
Wie geht es unseren Mitgliedern in der Coronakrise?
Nur wegen einer Krise steht die Wirtschaft noch lange nicht still. Hier teilen unsere Mitglieder ihre Erfahrungen und Erkenntnisse.
Jan Ellringmann, President Region North Europe bei Linde.
Foto: Linde
Auch auf dem Forschungsschiff Polarstern wird Gas von Linde bei aufwendigeren Messungen genutzt.
Foto: Manuel Ernst & Dieter Sturmer
In Kooperation mit Ovako hat Linde den weltweit ersten Versuch durgeführt, bei dem Stahl mit Wasserstoff erhitzt werden kann.
Foto: Linde
Klimafreundliches CO2 für Sprudelmaschinen – ein Beispiel für Lindes Produkte für Endkunden.
Foto: Linde
Seit Januar firmiert das traditionsreiche Unternehmen AGA in den nordischen Ländern und im Baltikum unter dem Namen Linde. Mit diesem Namenswechsel soll die Zugehörigkeit zum globalen Konzern Linde Group auf den lokalen Märkten betont werden. Im Interview mit der Deutsch-Schwedischen Handelskammer berichtet Jan Ellringmann, der das Nordeuropageschäft von Schweden aus leitet, über die Entwicklung des Unternehmens und die Bedeutung der Wasserstoff-Technologie für die Industrie.
Seit Jahresbeginn ist Jan Ellringmann President Region North Europe bei Linde. Zuvor war er bereits bei Linde in Großbritannien tätig. Der Führungswechsel fiel mit der Namensänderung von AGA zu Linde zusammen.
Deutsch-Schwedische Handelskammer: Wie passen Sie das Geschäft an die aktuelle Situation an?
Jan Ellringmann: Covid-19 ist für uns, genau wie für die gesamte Wirtschaft und Gesellschaft, eine Herausforderung. Die Gesundheit und Sicherheit unserer Mitarbeiter und Kunden stehen für uns an erster Stelle. Wir haben in unseren Produktionsanlagen und Büros strenge Hygiene- und Abstandsregeln eingeführt, arbeiten soweit wie möglich im Homeoffice und haben unsere Reisen auf ein geschäftskritisches Minimum reduziert. Gleichzeitig haben wir unsere Kunden im Gesundheitsbereich intensiv unterstützt, indem wir den Zugang zu medizinischem Sauerstoff gesichert und konkrete Hygienerichtlinien, vor allem für den Umgang mit besonders gefährdeten Patienten in der häuslichen Krankenpflege, eingeführt haben. Gleichzeitig gehen wir sorgfältig mit unserer Kostenbasis um, um uns an die aktuellen Umstände anzupassen.
Zu Beginn des Jahres haben Sie sich von dem Unternehmensnamen AGA verabschiedet. Welche Werte möchten Sie durch diese Namensänderung vermitteln?
Seit 2000 sind wir ein Teil des Linde-Konzerns, ein Markenwechsel war der nächste logische Schritt. Die Marke Linde steht, genau wie zuvor AGA, für Innovation, Produktivität und Sicherheit. Außerdem sind Integrität, Inklusion und Vielfalt weiterhin wichtige Eckpfeiler unserer Unternehmenskultur. Diese Werte sind nicht nur schwedische, sondern globale Werte in unserem Konzern – unabhängig davon, ob wir uns in China, den USA oder Europa befinden.
Mit der Namensänderung in Schweden wollen wir verdeutlichen, dass wir Teil einer großen Gruppe sind. Indem wir die technische Kompetenz und Expertise des globalen Konzerns nutzen, können wir lokal in einigen Bereichen stärker werden und dadurch das Angebot für unsere Kunden vervollständigen. In Norwegen haben wir zum Beispiel viel Erfahrung mit Fischfang und Meerestechnik, die auch auf anderen Märkten genutzt werden kann. Wir hoffen, dass wir so auch unsere Attraktivität als Arbeitgeber stärken können, da der heutige Arbeitsmarkt nicht auf ein einzelnes Land begrenzt ist. Wenn wir Talente anziehen möchten, müssen wir auch interessante Entwicklungsmöglichkeiten innerhalb des Konzerns anbieten. Dies funktioniert mit einer globalen Marke wie Linde besser.
