
„Die Stimmung bleibt angespannt“
13.05.2020
Schwedens Umgang mit der Coronakrise hat dem Land international viel Aufmerksamkeit beschert, nicht zuletzt in den deutschen Medien. Was steckt hinter der schwedischen Strategie? Und wie geht es eigentlich den Unternehmen? Wir haben mit unserem Geschäftsführer Ralph-Georg Tischer über die aktuelle Stimmung in der deutsch-schwedischen Wirtschaft, interkulturelle Unterschiede zwischen den Ländern und neue Arbeitsroutinen in der Handelskammer gesprochen.
Deutsch-Schwedische Handelskammer: Die Coronavirus-Pandemie hat auch die deutsch-schwedische Wirtschaft hart getroffen. Wie ist die Stimmung?
Ralph-Georg Tischer: Die Stimmung unter den meisten unserer Mitgliedsfirmen ist angesichts der ökonomischen Erschütterungen und großen Unsicherheiten sehr angespannt. Das verwundert in Anbetracht der sich abzeichnenden globalen Rezession auch nicht. Ob Reisebeschränkungen, gesunkene Nachfrage oder Bruch von Lieferketten und in deren Folge Investitionsstopp, Personalabbau und Insolvenzgefahr – die Geschäftslagen vieler unserer Firmen und ihr Ausblick in die nähere Zukunft stimmen nicht gerade optimistisch. Dies weisen auch alle Konjunkturprognosen aus. Für eine global eng verflochtene Wirtschaft wie die Schwedens gibt es keinen „Sonderweg“.
Wie unterstützt die Handelskammer ihre Mitglieder und Kunden?
Im Sinne einer Soforthilfe stehen wir dort zur Seite, wo die Firmen grenzübergreifend auf die staatlichen Hilfsmaßnahmen zurückgreifen möchten. Im Dschungel rechtlicher und administrativer Hürden begleiten wir den Weg zum Beispiel zum Kurzarbeitergeld. Darüber hinaus ist es unsere originäre Aufgabe, Mitglieder und Kunden mit aktuellen Informationen aus beiden Ländern zu versorgen, wofür wir alle unsere Kanäle nutzen. In einer längerfristigen Perspektive unterstützen wir aber auch dort, wo der Blick schon heute nach vorne gerichtet werden kann und man sich für die Zeit nach der Krise neu aufstellen möchte. Unsere bilaterale Länderexpertise hilft nicht zuletzt auch angesichts des unterschiedlichen staatlichen Umgangs mit dem Coronavirus („Verbot vs. Gebot“) den Firmen, notwendige Entscheidungen auf einer soliden Datenbasis und Markteinschätzung zu treffen.
„Schweden haben die Einstellung, dass sich alles schon irgendwie fügt – det ordnar sig.“
Im Ausland hat der schwedische „Sonderweg“ im Umgang mit der Coronakrise eine beispiellose Neugier geweckt. Wie erklären Sie sich das?
Es ist wichtig zu verstehen, dass der schwedische Staat traditionell eher auf Empfehlungen an die Bevölkerung setzt als auf Verbote. Dies ist Teil des gesellschaftlichen Grundverständnisses und hat immer gut funktioniert. Darin spiegelt sich das hohe Vertrauen der Bevölkerung in den Staat ebenso wider wie die Betonung der Verantwortung des Einzelnen gegenüber sich und der Gesellschaft. Im schwedischen Ansatz, das tägliche Leben nicht vollständig herunterzufahren, kommt wohl auch die Einschätzung zum Ausdruck, dass die Krise längere Zeit andauern könnte. Viele aktuelle Diskussionen in Deutschland über die Coronakrise werden hier nicht oder nicht so intensiv geführt. Und schließlich ist es auch eine Frage der Mentalität: Schweden haben die Einstellung, dass sich alles schon irgendwie fügt – det ordnar sig. Dies ist auch Ausdruck einer Unternehmenskultur, die im täglichen Miteinander über die Grenzen hinweg permanent erklärt werden muss.
Und was hat sich durch die Coronakrise in der Handelskammer selbst geändert?
Wir konnten wie viele Unternehmen in Schweden schnell den Empfehlungen der Behörden folgen und umfassend auf Homeoffice umstellen. Alle Mitarbeiter sind also weiterhin wie gewohnt erreichbar. Das funktioniert hervorragend, was sicherlich auch damit zu tun hat, dass wir in Schweden schon lange über die notwendige digitale Infrastruktur und Erfahrung verfügen und man gewohnt ist, sich im täglichen Leben – beruflich wie privat – online zu bewegen.
Sie möchten mehr über den schwedischen Weg in der Coronakrise erfahren?
Ralph-Georg Tischer war kürzlich in einem Webinar des Alphazirkels zu Gast. Hier können Sie sich die Aufzeichnung anschauen.
Unser Pressesprecher Frank Luthardt hat in zwei Beiträgen für den Deutschen Industrie- und Handelskammertag (DIHK) eine Einschätzung der Lage abgegeben. Hier finden Sie beide Videos: