Eine Collage mit drei Bildern: Ein Hornbach-Markt von außen, ein Lager von Zalando und ein Lidl-Supermarkt

Foto: Hornbach/Zalando/Lidl

Schwedens Einzelhandel im Wandel

05.04.2017

E-Commerce, Omni-Channel, Big Data: Der Einzelhandel in Schweden durchläuft derzeit einen großen Veränderungs- und Digitalisierungsprozess. Deutsche Handelsketten und Online-Shops mischen dabei kräftig mit.

Dem Einzelhandel in Schweden – so scheint es auf den ersten Blick – geht es bestens. Nach Angaben von HUI Research, dem Marktforschungsinstitut der Branchenorganisation Svensk Handel, erhöhte sich der Umsatz in der Branche zwischen 2007 und 2015 um nicht weniger als 27 Prozent. Für 2017 prognostiziert das Institut ein Wachstum von 3,5 Prozent.

Doch hinter diesen Zahlen verbirgt sich auch eine andere, komplexere Realität. „Der Umsatz steigt, aber die Rentabilität sinkt“, erklärt Jonas Arnberg, Chef-Ökonom bei Svensk Handel. „Der Einzelhandel hat die höchste Konkursrate der gesamten Wirtschaft zu verzeichnen.“

Dafür gibt es viele Gründe. Digitalisierung und E-Commerce haben die Branche radikal verändert. Die Preistransparenz ist gestiegen. Nur ein paar Klicks im Netz und der Kunde kann sehen, wo ein Produkt am Billigsten ist. Auch das Kaufverhalten ist heute anders. „Showrooming“ und „Webrooming“ heißen die neuen Phänomene. Bei Ersterem schauen sich die Konsumenten zunächst eine Ware im Laden an, um sie dann online oder im Versandhandel zu bestellen. Beim „Webrooming“ ist es umgekehrt: Nach Recherchen im Netz kauft der Kunde im Laden.

Präsenz auf vielen Kanälen

Um von beiden Trends profitieren zu können, setzen immer mehr Händler auf „Multi-“ oder „Omni-Channel“, das heißt, sie versuchen, auf möglichst vielen Kanälen präsent zu sein – online und stationär. Doch nicht alle können da mitmachen. „Viele kleine Händler überleben nicht“, betont Jonas Arnberg.

Gleichzeitig mischen ausländische Akteure die Szene auf. „Der schwedische Einzelhandel sieht sich einer Konkurrenz aus dem Ausland gegenüber, die es in dieser Form noch nie gegeben hat.“ Auch deutsche Unternehmen haben sich erfolgreich auf dem schwedischen Markt etabliert. „Lidl hat die Lebensmittel-Discounter nach Schweden gebracht, Bauhaus das Drive-In-Konzept“, erklärt Arnberg.

Die Schweden gelten allgemein als aufgeschlossene und technikaffine Konsumenten. Sie sind kauffreudig und kaufkräftig. Stabiles Wirtschaftswachstum, niedrige Zinsen und eine wachsende Bevölkerung machen den „kleinen“ Nachbarn im Norden mit seinen 10 Millionen Einwohnern auch für deutsche Einzelhändler attraktiv. „Wir können sehen, dass deutsche Einzelhändler laufend das Potential des schwedischen Marktes auswerten“, sagt Ninni Löwgren Tischer, Leiterin der Abteilung Market Entry & Business Development bei der Deutsch-Schwedischen Handelskammer, „Insbesondere gilt dies für E-Commerce-Unternehmen.“

Große Bandbreite deutscher Akteure

Genaue Zahlen darüber, wie viele Akteure aus Deutschland in Schweden tätig sind, gibt es nicht. Die Bandbreite ist jedoch groß. Da gibt es „alte Hasen“ wie Media Markt, Hornbach, Deichmann, Klingel und Conrad, die seit mehr als zehn Jahren im Norden aktiv sind, aber auch Newcomer wie die Shopping-Community Best Secret oder den Müslilieferanten Mymuesli. Es gibt den Lebensmittel-Discounter Lidl mit mehr als 3.000 und den Internet-Modehändler Zalando mit null Beschäftigten in Schweden.

Wie kaum ein anderes Unternehmen verkörpert Zalando den wichtigsten Trend im Einzelhandel: E-Commerce. Gerade im hochdigitalisierten Schweden fällt das Konzept auf fruchtbaren Boden. So stieg der Umsatz im Online-Handel laut der Marktanalyse E-barometer 2015 mit 19 Prozent, für 2016 rechnet man mit ähnlichen Zahlen. Besonders gerne kaufen schwedische Kunden Kleidung und Schuhe sowie Bücher im Netz. Die höchsten Zuwachsraten konnten 2015 Baumaterialien, Möbel/Einrichtungsgegenstände und Spielsachen verzeichnen.

Doch bei allem Hype über das Einkaufen im Internet – noch überwiegt der traditionelle Handel, und zwar deutlich: Der Anteil des E-Commerce am Gesamtumsatz im schwedischen Einzelhandel liegt laut Jonas Arnberg derzeit bei nicht einmal acht Prozent. Im Lebensmittelgeschäft sind es sogar nur vier Prozent. Über 90 Prozent ihrer Einkäufe tätigen die Schweden also nach wie vor ganz traditionell im Laden, im Supermarkt oder im Einkaufszentrum.

