flygplan, sj, tåg

Foto: Pixabay/Mats Ek/SJ

Flugscham und die Folgen: Bleibt Schweden künftig am Boden?

26.09.2019

Das schwedische Wort Flygskam, inzwischen wohl auch vielen nicht Schwedisch sprechenden Deutschen bekannt, bedeutet nichts anderes als „Flugscham“ und beschreibt das Gefühl des Schämens und schlechten Gewissens im Hinblick auf den selbst verursachten CO2-Ausstoß durch das Fliegen. Wie entstand der Trend in Schweden, und wie gehen die Unternehmen damit um? Wir haben mit der Fluggesellschaft BRA und dem Reiseunternehmen TUI gesprochen.

Dass die schwedische Debatte, die sich hinter dem Begriff „Flugscham“ verbirgt, gerade im Zehn-Millionen-Einwohner-Volk im Norden Europas aufkam, verwundert wenig, denn das Land setzt sich seit Langem besonders für den Umweltschutz ein. Dies zeigt auch das weltweite Ranking Climate Change Performance Index, das Schweden als Land mit den höchsten Leistungen für Klimaschutz anführt. Deutschland landet hier nur auf Platz 27, deutlich hinter dem Durchschnittswert der gesamten EU (Platz 16).

Populär wurde das Phänomen Flygskam, nachdem der schwedische Ex-Biathlet Björn Ferry im Jahr 2018 im schwedischen Fernsehen weitere Flugreisen zu Sportevents verweigerte. Seitdem fährt der Olympiasieger von 2010 zu jeder Sportveranstaltung nur noch mit der Bahn. Und das durch ganz Europa.

Auch die Klima-Aktivistin Greta Thunberg, die in diesem Jahr mit dem alternativen Nobelpreis Right Livelihood Award ausgezeichnet wird, inspiriert Millionen von Menschen aller Generationen und sorgt bei ihren Anhängern für eine zunehmende Bereitschaft, das eigene Verhalten zugunsten des Klimas zu verändern.

Passagierzahlen gehen zurück

Und die aktuelle Klimadebatte scheint Wirkung zu zeigen. Jahrelang galten die Schweden als Vielflieger Europas und gerade für die Einwohner des großen, dünn besiedelten Landes stellt der Verzicht auf das Fliegen durchaus eine Herausforderung dar. Seit Mitte 2018 haben die Passagierzahlen aber deutlich abgenommen. Die offizielle Statistik von Swedavia, dem staatlichen Unternehmen für Luftverkehrsinfrastruktur in Schweden, belegt, dass sich die Zahl der Passagiere an schwedischen Flughäfen zwischen April und Juni im Vergleich zum Vorjahr um über zehn Prozent reduziert hat.

Die im Jahr 2016 gegründete Regionalgesellschaft BRA ist eine der größten Fluggesellschaften Schwedens und bedient 16 inländische Flughäfen sowie den deutschen Airport Berlin/Tegel. Auf die Frage, wie man bei der Airline die Flugscham-Debatte sieht, erklärt uns Anna Soltorp, die Nachhaltigkeits-Managerin von BRA: „Die Lösung besteht nicht darin, vollkommen auf das Fliegen zu verzichten. Das wäre in einem so großen Land mit so weiten Strecken wie Schweden schlicht nicht möglich.“

Auf die um über zehn Prozent gesunkenen Buchungen von Inlandsflügen reagiert BRA unter anderem mit dem vermehrten Einsatz von Biokraftstoff und von kleineren und klimafreundlicheren Propellerflugzeugen. „Unser Ziel ist es, als erste Fluggesellschaft der Welt bis zum Jahr 2030 unsere Flotte komplett frei von fossilen Brennstoffen zu betreiben“, betont Anna Soltorp.

Klimakompensation für alle Reisenden

Auch der Touristikkonzern TUI verfolgt schon seit Langem das Ziel, Reisen und Urlaub nachhaltiger zu gestalten. „TUI kompensiert in den nordeuropäischen Ländern den Energieverbrauch aller eigenen Flüge und Hotelübernachtungen und hat dies als erstes Urlaubsunternehmen in den Nordics überhaupt eingeführt“, erklärt Magnus Hüttenberend, Global Head of Digital Communications der TUI-Gruppe und Kommunikationschef der schwedischen TUI-Tochter.

Regelmäßige Kontrollen der Standards, Klima-Zertifikate und Klimakompensationsprojekte machen den Konzern zum Vorreiter in Sachen Nachhaltigkeit, betont Hüttenberend. Auch für deutsche Urlauber verfolgt TUI das Ziel, die verursachten Emissionen auszugleichen. „In Deutschland haben wir bereits vor einigen Jahren ein Klimakompensationsprojekt gestartet und einen ganzen Wald auf Mallorca gepflanzt. Den TUI-Wald, größer als 70 Fußballfelder, kann man heute besuchen und genießen.“

Auch Magnus Hüttenberend meint, die Lösung des Problems könne nicht darin bestehen, künftig gar nicht mehr zu reisen: „Die einzig sinnvolle Antwort auf die Flugscham-Diskussion kann Innovation sein. Wir brauchen kurzfristige Effizienz und langfristig innovative Lösungen für nachhaltigere Flüge, Schiffsreisen und andere Fortbewegungsmittel.“

Nachtzüge als Alternative?

Eine nachhaltige Alternative, die vor allem von Befürwortern der aktuellen Flygskam-Debatte ins Feld geführt wird, ist der verstärkte Umstieg auf die Bahn, zumindest für Kurz- und Mittelstrecken. Die schwedische Regierung setzt unter anderem auf Nachtzüge und will, dass es bis Ende 2022 wieder Verbindungen in die wichtigsten europäischen Städte gibt. Bereits im Winter letzten Jahres konnte die Schwedische Bahn SJ einen Anstieg der geschäftlichen Nachtzug-Reisen um 21 Prozent verzeichnen. Preislich stehen diese Flügen in nichts nach.

Besonders die wesentlich geringere Menge an ausgestoßenem CO2 scheint die wachsende Attraktivität und Beliebtheit des Bahnfahrens in Schweden zu erklären. Und auch im deutschen Klimapaket, das die Bundesregierung am 20. September präsentierte, sind Zuschüsse in Höhe von 20 Milliarden Euro für die Deutsche Bahn geplant.

Ob die aktuelle Flygskam-Debatte ein vorübergehender Trend bleibt, oder zu einer dauerhaften Abkehr vom Fliegen und einem Umstieg auf die Bahn und andere Verkehrsmittel führen wird, werden die kommenden Monate und Jahre zeigen.