Dies bedeutet jedoch nicht, dass die Marke AGA komplett aus Nordeuropa verschwindet. Produkte für den Endkunden, wie etwa Sprudelmaschinen, sowie Flüssiggas und Schweißprodukte für die Industrie, vertreiben wir weiterhin unter der Produktmarke AGA.
Inwiefern es für Linde wichtig, Kompetenzen auszubauen und neue Talente anzuziehen?
Die richtigen Kompetenzen anzuziehen ist für uns, wie für andere Unternehmen auch, entscheidend, besonders, wenn es sich um Digitalisierung und Wasserstoff-Technologie handelt, da diese in der Zukunft immer wichtiger werden. Unsere eigentliche Kernkompetenz wird sich hingegen nicht stark verändern. Es handelt sich eher um ein Mindset: den Ehrgeiz und den Willen zu haben, sich global weiterzuentwickeln. Der Begriff „glocal“ – gleichzeitig lokal und global zu sein – ist ein Spagat, den wir auch an unsere Mitarbeiter weitergeben müssen.
Welche Wachstumsbereiche sehen Sie auf dem schwedischen Markt?
Im Bereich Industriegas sind wir heute in Skandinavien marktführend. Zusammen mit der Stahl- und Fertigungsindustrie können wir unsere Kompetenz weiterhin für das Ziel einer emissionsfreien Produktion einsetzen. Fischzucht, Lebensmittel und Gesundheitswesen sind wichtige Wachstumsbereiche für Linde in Skandinavien, genau wie die Papier- und Zellstoffindustrie, die vom wachsenden Online-Handel profitiert. In Schweden sehen wir darüber hinaus auch Möglichkeiten im Bereich der Batterieherstellung. Wasserstoff ist ein Bereich, den wir zurzeit gemeinsam mit einigen unserer Kunden weiterentwickeln.
Welche Rolle spielt Wasserstoff Ihrer Meinung nach als Treibstoff in der Fahrzeugindustrie in Schweden?
Um die Technologie zu entwickeln, brauchen wir zunächst einen Testmarkt. Wir können keine wasserstoffbetriebenen Autos produzieren, wenn es noch keine Tankstellen gibt, gleichzeitig können wir keine Tankstellen bauen, wenn es noch keine Autos gibt. Das in Deutschland gebildete Konsortium zur Entwicklung einer Wasserstoff-Infrastruktur zielt darauf ab, die Technologie zu testen. In Zukunft kann sie in bestimmten Bereichen eingesetzt werden, in Großbritannien wurde sie beispielsweise schon im Busverkehr getestet. Die Anwendung muss kommerzialisiert werden, bevor sie in großem Umfang eingeführt wird. Dafür ist jedoch ein Akteur erforderlich, der eingreift und den Ausbau subventioniert – wie das Konsortium in Deutschland. Wir können die Entwicklung nur antreiben, wenn auch seitens der Politik Risiken eingegangen werden und der Ausbau der Technologie unterstützt wird. Aber wir investieren definitiv weiter in die Technologie, weshalb wir mit dem britischen ITM Power ein Joint Venture gegründet haben, das sich auf Elektrolyse spezialisiert hat (eine Kernkomponente in der Wasserstoffproduktion, Anm. d. Red.).
„Wenn Wasserstoff als Kraftstoff für Fahrzeuge in Schweden massentauglich wird, werden wir vorne mitspielen.“
Wenn Wasserstoff als Kraftstoff für Fahrzeuge in Schweden massentauglich wird, werden wir vorne mitspielen. Ausgehend von der heutigen Situation, in welcher der Schwerpunkt auf Batterietechnologie gesetzt wird, wird es sich allerdings nicht lohnen, eine zweite Infrastruktur mit Wasserstoff aufzubauen. Andererseits ist die Batterietechnologie beispielsweise nicht für Fähren relevant, dort kann Wasserstoff eine Rolle spielen.
Und wie sieht es mit der Bedeutung von Wasserstoff für die Industrie aus?
