Wasserkraftwerk. Foto: Vattenfall

Foto: Vattenfall

Foto: Sandell Sandberg / H2 Green Steel

Åsa Pettersson / Energiföretagen. Foto: Eric Cronberg

Åsa Pettersson, Geschäftsführerin bei Energiföretagen

Foto: Eric Cronberg

Klimawunder Schweden – decken die Erneuerbaren den Strombedarf?

05.04.2023

Bereits heute werden in Schweden 61 Prozent des Energieverbrauchs des Landes von Erneuerbaren abgedeckt und die Stromerzeugung ist zu fast 100 Prozent frei von fossilen Brennstoffen. Große Investitionen in der Industrie und die Umstellung des Fahrzeugbestands erfordern jedoch sowohl einen Ausbau der Produktion als auch des Stromnetzes. Wie wird Schweden es schaffen, bis 2045 seine Stromversorgung für diesen Kraftakt zu verdoppeln? 

Schweden hat sich zum Ziel gesetzt, seine Nettoemissionen von Treibhausgasen in die Atmosphäre bis 2045 auf null herunterzufahren und danach negative Emissionen zu erreichen. Das bedeutet, dass keine fossilen Brennstoffe verwendet werden dürfen.

Nach Berechnungen der schwedischen Energieagentur wird es jedoch nicht möglich sein, Schwedens Teilziel zu erreichen, dass die Energieintensität – der Energieverbrauch pro BIP-Einheit – im Jahr 2030 um 50 Prozent niedriger sein soll als 2005. Dies ist auf neue stromintensive Industrien und die Umstellung bestehender Industrien zurückzuführen.

Aus einer vom schwedischen Branchenverband Energiföretagen beauftragten Analyse geht hervor, dass sich der Strombedarf Schwedens bis 2045 verdoppeln wird. Bis dahin wird der Bedarf auf 330 Terawattstunden geschätzt, und die Stromleistung in der anspruchsvollsten Stunde wird 49 Gigawatt betragen.

„Dabei geht es nicht nur um die Abkehr der Industrie von fossilen Brennstoffen, sondern auch um neuen zusätzlichen Stromverbrauch durch die verstärkte Verarbeitung von Rohstoffen in Schweden und die Ansiedlung neuer Industrien."

Die schwedische Energieagentur und der schwedische Netzbetreiber Svenska Kraftnät kommt zu ähnlichen Einschätzungen und hat eine Reihe von Initiativen für den Sektor ermittelt. Dabei geht es nicht nur um die Abkehr der Industrie von fossilen Brennstoffen, sondern auch um neuen zusätzlichen Stromverbrauch durch die verstärkte Verarbeitung von Rohstoffen in Schweden und die Ansiedlung neuer Industrien, darunter die Herstellung von Elektrobrennstoffen, Batteriefabriken und neuer Erzabbau. Vor allem aber wird die Herstellung von Wasserstoff durch Elektrolyse nach den Berechnungen der schwedischen Energieagentur den Stromverbrauch erhöhen. Hinzu kommen eine wachsende Bevölkerung und die zunehmende Nutzung von Elektroautos. Der größte Anstieg wird in den nördlichen Teilen des Landes zu verzeichnen sein, als Folge der Elektrifizierung der Eisen- und Stahlindustrie und neuer Batteriefabriken.

Investitionen in Höhe von 89 Milliarden Euro in das Stromnetz erforderlich

Die Deckung des prognostizierten Strombedarfs wird umfangreiche Investitionen erfordern. Der größte Teil der gegenwärtigen Elektrizitätsversorgung wird bis dahin seine technische Lebensdauer erreicht haben. Wenn keine Investitionen oder Reinvestitionen getätigt werden, werden im Jahr 2045 nur noch 40 Terawattstunden der heutigen Jahresproduktion von 170 Terawattstunden zur Verfügung stehen, so Energiföretagen. Für die verfügbare Leistung an einem Wintertag zeigt die Analyse, dass nur 4 Gigawatt im Vergleich zu den heute vorhandenen rund 25 Gigawatt übrigbleiben würden. Auch ohne Elektrifizierung ist es eine große Herausforderung, das heutige Niveau des Stromnetzes im Jahr 2045 aufrechtzuerhalten. Mit anderen Worten: Das bestehende Netz muss ausgebaut und erneuert werden.

Nach Schätzungen von Energiföretagen sind bis 2030 Investitionen in das Stromnetz in Höhe von etwa 35,4 Milliarden Euro und bis 2045 in Höhe von 89 Milliarden Euro erforderlich. Das schwedische Stromnetz ist veraltet, und etwa die Hälfte der 89 Milliarden Euro wird für die Erneuerung und den Ausbau des bestehenden Netzes ausgegeben. Darin enthalten sind bereits bestehende Investitionspläne u. a. von Svenska Kraftnät, der schwedischen Behörde für Stromnetzinfrastruktur, in Höhe von 15 Milliarden Euro.

98 Prozent fossilfreie und erneuerbare Energie heute

Heute machen Wind- und Wasserkraft 60 Prozent der schwedischen Gesamtstromversorgung aus. In den letzten Jahren hat auch die Solarenergie an Bedeutung gewonnen, macht insgesamt aber immer noch einen geringen Anteil an der Gesamtproduktion aus. Auf die Kernenergie entfallen 30 Prozent der schwedischen Stromerzeugung. Darüber hinaus verwendet Schweden nur wenig Gas und keine Kohle für die Erzeugung von Strom. Das bedeutet, dass 98 Prozent der schwedischen Stromerzeugung frei von fossilen Brennstoffen sind. 

