Bargeld, ein Smartphone mit der Swish-App sowie mehrere Kreditkarten

Foto: Carolin Krall

Digitales ist Wahres: Bargeldlos durch Schweden

28.06.2018

„Schweden schafft das Bargeld ab.“ Das Echo dieser Schlagzeile, die vor gut einem Jahr in den Zeitungen zu lesen war, wird immer lauter, ihr Inhalt immer mehr zur Realität. Erschreckend? Definitiv, finden die meisten Deutschen. Besonders die jungen Schweden blicken dem Ganzen jedoch eher entspannt entgegen und sehen vor allem die Vorteile der bargeldlosen Zahlungssysteme. Schweden ist, gemeinsam mit den anderen skandinavischen Ländern, Vorreiter in Sachen digitaler Bezahldienste.

57 Milliarden Kronen Bargeld (umgerechnet ca. 5,5 Milliarden Euro) befanden sich nach Angaben der schwedischen Notenbank im Jahr 2017 im Umlauf – nur noch etwas mehr als die Hälfte als noch 10 Jahre zuvor. Während die Schweden mittlerweile über 80 Prozent ihrer Gesamteinkäufe bargeldlos tätigen, ist es in Deutschland anders herum: Nur bei 20 Prozent der Einkäufe zückt der deutsche Verbraucher seine Kredit- oder EC-Karte.

Und auch wenn es in Schweden von Seiten der Politik oder der Zentralbank keinerlei Absichten gibt, Scheine und Münzen in absehbarer Zeit komplett abzuschaffen: Überall im Land kommt man heutzutage sehr gut ohne Bargeld aus, teilweise sogar besser als mit. Zwar nimmt der Großteil aller Geschäfte nach wie vor Bares an, viele kleinere Läden, Cafés und Restaurants begrüßen ihre Kunden aber schon an der Tür mit einem „Vi är en kontantfri butik“-Schild – „Wir sind ein bargeldloses Geschäft“. Laut einer von der schwedischen Handelsstiftung Handelsrådet durchgeführten Studie geht die Hälfte aller schwedischen Einzelhändler davon aus, bereits 2025 kein Bargeld mehr zu akzeptieren.

Banken verweigern Annahme von Bargeld

Auch die Banken sind dem schnellen Wandel im Geldgeschäft unterworfen und passen ihre Dienste entsprechend an. Zwischen 2010 und 2018 hat über die Hälfte aller schwedischen Bankfilialen ihr Angebot an manuellen Bargelddiensten eingestellt. Wer als Privatperson Scheine oder Münzen auf sein Konto einzahlen will, muss oft lange nach einem Bankschalter suchen, an dem das überhaupt noch möglich ist.

Der Staat hat so immer weniger Einfluss auf und Kontrolle über die Zahlungsströme. Denn was passiert, wenn die Technik einmal versagt? In einer digitalen Gesellschaft gibt es keine Zahlungsmittel mehr, die ohne Kreditrisiko funktionieren. „Wir müssen uns darüber klar werden, was es bedeutet, dass der Staat in Sachen Geldgeschäfte keine Rolle mehr spielt“, so Björn Segendorf, Senior Adviser bei der schwedischen Zentralbank (Sveriges riksbank). „Es geht um Anonymitäts- und Integritätsfragen.“

Alltag ohne Scheine und Münzen

Im Stockholmer Alltag funktioniert der digitale Zahlungsverkehr heute weitgehend reibungslos. Tickets für den öffentlichen Nahverkehr zahlt man entweder per App oder mit einer speziellen Prepaid-Karte – der Busfahrer selbst verkauft keine Tickets mehr. Problematisch ist dieses System besonders für Touristen: Spontanes Busfahren ist kaum möglich, Ticketautomaten findet man nur in U- und S-Bahn-Stationen.

Und sogar beim Flohmarktbesuch kann der Schwede sein Bargeld inzwischen zu Hause lassen – Swish macht es möglich. Das bargeldlose Bezahlsystem wurde 2012 von den größten schwedischen Banken eingeführt und verknüpft die Mobilfunknummer mit dem Bankkonto, sodass Geld per Smartphone-App in Echtzeit hin- und hergeswisht werden kann. Vor allem für kleinere Beträge zwischen Privatpersonen hat sich Swish in Schweden bereits durchgesetzt. Die Zahlungsmethode wird inzwischen aber auch zunehmend von Unternehmen angeboten, beispielsweise im Online-Handel. Mehr als 16 Milliarden Kronen wechselten auf diese Weise allein im April 2018 den Besitzer.

Nicht alle sind begeistert

Doch so praktisch das Zahlen ohne dreckige Münzen und lästiges Wechselgeld auch scheint – gerade ältere Schweden stehen der aktuellen Entwicklung nicht uneingeschränkt positiv gegenüber. Viele fühlen sich vom schnellen Wandel überrumpelt und in ihrer Zahlungsfreiheit eingeschränkt. Besonders auf dem Land scheint Cash weiterhin King zu sein: In den weniger stark besiedelten schwedischen Regionen Värmland, Kalmar und Västmanland finden sich laut der Tageszeitung Svenska Dagbladet die meisten Fürsprecher dafür, auch in Zukunft weiter mit Bargeld zahlen zu können.

Zusammengenommen ergibt sich der Eindruck, als wäre Schweden den anderen europäischen Ländern weit voraus, wenn es darum geht, Geldgeschäfte auf elektronischem Wege abzuwickeln. Tatsächlich entwickeln sich jedoch die meisten Länder in die gleiche Richtung – Schweden lediglich etwas schneller. Björn Segendorf sieht die Entwicklung nüchtern: „Konsumenten und Unternehmen wählen offenbar die Bezahldienste, die ihren Bedürfnissen am besten gerecht werden.“