Online und offline verschmelzen

Den Kunden dort treffen, wo er kaufen möchte, heißt die Devise und so geht die Entwicklung in zwei Richtungen: Stationäre Händler eröffnen Online-Shops, Internet-Händler setzen auf Läden. Letzteres plant zum Beispiel auch die Shopping-Community Best Secret. Der Club aus München startete 2015 in Schweden. Verkauft werden Designer-Stücke mit hohen Rabatten, Mitglied wird man nur auf Einladung. „Ich hoffe, dass wir in Zukunft auch eine Boutique für unsere schwedischen Kunden eröffnen können“, sagt Country Manager Elisabeth Hansen.

Doch Multi-Channel allein reicht nicht. Noch wichtiger – darin sind sich alle einig – ist es, den nationalen Markt und die schwedischen Kunden kennenzulernen.

Carina Bergudden ist seit 13 Jahren Skandinavien-Chefin des Versandhauses Klingel, dessen Zielgruppe „die reife Frau“ ist. Das deutsche Familienunternehmen ist in mancher Hinsicht ein Anachronismus auf dem dynamischen Markt des Einzelhandels. Konzernsprache ist Deutsch, der Klingel- Katalog kommt nach wie vor mit der Post und über die Hälfte der Bestellungen in Schweden erfolgt per Telefon.

„Wir Schweden sind recht patriotisch“, sagt Bergudden. Daher sei es wichtig, lokal zu agieren. Schwedische Kunden bevorzugen skandinavische Designer, bestätigt auch Zalandos Nordeuropa-Chef Kenneth Melchior. Lidl kämpfte mit einem allzu großen Angebot deutscher Produkte anfangs ebenfalls im Gegenwind.

Unterschiede nicht unterschätzen

„Man muss sich an die lokalen Begebenheiten anpassen“, betont Carina Bergudden. „In Deutschland hatten wir zum Beispiel Kampagnen, bei denen die Kundinnen Backrezepte einschicken sollten. Das hat in Schweden überhaupt nicht funktioniert, denn unsere schwedischen Kundinnen sind keine Hausfrauen.“

Weitere Unterschiede kommen hinzu: Personalkosten und Umsatzsteuer sind in Schweden höher als in Deutschland, das großflächige Land erschwert die Logistik, die Wintersaison ist länger, Bezahl- und Versandarten sind anders, Verkaufskanäle nicht so diversifiziert. „Wir, Deutsche und Schweden, sind sehr ähnlich in unseren Präferenzen und Kaufentscheidungen, aber die ‚Verpackung‘ und der Weg dorthin gestalten sich dennoch sehr unterschiedlich“, fasst Ninni Löwgren Tischer die Situation zusammen.

Auffällig ist, dass kaum eines der deutschen Unternehmen in Schweden offensiv mit seinem Hintergrund wirbt. Ausnahme ist die Elektronikkette Media Markt. In ihren Werbekampagnen tauchen konsequent schwedisch-deutsche Fantasiewörter wie „wündersäljande“ und „süperbillig“ auf.

„Die große Mehrheit unserer Kunden weiß, dass wir deutsch sind“, erklärt Mats Ajpe, bis Februar 2017 Werbechef bei Media Markt Schweden. „Daher identifizieren sie uns leicht als Absender, was in dieser konkurrenzbetonten Branche wichtig ist.“ Die Reaktionen waren fast ausschließlich positiv, meint Ajpe. Nur ein paar Leute hätten sich über das grammatikalisch inkorrekte Deutsch beschwert. „Das machen wir natürlich bewusst, wir kommen ja aus Deutschland. Wir glauben, dass die deutsche Marke ein bisschen Spaß verträgt.“

Offener Umgang mit Daten

Überhaupt unterscheiden sich Deutschland und Schweden auch beim Thema Werbung beachtlich. „Anfangs waren wir überrascht, wie wenig die Kollegen in Deutschland über ihre Club-Mitglieder wussten“, erzählt Elisabeth Hansen von Best Secret. „Sie waren richtig stolz darauf, dass sie so wenige Daten sammelten. Hier in Schweden ist das anders. Alle wissen fast alles über alle, denn die meisten geben ohne zu zögern ihre persönlichen Daten heraus.“

Deutschland, so beschreibt es das Institut für Handelsforschung Köln, hat die strengsten nationalen Regelungen in Bezug auf personenbezogene Datenverarbeitung für Werbezwecke in ganz Europa. Schweden ist in puncto Direktwerbung offener. „Man hat wesentlich bessere Möglichkeiten seine Kunden zu finden“, erklärt Klingel-Chefin Carina Bergudden. „Man kann spezifische Parameter angeben wie Alter, Einzelhandel in Schweden Einkommen, Interessen und dann kauft man einfach ein Register von einer der öffentlichen Datenbanken.“

„Bessere Daten erlauben einen besseren Einkauf“, sagt Jonas Arnberg von Svensk Handel. „Man weiß, was der Kunde will, und kauft dementsprechend ein. Große Lager oder Schlussverkäufe werden überflüssig. Das ist nachhaltiger und effektiver.“

Mehr Möglichkeiten für Nischenprodukte

In zehn Jahren, davon ist Arnberg überzeugt, wird der Einzelhandel in Schweden anders aussehen: der Anteil des Online-Handels wird auf rund 20 Prozent steigen, das Städtebild sich verändern mit weniger Läden und weniger Verkaufsflächen.

Dennoch, so betont Arnberg, ist die Digitalisierung nicht nur ein Ladenkiller: „Sie öffnet völlig neue Wege, gerade auch für kleine Händler. Sie brauchen keine großen Ladenflächen mehr und können sich mit Nischenprodukten etablieren. Da gibt es unendlich viele spannende Möglichkeiten.“

Bei der Handelskammer sieht man das ähnlich. „Nischen sind immer gut“, sagt Löwgren Tischer. „Und – ich kann’s nicht lassen – Drogeriemärkte, die fehlen hier in Schweden weiterhin!“