Mitglieder des deutschen Digitalrats im Ericsson Studio in Stockholm im Dezember 2018.

In Stockholm besuchten die deutschen Digitalratsmitglieder auch das Ericsson Studio.

Deutscher und schwedischer Digitalrat an einem Tisch: Austausch fördern, Kompetenzen stärken

28.01.2019

Anfang Dezember 2018 hat die Deutsch-Schwedische Handelskammer ein Treffen zwischen dem deutschen und dem schwedischen Digitalrat in Stockholm organisiert. Beide Räte fungieren als Beratungsgremien ihrer jeweiligen Regierungen in Digitalisierungsfragen und bestehen aus jeweils zehn Mitgliedern. Der deutsche Rat hat sich im August 2018 konstituiert und berichtet direkt an das Bundeskanzleramt. Auf schwedischer Seite hat man die Arbeit bereits im Mai 2017 aufgenommen und berichtet an das Wirtschaftsministerium. Wir haben mit Vertretern beider Räte gesprochen.

Auf deutscher Seite standen uns zwei Digitalratsmitglieder Rede und Antwort: Stephanie Kaiser ist Geschäftsführerin von Heartbeat Labs, spezialisiert auf digitale Transformation in den Bereichen Healthcare und Medizin. Peter Parycek leitet das Kompetenzzentrum Öffentliche IT am Fraunhofer-Institut für Offene Kommunikationssysteme (FOKUS) und das Department für E-Governance in Wirtschaft und Verwaltung an der Donau-Universität Krems.

Deutsch-Schwedische Handelskammer: Wie möchten Sie Ihren Auftrag als Digitalrat der Bundesregierung erfüllen? Welche Schwerpunkte werden Sie in Ihrer Arbeit setzen?

Stephanie Kaiser und Peter Parycek: Wir haben ein klares und auch starkes Mandat bekommen: Wir sollen die Bundesregierung beraten, unterstützen und antreiben. Dies tun wir auf zwei Wegen: Zum einen kommentieren wir und geben Input zu verschiedenen Untersuchungen und Vorschlägen der Bundesregierung. Zum anderen unterbreiten wir eigene Vorschläge dazu, womit sich die Regierung im Zusammenhang mit dem digitalen Wandel befassen sollte. Die Schwerpunkte unserer Arbeit liegen auf Veränderungen der Arbeitswelt, Daten und Gesellschaft, Digitaler Staat, Personal und Kompetenzen, Gründungen sowie Mindset und Kultur. Eine unserer Fokusfragen momentan ist, wie die öffentliche Verwaltung digitaler und zugänglicher gemacht werden kann. Wie kann eine Behörde in der Zukunft aussehen, aber auch wie kann Gesetzgebung in der Zukunft aussehen?

Wie stellen Sie sich den künftigen Austausch mit der Bundesregierung vor?

Die Regierung legt ein hohes Tempo vor und ist sehr aktiv im Dialog mit uns. Unsere bisherigen Treffen waren von einer konstruktiven und dynamischen Atmosphäre geprägt und die Bundesregierung steht unseren Anregungen sehr aufgeschlossen gegenüber, was unsere Arbeit erleichtert. Wir haben zunächst eine Reihe von Vorschlägen unterbreitet, die unserer Meinung nach als Erstes umgesetzt werden sollten.

Welche Gemeinsamkeiten bzw. Unterschiede sehen Sie im Vergleich zum schwedischen Digitalrat?

Wir können uns zum jetzigen Zeitpunkt nur zum Aufbau unseres Rates äußern. Die Mitglieder des Rates sind ausgewählt worden, um ergebnisorientiert zu handeln und Ideen in die Tat umzusetzen. Es sitzen weder Interessenvertreter oder Politiker noch Behördenvertreter oder große Unternehmen im Digitalrat, wodurch wir offen reden können, mit hohem Fokus auf konkrete und umsetzbare Vorschläge.

In welchen Bereichen sehen Sie in Sachen Digitalisierung besonderen Handlungsbedarf in Deutschland?

