Prof. Hubert Fromlet kommentiert für die Deutsch-Schwedische Handelskammer

Reicht Halbwissen?

21.06.2018

Dieser Artikel soll etwas zum Nachdenken anregen. Das angesprochene Thema basiert nicht auf den neuesten wissenschaftlichen Forschungsergebnissen – jedoch auch auf bewährten wissenschaftlichen Erkenntnissen. In erster Linie versuche ich hier, meine langjährigen professionellen Erfahrungen aus der Welt der Industrie, Finanzen und Akademie etwas näher unter die Lupe zu nehmen.

Hierbei fällt mir insbesondere auf, dass wirtschaftliche Allgemeinbildung in der Gesellschaft in den vergangenen Jahren sichtlich abgenommen hat. Dies hat sicherlich mit den nunmehr viel komplizierteren Abläufen in der globalen Politik und Wirtschaftsentwicklung zu tun – aber auch mit Zeitmangel, oberflächlichem Lesen und abnehmendem Detailinteresse.

Derartige Phänomene lassen sich in Politik, Presse sowie im Hochschul- und Unternehmensbereich finden. Natürlich gilt diese Beobachtung nicht überall, aber wohl in erkennbar verstärktem Maße. Halbwissen gewinnt an Raum.

Ungenutzte oder überschätzte Möglichkeiten

Halbwissen bedeutet, dass Möglichkeiten oft nicht hinreichend genutzt oder überschätzt werden. Risikobeurteilungen werden nicht rechtzeitig erkannt oder überschätzt. Wirtschaftsnobelpreisträger Robert Shiller drückt dies in seinem Buch „Irrational Exuberance“ wie folgt aus (S. 142): „People think they know more than they do. They like to express opinions on matters they know little about, and they often act on these opinions…“

Noch immer empfehle ich Entscheidungsträgern jedweder Art – doch besonders allen aus Politik und Wirtschaft – das oben zitierte Buch von Robert Shiller alle fünf Jahre zu lesen, aber im selben Zeitabstand auch Charles Kindlebergers „Manias, Panics, and Crashes“ über Finanzmarktblasen (später aktualisiert von Robert Aliber). Vielleicht hätte man sich Kindlebergers Buch in den letzten Jahren auch in Schweden vermehrt zu Gemüte führen sollen.

Fundiertes Wissen weiter entscheidend

Natürlich sollte ein ehrgeiziges und modernes Land sich ständig mit den Möglichkeiten und Herausforderungen der Digitalisierung und Künstlichen Intelligenz (KI) vertraut machen, diese verantwortungsvoll entwickeln und zur Anwendung bringen. Derartige Ambitionen und Pläne für die Zukunft reichen jedoch nicht aus, um im globalen Wettbewerb auf Dauer bestehen zu können.

Fundiertes Wissen auch in anderen Bereichen als IT und KI wird weiterhin ein entscheidender Faktor für die Entwicklung von Ländern, Gesellschaften, Unternehmen und Individuen sein – und sicherlich nicht Halbwissen.

Mehr tun für die Wissensgesellschaft

Zeitnot, knapp gehaltene Berichterstattung, begrenztes individuelles Beurteilungsvermögen von Relevanz und inzwischen anderweitige Freizeitinteressen als tiefgründiges Lesen reduzieren vielerorts historisch basierten Wissendrang, oft negativ unterstützt von schwächelnden Ausbildungssystemen.

Eine Anhäufung von derartigen negativen Trends führt unweigerlich zu Halbwissen. Für das Ziel einer erfolgreichen Wissensgesellschaft, von der Politiker und Forscher so gerne sprechen, muss aber in den meisten Ländern mehr getan werden, als dies gegenwärtig der Fall ist.

Vielleicht sollten wir alle in der Sommerpause genau darüber mal ein wenig nachdenken, so ganz ohne Stress, bei hoffentlich gutem Wetter und einer tollen WM für alle Fußballfans.

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Hubert Fromlet

Affiliierter Professor an der schwedischen Linné-Universität und Senior Advisor der Deutsch-Schwedischen Handelskammer

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