
Folker Hellmeyer beim Seminar der Deutsch-Schwedischen Handelskammer in Visby
Folker Hellmeyer: Der Brexit ist eine große Chance für die EU
07.07.2016
Ohne Großbritannien gibt es die Chance auf mehr politische Integration in der EU. Der Brexit wird zum Katalysator für eine neue Europäische Union werden. Dies prophezeite Folker Hellmeyer, Chefanalyst der Bremer Landesbank, beim Almedalen-Seminar der Deutsch-Schwedischen Handelskammer am Montag in Visby. Außerdem präsentierte er überraschend positive Zahlen zur wirtschaftlichen Lage in Europa.
„War Großbritannien wirtschaftlich stark, als das Land 1973 der EG beitrat? Nein. Hat man jemals einen Beitrag zur europäischen Integration geleistet? Definitiv nicht. Hat das Land stets Sonderkonditionen für die Mitgliedschaft gefordert? Ja. Für uns, die in der Union bleiben, wird es gut sein, dass sie gehen. Wir werden vermutlich wirtschaftlich davon profitieren, das Finanzzentrum London wird gegenüber Frankfurt, Paris oder Dublin an Bedeutung verlieren und wahrscheinlich wird Großbritannien künftig mehr Geld an die EU zahlen müssen als vorher, ohne die politischen Entscheidungen selbst beeinflussen zu können. Ich kann nicht verstehen, warum so viele sagen, dass Großbritanniens Austritt ein Risiko ist – er ist eine große Chance für die EU“, sagte Folker Hellmeyer.
Britische Regierung verantwortlich
Die Deutsch-Schwedische Handelskammer hatte den freimütigen deutschen Chefanalysten und gefragten Wirtschaftskommentator zur schwedischen Politikerwoche nach Visby auf die Ostseeinsel Gotland eingeladen, wo er den Besuchern des Seminars der Handelskammer einen Überblick über aktuelle Herausforderungen für die EU geben sollte. Nach der britischen Volksabstimmung Ende Juni drehte sich ein großer Teil von Hellmeyers Vortrag um das Thema Brexit.
Er fand dabei deutliche Worte dafür, wer die Verantwortung für die gegenwärtige Situation trage: „Die britische Regierung war nicht auf das Ergebnis der Abstimmung vorbereitet. Das war das am amateurhaftesten durchgeführte politische Manöver in der westlichen Welt seit 1945. Ich habe noch nie ein so niedriges Level an politischer Professionalität erlebt.“
Gute wirtschaftliche Lage in Europa
Folker Hellmeyer glaubt nicht daran, dass andere Länder in nächster Zeit dem britischen Beispiel folgen und die Union ebenfalls verlassen werden – nun da sich die Kehrseiten so deutlich zeigten. Außerdem sieht er den Rest Europas wirtschaftlich auf einem guten Weg:
„Alle Länder der Eurozone und auch Schweden haben ihre Wettbewerbsfähigkeit in den letzten Jahren verbessert. Der Grund dafür ist, dass fast alle erfolgreiche Strukturreformen durchgeführt haben, die es in Großbritannien und den USA beispielsweise nicht gab, und die nun beginnen zu wirken. Wir haben jetzt die niedrigste Arbeitslosigkeit in der EU seit 2011. Während sich die weltwirtschaftliche Dynamik abschwächt, gehen wir in die entgegengesetzte Richtung. Das gibt uns ein wenig Freiraum, den wir nutzen können, um den vielen Menschen zu helfen, die in letzter Zeit zu uns gekommen sind“, schloss Folker Hellmeyer ab.