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In Schweden muss man zwischen den Zeilen lesen

30.10.2019

Auch wenn Deutschland und Schweden geografisch nah beieinander liegen, sind die kulturellen Unterschiede zwischen den Ländern mitunter größer als erwartet. Das gilt auch für den Führungsstil: Was als normales Verhalten für einen Chef in Deutschland wahrgenommen wird, kann in Schweden undenkbar sein. Im Rahmen des beliebten Seminars „Deutsches vs. schwedisches Management“, das die Deutsch-Schwedische Handelskammer zusammen mit der schwedischen Führungskräfteorganisation Ledarna und Nordea am vergangenen Freitag in Göteborg veranstaltete, wurden Erfahrungen, Lehren und Anekdoten ausgetauscht.

Als Klaus Jürgen Wiemers, Senior Vice President Original Equipment Sales Nordic Region bei Robert Bosch AB, seine Führungsposition in Schweden antrat, war er sich anfänglich nicht bewusst, dass sein deutscher Führungsstil im neuen Land zu Problemen führen könnte. Fasste er einen Beschluss, informierte er seine Mitarbeiter erst im Nachhinein darüber – genau, wie er es aus Deutschland gewohnt war. Zu seiner Überraschung standen jedoch bald schon seine Mitarbeiter vor ihm und erkundigten sich, warum er sie nicht in den Entscheidungsprozess mit einbezogen hatte.

„Da habe ich verstanden, dass die Erwartungen an eine Führungskraft in den beiden Ländern unterschiedlich sind“, meinte Klaus Jürgen Wiemers. „In Deutschland treffe ich als Chef die Entscheidung und die Mitarbeiter sind dafür zuständig, dass sie auch umgesetzt wird. In Schweden hingegen entscheiden mehrere Spezialisten gemeinsam, letztendlich ist jedoch der Chef für das Ergebnis verantwortlich.“

Als deutscher Manager in Schweden hat Klaus Jürgen Wiemers seine Erfahrungen gemeinsam mit Cecilia Bergendahl, Geschäftsführerin bei Novamedia Sverige AB und früher Führungskraft bei Duni Group, Standard & Poor’s und Polygon Group in Deutschland, sowie den Managementcoaches Ninni Löwgren Tischer, Bereichsleiterin Market Entry & Business Development bei der Deutsch-Schwedischen Handelskammer, und Peter Berg von Ledarna diskutiert. Die Podiumsdiskussion wurde von der deutsch-schwedischen Journalistin Karin Bock-Häggmark moderiert.

Auf der Spitze der Pyramide in Deutschland

Cecilia Bergendahls Erfahrungen, wie es ist, Chefin in Deutschland zu sein, decken sich mit den Erlebnissen von Klaus Jürgen Wiemers.

„Als schwedische Führungskraft in Deutschland thront man auf der Spitze einer Pyramide, was das Gegenteil der schwedischen Unternehmenskultur ist“, erzählte sie. „In deutschen Unternehmen gibt es eine klare Hierarchie, an der man nicht vorbeikommt. Gleichzeitig ist es dank der Hierarchie und der formellen Aspekte wie Pünktlichkeit und Ordnung sehr viel einfacher zu verstehen, wer Entscheidungen trifft und wann diese getroffen werden.“

Laut Peter Berg unterscheidet sich außerdem der Zweck von Meetings in der deutschen und schwedischen Unternehmenskultur.

„Die Deutschen halten Meetings ab, um Entscheidungen zu treffen. Deshalb bereiten sich alle Teilnehmer auch gewissenhaft auf das Meeting vor“, sagte Peter Berg. „Hingegen haben die Schweden Meetings, um Ideen auszutauschen und Fragen zu diskutieren. Ein Meeting kann beendet werden, ohne dass ein Beschluss gefasst wurde.“

