60 Jahre EU – ein Grund zu feiern?

04.04.2017

Am 25. März wurde auch in Schweden der 60. Geburtstag der heutigen Europäischen Union gefeiert. Doch gibt es überhaupt einen Grund für Feierlichkeiten? Der anstehende Brexit, ein angeschlagener Euro, die Flüchtlingskrise und wachsender Nationalismus – die EU steckt in der tiefsten Krise seit ihrer Gründung.

Den Grundstein für die heutige Europäische Union legte die im Jahr 1950 gegründete Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl mit den sechs Gründungsmitgliedern Belgien, Niederlande, Luxemburg, Frankreich, Italien und West-Deutschland. Mit den Römischen Verträgen entstand 1957 dann die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft (EWG), die das Ziel eines gemeinsamen Marktes verfolgte. Ende der 1980er beziehungsweise Anfang der 90er-Jahre wurde dieser in Form des Europäischen Binnenmarktes umgesetzt, durch den ein weitgehend freier Verkehr von Waren, Dienstleistungen, Personen und Kapital möglich wurde.

Drei Jahre nach der Unterzeichnung des Vertrags von Maastricht, mit dem die EWG zur EU wurde, trat Schweden als flächenmäßig drittgrößtes Land zum 1. Januar 1995 der Union bei. Das Königreich hatte ein Jahr zuvor einen Volksentscheid durchgeführt, bei dem die Bevölkerung mit knappen 52,3 Prozent für einen EU-Beitritt gestimmt hatte.

Was hat der EU-Beitritt in Schweden verändert?

Vor allem für das deutsch-schwedische Wirtschaftsverhältnis haben der Binnenmarkt und die damit abgebauten Handelshemmnisse viele Vorteile mit sich gebracht. Schweden ist als kleines Land abhängig von einem starken Außenhandel und dieser ist seit dem EU-Beitritt 1995 kräftig gewachsen: Vergleicht man die Zahlen von 1995 und 2016 ergibt sich eine Steigerung von 133 Prozent.

Der Handel mit anderen EU-Ländern macht heute einen großen Anteil von Schwedens Ein- und Ausfuhren aus. Rund 60 Prozent der schwedischen Exporte gehen in die EU-Mitgliedsstaaten und etwa 70 Prozent der Importe kommen von dort. An der Spitze der Rangliste steht Deutschland, der mit großem Abstand wichtigste Handelspartner Schwedens.

Schweden profitiert vom EU-Binnenmarkt außerdem beispielsweise dadurch, dass sich die Lebensmittelpreise an das Niveau in anderen europäischen Ländern angepasst haben und somit gesunken sind. Gleichzeitig ist die ausländische Präsenz im schwedischen Nahrungsmittelsektor gewachsen.

Die EU-Mitgliedschaft brachte für Schweden darüber hinaus einige Veränderungen auf dem Arbeitsmarkt mit sich, beispielsweise bezüglich Regelungen zu Tarifverträgen und Beschaffungsrichtlinien. Auch auf das schwedische Steuersystem hatte der EU-Beitritt Auswirkungen, wenn auch nur in geringem Maße.

Aber nicht alle Vereinbarungen und Vorgaben aus Brüssel stoßen in Stockholm auf Begeisterung. Vor allem beim Thema Euro geht Schweden auf absehbare Zeit weiter seinen eigenen Weg als eines der neun EU-Länder mit eigener Währung und eigenständiger Währungs- und Finanzpolitik.

Wie sieht Schwedens Europapolitik aus?

Eine bedeutende Rolle in Schwedens Europapolitik spielen Bemühungen zum Abschluss bilateraler Freihandelsabkommen zwischen der EU und anderen Wirtschaftsräumen sowie zur Beseitigung von globalen Handelshindernissen. Gleichzeitig setzt sich Schweden dafür ein, dass Umwelt- und Gesundheitsvorschriften eingehalten und verschärft sowie Interessen der Arbeitnehmer berücksichtigt werden.

Die schwedische Regierung fordert außerdem, dass andere EU-Staaten mehr Verantwortung für die Aufnahme von Flüchtlingen übernehmen. Schweden hat im Jahr 2015 von allen EU-Mitgliedstaaten pro Kopf die meisten Flüchtlinge aufgenommen und lag nach Prognosen 2016 auf Platz zwei hinter Deutschland.

Wie ist die Stimmung heute in Schweden?

Zum 60. Jahrestag der Unterzeichnung der Römischen Verträge steckt die EU jedoch in der tiefsten Krise in ihrer Geschichte, nicht zuletzt aufgrund des bevorstehenden Austritts Großbritanniens. Mit dem Brexit wird Schweden einen wichtigen Alliierten in der Union verlieren, der ebenfalls nicht an der Währungsunion teilnimmt. Schweden vertritt auch bezüglich Binnenmarkt und Freihandel oft ähnliche Positionen wie die Briten, auf deren Unterstützung man in Brüssel dann künftig verzichten muss.

Die Stimmung unter den Unternehmen leidet ebenfalls unter der aktuellen Situation in Europa und global. Der weltweit zunehmende Protektionismus führt dazu, dass mehr Handelsbarrieren eingeführt als abgebaut werden. Für die Exportnation Schweden stellt der damit bedrohte Freihandel eine Gefahr da.

Wie die EU aus der Krise holen?

Auch wenn die Europäische Union und ihr Wirken im Moment nicht sehr attraktiv erscheinen, sollte man sich vor Augen führen, dass die europäische Einigung maßgeblich dazu beigetragen hat, dass seit mehr als 60 Jahren Frieden auf dem Kontinent herrscht.

Länderübergreifend gibt es nun Bemühungen, das Europa-Gefühl wieder zu stärken. Ein Beispiel hierfür ist die Pulse of Europe-Bewegung, eine überparteiliche und unabhängige Bürgerinitiative, die 2016 in Frankfurt am Main gegründet wurde. Ziel dieser Bewegung ist es, den europäischen Gedanken wieder sichtbar zu machen und den in zahlreichen Ländern im Aufwind befindlichen rechtspopulistischen und nationalistischen Parteien mit einer pro-europäischen Bewegung entgegenzutreten. Am 9. April wird auch in Stockholm eine Kundgebung des Pulse of Europe stattfinden.

Außerdem gibt es derzeit Bestrebungen, künftig jedem EU-Bürger zum 18. Geburtstag ein kostenloses Interrail-Ticket zu schenken. Dies soll einerseits das europäische Bewusstsein stärken und andererseits helfen, Vorurteile abzubauen, indem Jugendliche neue Länder, Menschen und Kulturen kennenlernen. Die Idee wird vom Europaparlament begrüßt.