Prof. Hubert Fromlet kommentiert für die Deutsch-Schwedische Handelskammer

Nervöse Diskussionen über Schwedens Wirtschaft

07.11.2019

Das schwedische Diskussionsklima bezüglich Konjunktur- und Wirtschaftspolitik wird zunehmend nervöser. Für externe Beobachter scheint es schwierig, mit der Relevanz und Aussagefähigkeit gewisser Analysten und Interessenvertreter richtig umzugehen.

Zunächst fällt auf, dass die Konjunkturskepsis in Schweden in letzter Zeit spürbar zugenommen hat. Das gilt sowohl für die schwedische Zentralbank (Riksbanken) gemäß Protokoll der letzten Sitzung als auch für Schwedens Finanzministerin Magdalena Andersson. Bemerkenswert ist aber vor allem der starke Konjunkturpessimismus der Volkswirte aus der schwedischen Finanzwelt, übrigens auch gegenüber der Entwicklung in Deutschland. Ähnliche Meinungsdiskrepanzen taten sich neulich auch im unabhängigen deutschen Sachverständigenrat der Regierung auf.

Weiterhin sollte schon heute notiert werden, dass das vorläufige BIP-Ergebnis für das dritte Quartal am 29. November publiziert wird. Diese Statistik wird auch von den Märkten mit Spannung erwartet. Vielleicht kommt es dabei wiederum zu einem kleinen Plus. Stagnation dürfte aber wohl eine genauere Interpretation der momentanen Wirtschaftslage sein, auch bei einer BIP-Entwicklung von knapp unter null im dritten Quartal.

PMI schwächelt weiter – heißt nicht unbedingt spürbare Rezession 

Natürlich lässt sich noch nicht sagen, welche Konjunkturposition letzten Endes Recht haben wird. Allerdings stehen die Zeichen in Schweden (noch) nicht auf Alarm – trotz der offensichtlichen Abschwächung wichtiger Konjunkturindikatoren. Dabei zeigt sich die Abschwächung vor allem beim Einkäuferindex (Purchasing Managers' Index, PMI) für die Industrie, dem schnellsten und damit besonders beachteten Konjunkturindikator.

Monat für Monat haben Experten Schwierigkeiten, den PMI richtig zu deuten, obwohl er durch einen einfachen statistischen Diffusionsindex ermittelt wird. Beispielsweise ist 49,6 kaum schlechter als 50,3 einzuschätzen. Werte unter 50 müssen keineswegs eine Rezession widerspiegeln, sondern können lediglich eine geringe Abschwächung im Vergleich zum Vormonat darstellen. Hinter einer solchen Entwicklung können nur wenige Unternehmen stehen. Wenn aber von Monat zu Monat niedrigere Werte zu notieren sind – wie es in Schweden zumindest seit Herbst 2018 der Fall ist – kann man schon von einem negativen Trend sprechen.

Der schwedische PMI vom Oktober 2019 (46,0) liegt somit fast zehn Indexpunkte (55,6) unter dem Wert vom Oktober 2018. Nahe an einer Rezession ist die schwedische Industrie inzwischen schon. Auch Gewinnwarnungen zahlreicher Großunternehmen können auf eine noch nicht ausgestandene Konjunkturabschwächung oder gar Rezession hindeuten.

Wende in der Haushaltspolitik?

Schweden hat seit Anfang der neunziger Jahre die Staatsverschuldung immer weiter vermindert, die im Verhältnis zum BIP in etwa halb so hoch ist wie in Deutschland. Zudem gibt es in Schweden ein konkretes Ziel für die staatliche Haushaltspolitik, d.h. der Budgetsaldo sollte +0,3 Prozent des BIP während eines Konjunkturzyklus nicht unterschreiten. Allerdings liegt keine genaue Definition eines Konjunkturzyklus vor.

Anfang November hat Finanzministerin Magdalena Andersson ihr Interesse an einer „schwarzen Null“ angesprochen, was allerdings vorerst keine Mehrheit im schwedischen Parlament finden dürfte. Finanzpolitisch wäre eine derartige Lockerung zu verkraften – und bei sinnvollen Investitionsanschüben, Steuersenkungen und auch Verbesserungen im Gesundheits- und (Aus-)Bildungswesen durchaus vertretbar. Nur sollte man von solchen Programmen keine allzu schnellen Wachstumserfolge erwarten. Es geht ja schließlich auch um die Qualität erhöhter Staatsausgaben und Investitionspläne. Qualitativ gutes Wachstum wird in fast allen Ländern jedoch noch immer zu lasch angestrebt.

Daher macht es kaum Sinn – wie von gewissen Vertretern der schwedischen Finanzwirtschaft zurzeit eifrig gefordert – wieder zu einer defizitären Finanzpolitik zurückzukehren. Eine derartige Politik soll auch zu einer baldigen Stärkung der Krone führen. Zwar können sich gute Wachstumszahlen hin und wieder positiv auf Währungskurse auswirken, aber eben nur kurzfristig. Eine vernünftig stimulierende Finanz- und Wachstumspolitik dürfte aber kaum zu schnellen Währungserfolgen führen. Dies kann nur über eine strukturell orientierte Wachstumspolitik und eine hieraus resultierende Verbesserung des potenziellen Wachstums erfolgen. Eine expansive Finanzpolitik und nachhaltig stärkere Währungen passen eigentlich überhaupt nicht zusammen.

Lohnverhandlungen nicht vergessen

2020 wird ein bedeutsames Jahr für den schwedischen Arbeitsmarkt. Zunächst sollte daran erinnert werden, dass zu Beginn des nächsten Jahres wichtige Lohn- Gehaltsverhandlungen in der schwedischen Industrie anstehen. Diese Abschlüsse dienen in der Regel als Richtlinie für andere Branchen. Bis zum 31. März sollen diese Verhandlungen durchgeführt worden sein – sicherlich ein optimistisches Unterfangen. Inzwischen haben schon fünf industrielle Gewerkschaftsverbände ihre Lohnsteigerungsansprüche angemeldet: drei Prozent.

Gleichzeitig muss berücksichtigt werden, dass Vertreter der Arbeitgeber von möglichen Lohn- und Gehaltssteigerungen in Höhe des Produktivitätswachstums sprechen (1–1,3 Prozent). Letzten Endes kann man sich heute eher kurzfristige Lohn- und Gehaltsabschlüsse in der Größenordnung von zwei Prozent vorstellen. Bei einer angenommenen Inflationsrate von ungefähr 1,5 Prozent würde dies zu einer relativ schwachen Reallohnentwicklung führen.

Insgesamt sollen im Jahr 2020 Lohn- und Gehaltsverhandlungen für 2,8 Millionen Arbeitnehmer geführt werden. Daher sollten die kommenden schwedischen Tarifrunden genau beobachtet, vorbereitet und analysiert werden.

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Hubert Fromlet

Affiliierter Professor an der schwedischen Linné-Universität und Senior Advisor der Deutsch-Schwedischen Handelskammer

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