Vor der Europawahl: Das fordert die deutsch-schwedische Wirtschaft von der Politik auf EU-Ebene

15.05.2019

Welche Art von EU wollen wir eigentlich? Wo sollen die Politiker in Brüssel und Straßburg ihre Schwerpunkte setzen? Bei der Europawahl kommende Woche sind rund 400 Millionen Europäer aufgerufen, über diese Fragen mitzubestimmen. Wir haben einige unserer Mitgliedsunternehmen und Partnerorganisationen aus Deutschland und Schweden gefragt, welche Themen für ihre Unternehmen und Branchen in der nächsten Legislaturperiode besonders wichtig sind. Politiker aufgepasst: Hier kommt die Liste der Forderungen.

Am Ende des Artikels finden Sie eine Zusammenfassung der genannten Themen.

Mats Grundius, CEO, DB Schenker Cluster Sweden, Denmark, Iceland:

In der Transportbranche ist das Thema Nachhaltigkeit wichtig. Erstens müssen wir zu einer Umstellung auf fossilfreie Energiequellen beitragen. Klare und langfristige Spielregeln erleichtern diesen Übergang, Unsicherheit hingegen könnte dazu führen, dass notwendige Investitionen aufgeschoben werden. Zweitens sind uns vernünftige Beschäftigungsbedingungen und Vorschriften für Lkw-Fahrer und Spediteure in der EU wichtig. Und: Es muss kontrolliert werden, ob diese auch eingehalten werden. Es ist wichtig, einen gesunden Wettbewerb zu gewährleisten und das Arbeitskräfteangebot zu sichern. Beides muss auf EU-Ebene koordiniert werden und ich hoffe, dass sich unsere Parlamentarier dafür stark machen.
 

Oskar Ahnfelt, Vice President Public & Regulatory Affairs, Vattenfall AB:

Eine ehrgeizige und wirksame Klimapolitik ist einer der wichtigsten Bausteine in der strategischen Agenda der EU für 2019-24. Die Umsetzung des Pariser Klimaabkommens bringt mit sich, dass die EU ihre Ziele im Klimabereich verschärfen muss, um bis 2050 nettoemissionsfrei zu werden. Das Emissionshandelssystem (EU ETS) sollte weiterentwickelt und gestärkt werden, um den CO2-Ausstoß EU-weit zu reduzieren. Die Bemühungen, die Energiesysteme der Mitgliedsländer noch stärker zu integrieren und sie marktorientiert, vorhersehbar und kosteneffizient zu gestalten, müssen ebenfalls fortgesetzt werden. Damit das funktioniert, brauchen wir stabile Spielregeln, neue sektorenübergreifende Ansätze und die aktive Unterstützung aller EU-Bürger.
 

Ulf Troedsson, CEO, Siemens Nordics:

Für Siemens in Schweden sind insbesondere zwei Themenbereiche wichtig, die die EU in der nächsten Legislaturperiode vorantreiben sollte: Erstens der Ausbau der Infrastruktur, um das Erreichen der Klimaziele zu ermöglichen, beispielsweise durch den Bau von E-Highways für den Schwerlastverkehr. Zweitens die Kompetenz- und Ressourcenentwicklung in den Bereichen Digitalisierung, Elektrifizierung und Künstliche Intelligenz (KI).
 

Per Wassén, CEO, Powercell Sweden AB:

Vor dem Hintergrund der enormen Herausforderungen, vor denen wir in Sachen Umwelt stehen, wäre es wichtig, dass die Wasserstoffinfrastruktur in Europa ausgebaut wird. Dies ist auch eine große Chance für die Autoindustrie, einen Beitrag zu leisten – und zu überleben. Aus europäischer Sicht ist das keine kleine Frage, wenn man bedenkt, wie viele Mitarbeiter die Branche beschäftigt und was sie für den wirtschaftlichen Wohlstand bedeutet.
 

Oskar Södergren, Head of Corporate Communications, BMW Group Northern Europe:

Angesichts der zunehmenden Handelskonflikte und -hemmnisse ist es für die BMW Group (und die gesamte Automobilindustrie) von großer Bedeutung, das multilaterale Handelssystem aufrechtzuerhalten und zu stärken. Es ist sehr wichtig, dass die EU durch bilaterale Freihandelsabkommen weiter zur Öffnung anderer Märkte beiträgt, damit der Marktzugang verbessert und Handelsbarrieren für europäische Unternehmen und Produkte abgebaut werden können. Die bereits ausgehandelten Freihandelsabkommen mit Singapur und Vietnam sollten so schnell wie möglich in Kraft treten und die laufenden Verhandlungen mit den USA, Australien, Neuseeland, dem Mercosur und Indonesien in der nächsten Legislaturperiode zu einem erfolgreichen Abschluss gebracht werden.
 

