bemerkbar, wenn Projekte gemeinschaftlich besprochen und umgesetzt würden. „Kein schwedischer Chef setzt sein eigenes Ziel ohne Absprache mit den Mitarbeitern durch. Alle sollen am gleichen Strang ziehen, denn gemeinsam ist man stärker“, erklärt Maike van den Boom.

Freie Entfaltung und Vertrauen

Nur scheinbar im Widerspruch dazu steht die Tatsache, dass Schweden gleichzeitig auch als eine der individualistischsten Gesellschaften weltweit gilt. Es wird hierzulande großen Wert darauf gelegt, dass sich jeder Mensch, je nach eigenen Interessen und Fähigkeiten, frei entfalten und selbstbestimmt leben kann. „Freiheit ist einer der wichtigsten Treiber für das Glück, aber meiner Meinung nach auch für den Erfolg der schwedischen Wirtschaft. Denn anstatt Menschen in Boxen zu stecken, nutzt man die Einzigartigkeit jedes Einzelnen und damit das Wissen aller. So kann jeder auf seine Weise einen wichtigen Beitrag zum Erfolg des Teams leisten.“

Damit einher geht auch das hohe Maß an Vertrauen und Verständnis, das schwedische Chefs ihren Mitarbeitern entgegenbringen. Man gehe in Schweden selbstverständlich davon aus, dass jeder einzelne Mitarbeiter seine Zeit sinnvoll nutzt und sein Bestes gibt, um die gesteckten Ziele zu erreichen. „Es ist hier kein Problem, wenn die Arbeit eben schon mal um 15 Uhr beendet wird, da das Kind zum Fußball gebracht werden muss“, berichtet Maike van den Boom, die dieses Phänomen auf ihrer Reise nicht nur einmal beobachtet hat.

Dabei wird insgesamt auch nicht weniger gearbeitet, nur schlauer. Denn die Arbeit folgt dem Leben. So nutzten die Menschen die Energie, die sie aus der Arbeit erhalten, für die Familie und andersherum. Deshalb setzten sich viele Eltern am Abend noch einmal an den Computer, wenn die Kinder im Bett sind. Es sei die Flexibilität auf beiden Seiten, die zum Glück und auch zum Engagement der Menschen im Norden beitrage.

Austausch über Privates und Berufliches

Sicherlich ist auch das kleine, aber so typisch schwedische Wörtchen fika ein Teil des Geheimnisses, warum in Schweden so glücklich gearbeitet wird. Denn die fika beschreibt im Unternehmen eine Kaffeepause, die regelmäßig stattfindet und dabei zu einem regen Austausch über Privates und Berufliches einlädt. „Fika ist viel mehr als nur Kaffeetrinken, es ist wohl eher ein Integrationsinstrument“, erklärt Maike van den Boom.

Die informellen Kaffeepausen haben in schwedischen Unternehmen die Funktion, Barrieren aufzubrechen und jedem Einzelnen das Gefühl zu vermitteln, Teil des Ganzen zu sein. Diese Momente des Zusammenseins können unter anderem dazu führen, dass Kollegen im Gespräch ihr eigenes Verhalten erklären, über persönliche Sorgen oder Ängste sprechen und Probleme so möglicherweise gelöst oder gar ganz vermieden werden können.

Sport und Massagen fürs Wohlbefinden

Neben regelmäßigen „Kaffeekränzchen“ für den sozialen Zusammenhalt in der Firma kümmern sich viele schwedische Unternehmen aber auch aktiv um die Gesundheit und das körperliche Wohlergehen der Mitarbeiter. Das fängt bei Obstkörben im Büro an, die die Angestellten mit Vitaminen versorgen, und erstreckt sich über standardmäßig höhenverstellbare Schreibtische bis hin zum obligatorischen Sporttraining für das ganze Team, wie es etwa beim Modeunternehmen Björn Borg wöchentlich einmal stattfindet.

Auch bei Adidas ist man sportlich unterwegs und organisiert beispielsweise wöchentlich zwei Trainingseinheiten für alle schwedischen Angestellten. „Adidas bietet außerdem flexible Arbeitszeiten und die Möglichkeit, bei Bedarf von zu Hause aus zu arbeiten. Wir ermuntern unsere Mitarbeiter, den Job außerhalb der Arbeitszeiten wirklich ‚abzulegen‘ und haben als Unternehmen großes Verständnis für die Bedürfnisse jedes Einzelnen in verschiedenen Lebensphasen“, erklärt Emilia Bylund Rydin, HR-Chefin bei Adidas Schweden.

In einer ganz anderen Branche ist die schwedische Baufirma MTA tätig, aber auch hier hat man den Anspruch, die Arbeit für die Mitarbeiter möglichst angenehm zu gestalten. Daher steht den Angestellten dort beispielsweise das Recht zu, sich eine Pause von der körperlich oft sehr anstrengenden Arbeit zu gönnen und bei einer vom Unternehmen zur Verfügung gestellten Massage Entspannung zu finden.

So kann auch Deutschland glücklicher arbeiten

Gesundheit, Freizeit und Familie spielen in Schweden generell eine sehr große Rolle. „Es ist jedem klar, dass berufliche Ziele nur erreicht werden können, wenn das Umfeld stimmt. Ist das nicht ziemlich logisch?“, wundert sich Maike van den Boom, während sie von ihren Erfahrungen aus der skandinavischen Berufswelt berichtet. „Denn wer nicht lebt, kann auch nicht arbeiten. Und wer gesund und glücklich lebt, schafft in weniger Zeit mehr. Dafür muss man aber über die jeweilige individuelle Lebenssituation Bescheid wissen. Deshalb ist das Arbeitsumfeld hier einfach wesentlich entspannter und persönlicher.“ Es geht in Schweden also nicht immer nur um Zahlen und Erfolge, sondern genauso um das Wohlbefinden und den persönlichen Wert jedes einzelnen Mitarbeiters.

Für die Autorin ist klar, dass Deutschland noch einiges tun muss, um dem glücklichen Arbeitsleben und damit auch einer allgemein größeren Zufriedenheit näher zu kommen. Doch ist sie sich sicher, dass jeder Einzelne bei sich anfangen kann. „Versucht mehr in eure Mitmenschen zu vertrauen, akzeptiert Fehler und seid nicht zu streng mit euch selbst und anderen. Denn wer anderen nichts gönnt, gönnt am Ende sich selbst auch nichts“, gibt sie uns abschließend noch mit auf den Weg.

Save the date: Am 18. Januar 2019 ist Maike van den Boom Rednerin bei einem Frühstücksseminar in der Deutsch-Schwedischen Handelskammer in Stockholm. Dort wird Sie über ihre Forschungsreise zu ihrem neuen Buch („Acht Stunden mehr Glück – Warum die Skandinavier glücklicher arbeiten und was wir von ihnen lernen können“) berichten.