Wasserstoff kann die Fertigungsindustrie CO2-effizienter gestalten. Wir testen derzeit gemeinsam mit einigen schwedischen Stahlherstellern, ob die Technologie für die Produktion in großem Maßstab geeignet ist. In diese Anlagen muss stark investiert werden.
Zusammen mit Ovako haben wir einen Versuch durchgeführt, welcher die CO2-Emissionen in der Fertigungsindustrie reduzieren kann: Zum ersten Mal wurde Wasserstoff zum Erhitzen von Stahl in einer vorhandenen Produktionsumgebung verwendet. Der Test war erfolgreich und zeigte, dass es möglich ist, Wasserstoff anzuwenden, ohne die Qualität des Stahls zu beeinträchtigen, und gleichzeitig die CO2-Emissionen stark zu verringern. Die Verwendung von reinem Wasserstoff bei der Verbrennung ist sehr umweltschonend, da nur Wasserdampf erzeugt wird.
Wie arbeiten Sie bei Linde mit Innovation und neuen Geschäftsideen?
Wir setzen langfristig auf unsere Technologiebereiche wie Wasserstoff und Elektrolyse. Aus zentraler Sicht arbeitet Linde mit den lokalen Märkten zusammen. Zum Beispiel sind wir in den nordischen Ländern in der Fischindustrie, beim Kühlen und Einfrieren von Lebensmitteln mit flüssigem Stickstoff sowie in der Verbrennungstechnologie weit voraus. Das zentrale Entwicklungslabor befindet sich am Hauptsitz in München, und wir haben auch ein Labor in den USA. Wenn wir neue Technologien entwickeln, geschieht dies häufig in Workshops mit unseren Kunden und dem Labor in Deutschland.
Einleitend haben Sie auch Sicherheit genannt, wie spiegelt sich Sicherheit bei Linde wider?
Sicherheit hat bei uns oberste Priorität – bei allem, was wir tun. Sie kennzeichnet all unsere Prozesse, sei es innerhalb der IT oder Arbeitsumgebung. Unsere Mitarbeiter sollen gesund nach Hause gehen können. Natürlich ist Automatisierung Teil dieser Arbeit.
Was unternimmt Linde, um negative Auswirkungen auf das Klima zu reduzieren?
Beim Klimaschutz dreht sich viel um Verbraucherverhalten und Politik. Linde ist Teil der Technologielösung.
Wir arbeiten mit Energieeffizienz und erneuerbaren Energien. Linde ist das einzige große Unternehmen, das im Dow Jones Sustainability World Index einen hohen Rang einnimmt. Die Produkte und Lösungen von Linde tragen dazu bei, die CO2-Emissionen um mehr als das Doppelte zu senken, im Vergleich zu dem, was das Geschäft selbst verursacht.
„Solange es jedoch keinen Emissionspreis pro Tonne und keine Grenzwerte für die Automobilindustrie gibt, wird die Entwicklung nur langsam voranschreiten.“
Solange es jedoch keinen Emissionspreis pro Tonne und keine Grenzwerte für die Automobilindustrie gibt, wird die Entwicklung nur langsam voranschreiten. Dies ist ein Thema, mit dem sich Politiker befassen müssen. Ein großes gesellschaftliches Interesse reicht nicht aus.
Wir bieten zum Beispiel klimapositives Kohlendioxid für Sprudelmaschinen an, mit denen man sein eigenes Sprudelwasser herstellen kann. Linde kompensiert 110 Prozent der Emissionen, indem das Unternehmen Bäume pflanzt, die CO2 aus der Atmosphäre binden. Aber schlussendlich steht die Frage, ob der Kunde bereit ist, für ein umweltfreundlicheres Produkt mehr zu zahlen.
Sie sind kürzlich nach Schweden gezogen. Wie erleben Sie die schwedische Geschäftskultur?
Ich wurde mit offenen Armen empfangen. Sicher gibt es kulturelle Unterschiede, zum Beispiel gibt es in Schweden eine höhere Konsenserwartung als in Deutschland. Kultur ist aber nicht alles, wir müssen Lösungen finden, mit denen wir unsere Prozesse verbessern können. Wir haben eine gute Marktposition, ausgezeichnete Expertise und sind ein tolles Team.
Über Linde und AGA