„Alle Teilnehmer eines Meetings in Deutschland wissen genau, wann eine Entscheidung getroffen wird“, ergänzte Klaus Jürgen Wiemers. „Ich habe gelernt, dass Meetings in Schweden weniger strukturiert sind und weniger Punkte auf der Agenda haben. Vor oder während des Meetings, oder sogar im Anschluss, treffen sich die Teilnehmer zur fika, der berühmten schwedischen Kaffeepause. Dann werden die Gespräche fortgesetzt, allerdings oft in unterschiedlichen Konstellationen. Damit geht einher, dass eine Entscheidung häufig außerhalb des eigentlichen Meetings getroffen wird und nicht alle unbedingt dieselben Informationen haben. Anders in Deutschland, wo es keine solche fika gibt und man sich stattdessen einen Kaffe holt, ohne über die Arbeit zu sprechen.“

Kollegen oder Freunde?

Wie viel Privates man mit seinen Kollegen, Mitarbeitern oder dem Chef bzw. der Chefin teilt, unterscheidet sich ebenfalls in den beiden Ländern.

„In Deutschland unterscheidet man zwischen der privaten und der professionellen Rolle“, berichtete Cecilia Bergendahl. „Entweder bin ich Chefin oder Privatperson – die beiden Rollen kann man nicht mischen. Selbst wenn man schon lange zusammengearbeitet hat, redet man nicht darüber, was man am Wochenende gemacht hat. Das gilt auch für den Anstellungsprozess, der sich lediglich auf berufliche Erfahrungen fokussiert und das Privatleben außen vorlässt.“

„In einem dicht bevölkerten Land wie Deutschland gibt es starkes Konkurrenzdenken, das sich auch auf dem Arbeitsmarkt zeigt“, erklärte Ninni Löwgren Tischer. Deshalb ist es für einen Deutschen so unnatürlich, in einem beruflichen Kontext über das Privatleben zu sprechen, was man in Schweden jedoch sehr gern macht. Im Gegenteil: Der Deutsche hat das Gefühl, ständig seine Position legitimieren zu müssen. Und je mehr jemand von mir weiß, desto angreifbarer bin ich.“

Vorbereitung ist das A und O

Die Diskussionsteilnehmer waren sich einig, dass es nicht den einen richtigen Weg gibt, was deutsches vs. schwedisches Management betrifft. Das Wichtigste ist, sich der Unterschiede bewusst zu sein, sich anpassen zu können sowie kompromissbereit zu sein. Das gilt nicht nur für eine Führungskraft im anderen Land, sondern auch für die Beziehung zwischen deutschen und schwedischen Geschäftspartnern. Wie geht man am besten mit einer solchen Situation um?

„Sei gut vorbereitet, bevor du Geschäfte in Deutschland machst oder eine Stelle antrittst“, riet Cecilia Bergendahl. „Tritt lokalen Netzwerken bei und lerne andere Führungskräfte und wichtige Entscheidungsträger kennen. Sei dir bewusst, dass du Konkurrenten begegnen wirst und bereite dich gut darauf vor. Und: Habe immer einen Plan B oder C im Gepäck! Wenn du nicht bereit bist, warte lieber. Ein neuer Versuch nach einer Niederlage kann schwer werden.“

„Als Deutscher in Schweden ist es wichtig, die hierarchischen Strukturen zu verstehen, die nicht ansatzweise so deutlich sind wie in Deutschland“, sagte Klaus Jürgen Wiemers. „Stattdessen muss man lernen, zwischen den Zeilen zu lesen. Sei darauf gefasst, dass die Schweden es lieben, Neues auszuprobieren und manchmal Projekte starten, ohne sie vollständig durchdacht zu haben, ohne Plan und Instruktionen für alle möglichen Szenarien – so wie der Deutsche es gerne hat. Denn genau das ist der Grund, warum schwedische Unternehmen so innovativ sind und schnell und flexibel auf veränderte Bedingungen reagieren können.“

Nach dem Seminar, das in den Räumlichkeiten von Nordea in Göteborg stattfand, lud Nordea die Teilnehmer zum Mittagessen ein. Dabei wurde die Diskussion fortgesetzt, bei der die Teilnehmer sowohl neue Kenntnisse erlangten als auch Erlebtes bestätigt sahen und eigene Erfahrungen miteinander teilten.