Viktor Sundberg, Vice President Environmental & EU Affairs, AB Electrolux:

Aus unserer Sicht gehören Klima- und Umweltfragen zu den wichtigsten Themen, mit denen sich die EU auch in der nächsten Legislaturperiode beschäftigen muss. Unter anderem werden gesetzliche Anforderungen für die sogenannte „Kreislaufwirtschaft“ diskutiert. Hierbei ist es wichtig, dass die Entscheidungsträger mit uns Herstellern in einen Dialog treten, um sicherzustellen, dass die Beschlüsse praktisch umsetzbar sind und die Behörden die Einhaltung auch kontrollieren können. Ein weiterer Bereich, der in den kommenden Jahren im Fokus stehen wird, sind Regeln für vernetzte Produkte. Die EU muss hier Vorschriften ausarbeiten, die die Verbraucher schützen, gleichzeitig jedoch nicht zu kompliziert sind. Ein dritter sehr wichtiger Themenkomplex sind Handelsfragen. Dabei sollte die EU Einfluss auf China ausüben, damit man dort Maßnahmen erfgreift, um Wettbewerb auf Augenhöhe zu ermöglichen. Im Handel zwischen der EU und den USA gibt es langfristig gesehen große Verbesserungsmöglichkeiten, auch wenn die EU kurzfristig wahrscheinlich keine andere Wahl hat, als sich und das Regelsystem der WTO zu verteidigen.
 

Dr. Andreas Tegge, Head of Global Public Policy, SAP SE:

Eine zentrale Zielsetzung für die EU in der neuen Legislaturperiode sollte darin bestehen, eine globale Führungsrolle in der Digitalwirtschaft einzunehmen, damit Europa im Wettbewerb mit den USA und China bestehen kann. Dabei sollte Europa einen eigenen „Dritten Weg“ definieren, der zum einen das ökonomische Potenzial digitaler Technologien ausschöpft und zum anderen sicherstellt, dass europäische Werte und soziale Standards im digitalen Zeitalter bewahrt werden. Die neue EU-Digitalpolitik sollte dabei fünf Schwerpunkte beinhalten: die Vollendung des digitalen Binnenmarktes, damit Start-ups und innovative Geschäftsmodelle in Europa rasch skalieren können; eine effektive Wettbewerbspolitik, um dem Missbrauch von Marktdominanz in der Digitalwirtschaft vorzubeugen; eine marktorientierte Industriepolitik, um Investitionen in digitale Technologien zu fördern; eine umfassende Reform der Ausbildungssysteme, um dem digitalen Fachkräftemangel entgegenzuwirken und eine neue digitale Handels- und Entwicklungspolitik der EU, um einen fairen Marktzugang und neue Geschäftsmöglichkeiten für die europäische IKT-Industrie zu gewährleisten.
 

Andreas Sandin, Country Manager & Nordic CSO, Europeiska ERV Försäkrings AB:

Wir betrachten die Personenfreizügigkeit als das wichtigste EU-Thema der kommenden Legislaturperiode. Dass EU-Bürger das Recht haben, zu reisen und sich in anderen Mitgliedsländern aufzuhalten, um zu studieren, ein Unternehmen zu gründen oder dort als Rentner zu leben, gehört zu den Grundfreiheiten der Europäischen Union. In den letzten Jahren ist die praktische Umsetzung dieser Freiheit jedoch immer mehr in den Fokus gerückt. Zusammen mit dem Thema Migration wurden Veränderungen diskutiert, die den freien Personenverkehr einschränken würden. Daher das Wichtigste für uns in der nächsten Legislatur: Die EU muss die Migrationsproblematik mit der Beibehaltung der Personenfreizügigkeit auf eine Art und Weise ausbalancieren, die das Vertrauen der Bürger in die Union sichert.
 

Mark Meier, Geschäftsführer, BASF in Nordeuropa und dem Baltikum:

Aus wirtschaftlicher Sicht ist die EU ein sehr erfolgreiches Projekt. Der Binnenmarkt muss jedoch gestärkt werden, damit er besser mit anderen Wachstumsregionen wie den USA und China konkurrieren kann. Daher fordern wir die politischen Entscheidungsträger auf EU- und nationaler Ebene auf, eine ehrgeizige Vision und Strategie für die Industrie bis 2030 zu verabschieden, die sich auf Innovation, Wettbewerbsfähigkeit sowie nachhaltiges und integratives Wachstum konzentriert. Die befindlichen gesetzlichen Vorschriften sollten dabei auf den Prüfstand kommen, um globale Marktentwicklungen besser berücksichtigen zu können. Ohne Innovation ist eine erfolgreiche Zukunft nicht möglich.
 

Eva Blixt, Beraterin in Umweltfragen bei der schwedischen Branchenorganisation Jernkontoret, die Mitgliedsunternehmen aus der Stahlbranche wie Ovako vertritt:

In der nächsten Legislaturperiode soll die Richtlinie über Industrieemissionen (IED) überarbeitet werden, das europäische Umwelt-Gesetzeswerk, das Genehmigungsfragen regelt. Hierbei handelt es sich um eine wirklich wichtige Gesetzgebung für die Stahlindustrie, da sie verbindliche Emissionswerte für Luft und Wasser festlegt, die für alle großen Industrieanlagen gelten. Richtig ausgearbeitet stellt die Richtlinie gleichwertige Anforderungen an alle, was die Wettbewerbsfähigkeit stärkt und gleichzeitig spürbar positive Auswirkungen auf die Umwelt hat.
 