Diagramm zur Stromproduktion in Schweden 2022
Stromerzeugung 2022 in Schweden 170 TWh / Quelle: Energiföretagen

 

Energieunternehmen fordern Entschlossenheit und Einigkeit

Wie wird es Schweden gelingen, sowohl die nachhaltige Stromerzeugung zu steigern als auch das Stromnetz in dem von der Gesellschaft geforderten Tempo auszubauen? Åsa Pettersson, Geschäftsführerin von Energiföretagen, ist der Ansicht, dass Schweden die einmalige Chance hat, eine Schlüsselposition zu übernehmen und der Welt zu zeigen, dass ein Wandel möglich ist. Hierfür bedarf es gemeinsamer Anstrengungen:

Åsa Pettersson / Energiföretagen. Foto: Eric Cronberg

„Wir können den Übergang bewältigen, indem wir hier und jetzt Entscheidungen im Hinblick auf die künftige Stromversorgung treffen. Wir brauchen politische und gesellschaftliche Einigkeit und wir brauchen neue Arbeitsweisen. Wir haben eine weitgehend fossilfreie Stromerzeugung. Wir haben auch den Vorteil eines ausgebauten Fernwärmesektors, der das Stromsystem entlastet und auch die Abwärme von neuen Industrien nutzen kann. Darüber hinaus ist der Stromverbrauch dank Energieeffizienzmaßnahmen seit Ende der 1980er Jahre relativ konstant geblieben, obwohl das BIP gestiegen ist. Jetzt gilt es, die Effizienz weiter zu verbessern und gleichzeitig die Stromproduktion zu erhöhen und die Stromnetze auszubauen.

Energiföretagen hat Maßnahmen entwickelt, die Schweden bis 2045 klimaneutral machen sollen und gleichzeitig ein erfolgreiches Industrieland gewährleisten, das mit warmen Häusern, Autos und vernünftigen Stromrechnungen einen guten Wohlstand ermöglicht."

„Die Umstellung unserer Energieerzeugung ist eine Chance. Aber wenn wir diese Chance nutzen wollen, brauchen wir politische Führung und den Mut, die Gesetze und Vorschriften zu überprüfen, die den Übergang behindern."

„Die Umstellung unserer Energieerzeugung ist eine Chance. Aber wenn wir diese Chance nutzen wollen, brauchen wir politische Führung und den Mut, die Gesetze und Vorschriften zu überprüfen, die den Übergang behindern", sagt Åsa Pettersson.

Elektrifizierungsrate bestimmt, wie stark fossile Brennstoffe abnehmen werden

Die schwedische Energieagentur berechnet regelmäßig verschiedene Szenarien für das schwedische Energiesystem. Der jüngste Bericht wurde im März 2023 veröffentlicht und besagt, dass es unabhängig vom Szenario zu großen Veränderungen im Energiesystem kommen wird. Fragen zum Stromsystem werden immer mehr in den Mittelpunkt des Gesamtenergiesystems rücken, in welchem Elektrizität im Jahr 2050 der Hauptenergieträger sein wird. Der Einsatz fossiler Brennstoffe wird bis 2050 deutlich zurückgehen. Der Grad der Elektrifizierung ist ausschlaggebend dafür, wie stark der Einsatz fossiler Brennstoffe zurückgeht. Aber auch Biokraftstoffe werden weiterhin eine wichtige Rolle für die Menge an fossilen Brennstoffen im System spielen.

Nach Angaben der schwedischen Energieagentur hängt der künftige Stromerzeugungsmix in hohem Maße von der gesellschaftlichen Akzeptanz der verschiedenen Energiearten ab. Wie Energiföretagen betont auch die Behörde, dass es wichtig sei, dass die Politik die Verantwortung für die Beseitigung von Hemmnissen übernimmt, zu verschiedenen Zielkonflikten Stellung bezieht und langfristige Spielregeln aufstellt.

„Mit dem Wissen, das wir heute haben, sehen wir nicht, dass eine starke Elektrifizierung ohne gute Bedingungen für alle fossilfreien Stromquellen möglich ist. Gleichzeitig haben wir langfristig große Potenziale, insbesondere bei Onshore-Windkraft, bestehender Atomkraft, Offshore-Windkraft und neuer Atomkraft. Alle diese Stromarten werden in den für unseren Bericht durchgeführten Modellierungen des Energiesystems als langfristig rentabel angesehen“, so die schwedische Energieagentur.

Die schwedische Energieagentur hat einen Regierungsauftrag zur Analyse möglicher Entwicklungspfade für die bestehende und künftige Stromerzeugung, der bis zum 15. Juni 2023 abgeschlossen sein soll. Der Auftrag umfasst einen Vergleich zwischen vollständig erneuerbaren Stromsystemen und Stromsystemen, die auch Atomkraft beinhalten.

Die Klimaabsichten der Regierung sind im Tidö-Abkommen festgehalten, einer Vereinbarung zwischen den Regierungsparteien und den Schwedendemokraten. Gemäß der Vereinbarung werden seit September 2022 35,4 Milliarden Euro für neue Atomkraftwerke garantiert. Vattenfall beginnt bereits mit der Planung neuer AKWs in Ringhals und an anderen Standorten. Darüber hinaus wird die Infrastruktur für Ladestationen ausgebaut und die Energieforschung soll sich darauf konzentrieren, einen effizienten Klimawandel zu ermöglichen, so Sveriges Television.