Thomas Idermark, Geschäftsführer, SIS Swedish Institute for Standards:

Um die Wettbewerbsfähigkeit der EU zu fördern, ist es wichtig, dass die europäischen Politiker die Kraft von einheitlichen Standards und des Normungsinstruments sowie das Standardisierungs-Ökosystem verstehen. Indem wir aktive europäische Unternehmensvertreter in die Arbeit einbeziehen, mit der in der ISO weltweite Standards festgesetzt werden, können wir unsere Lösungen durchsetzen und uns im zunehmenden Wettbewerb Zugang zu neuen Märkten verschaffen. Was den Binnenmarkt betrifft, ist es wichtig, dass die sogenannte neue Methode als wirksames Instrument beibehalten wird – das heißt, dass Normung in Europa dazu genutzt wird, die Einhaltung von EU-Recht nachzuweisen. Die rasante digitale Entwicklung, der Klimawandel und die globalen Nachhaltigkeitsziele, die wir erreichen wollen, stellen uns vor enorme gesellschaftliche Herausforderungen. Normen sind ein Instrument, das hier einen wichtigen Beitrag leistet, und das werden wir auch weiterhin unterstreichen.
 

Kathrin Jaenecke, Referatsleiterin Beziehungen zu Eurochambres und den EU-Institutionen, DIHK Brüssel:

Die EU wurde zusammen mit Unternehmen aufgebaut. Daher ist es für die EU-Politik ein wichtiges Ziel, den wirtschaftlichen Austausch zu vereinfachen. Um die europäische Integration weiter zu vertiefen, müssen in Zukunft folgende Themen priorisiert werden: die Umsetzung des digitalen Binnenmarktes, die Verwirklichung der Energieunion, die Beseitigung steuerlicher Hindernisse für Unternehmen sowie die Themen Beschäftigung und Ausbildung. Die EU sollte auch künftig mit starken Partnern weltweit für global faire Spielregeln in der Handelspolitik eintreten. Die Unternehmen brauchen Europa – und Europa braucht die Unternehmen. Eine Abkehr von offenen Grenzen für Waren, Kapital, Dienstleistungen und Personen käme die Wirtschaft teuer zu stehen.
 

Zusammengefasst: Forderungen der Unternehmen

  1. Klimaziele verschärfen, um bis spätestens 2050 Nettoemissionsfreiheit zu erreichen.
  2. Klare und langfristige Regeln für den Übergang zu fossilfreier Energie.
  3. Energiesysteme der EU-Länder integrieren, marktorientierter und vorhersehbarer gestalten.
  4. EU-Emissionshandelssystem (EU ETS) stärken und weiterentwickeln.
  5. Verbindliche Emissionswerte für Luft und Wasser für alle großen Industrieanlagen festlegen.
  6. Gewährleisten, dass gesetzliche Anforderungen zur Erreichung einer Kreislaufwirtschaft auch praktisch umsetzbar sind und dass ihre Einhaltung von den Behörden kontrolliert werden kann.
  7. Infrastruktur ausbauen, um die Klimaziele zu erreichen, zum Beispiel durch E-Highways für den Schwerlastverkehr und Wasserstoffinfrastruktur.
  8. Vernünftige Arbeitsbedingungen und Vorschriften für Lkw-Fahrer und Spediteure in der EU schaffen und sicherstellen, dass diese auch eingehalten werden.
  9. Regeln für vernetzte Produkte, die den Verbraucher schützen, ohne zu kompliziert zu werden.
  10. Kompetenz- und Ressourcenentwicklung in den Bereichen Digitalisierung, Elektrifizierung und Künstliche Intelligenz (KI).
  11. Voraussetzungen für eine globale Führungsrolle Europas in der digitalen Wirtschaft schaffen – durch wirksame Wettbewerbspolitik, einen vollendeten Binnenmarkt, eine Reform der Bildungssysteme, marktorientierte Industriepolitik und digitale Handels- und Entwicklungspolitik.
  12. Andere Märkte durch bilaterale Freihandelsabkommen weiter öffnen und die Vertragsverhandlungen mit den USA, Australien, Neuseeland, dem Mercosur und Indonesien erfolgreich zum Abschluss bringen.
  13. China dazu bringen, Maßnahmen zu ergreifen, um Unternehmen Wettbewerb auf Augenhöhe zu ermöglichen.
  14. Sich für einheitliche Standards einsetzen, damit sich europäische Lösungen behaupten und Zugang zu neuen Märkten erhalten können.
  15. Personenfreizügigkeit von EU-Bürgern gewährleisten.