Besonderer Handlungsbedarf, neben den von uns bearbeiteten Themen, besteht aus unserer Sicht in den Bereichen Infrastruktur/Breitbandausbau und Cybersicherheit. Themenübergreifend geht es darum, eine positive Sichtweise und Unvoreingenommenheit gegenüber neuen Technologien zu schaffen.

In welchen Bereichen kann Deutschland von Schweden lernen? Und wo kann sich umgekehrt Schweden Deutschland zum Vorbild nehmen?

Deutschland kann vor allem in Sachen Offenheit und Mut, neue Technologien auszuprobieren, viel von Schweden lernen. Wir Deutschen besprechen erst einmal alles sorgfältig, bevor wir etwas Neues anstoßen und haben Angst, Fehler zu machen. Es geht aber vor allem darum anzufangen, nutzerzentriert digitale Lösungen zu entwickeln und diese Schritt für Schritt zu verbessern, sodass sie schließlich den Menschen helfen.

„Jedes Land braucht seine eigene Strategie“

Aus dem schwedischen Digitalrat (Digitaliseringsrådet) sprachen wir mit Jan Gulliksen, Professor und Vizerektor für Digitalisierungsfragen der Königlich Technischen Hochschule (KTH) in Stockholm sowie schwedischer Vertreter in der Gruppe der Digital Champions der EU-Kommission.

Wo sehen Sie die größten Chancen für erfolgreiche Zusammenarbeit zwischen Deutschland und Schweden? In welchen Bereichen sollten sich die beiden Länder vorrangig austauschen?

Jan Gulliksen: Sowohl in Schweden als auch in Deutschland besteht großer Bedarf, Kompetenzen im Bereich Digitalisierung weiterzuentwickeln. In Sachen Ausbildung und Fachkräfteversorgung müssen wir in der EU und international mehr zusammenarbeiten. Es laufen bereits einige Initiativen, zum Beispiel mit Fokus auf digitale Skills, aber hier kann noch mehr getan werden. Künstliche Intelligenz ist zum Beispiel ein aktueller Schwerpunktbereich, dem immer größere Bedeutung zukommen wird und der eventuell dazu führen kann, dass wir repetitive, schwere und risikobehaftete Arbeiten künftig ersetzen können – also der Wandel hin zur Industrie 4.0. Digitale Sicherheitsfragen sind natürlich ebenfalls wichtige Aspekte der Digitalisierung, die über Landesgrenzen hinweg diskutiert werden. Hier kann es Raum für mehr Austausch und verschiedene Kooperationen geben.

Welche Tipps können Sie dem neuen deutschen Digitalrat geben? Den schwedischen Rat gibt es ja bereits seit Mai 2017.

Deutschland und Schweden haben viele Gemeinsamkeiten, aber auch unterschiedliche Voraussetzungen. Jedes Land braucht seine eigene Strategie. Hier in Schweden haben wir über viele Jahre hinweg eine leistungsfähige digitale Infrastruktur aufgebaut. Diese kann man als Notwendigkeit für viele andere Bereiche ansehen. So hat sie zum Beispiel ermöglicht, dass ein Großteil der Bevölkerung heute gute Computerkenntnisse hat und als „digital reif“ betrachtet werden kann. Wir sind auch weit vorne mit dabei, wenn es um digitale Innovationen geht und haben einen starken Start-up-Sektor, der die Entwicklung neuer Lösungen vorantreibt. Das lockt natürlich viele junge Menschen an. Ich denke, dass Deutschland von unserer Offenheit und unserem gemeinsamen Anpacken, was gesellschaftliche Herausforderungen und Möglichkeiten angeht, lernen kann. Die Digitalisierung ist ein horizontaler Prozess und dieser erfordert neue Zusammenarbeits- und Führungsformen, um die sich bietenden Möglichkeiten voll nutzen zu können.

Was haben Sie mit dem schwedischen Digitalrat in den vergangenen Jahren erreicht?

Die Regierung hat den Digitalrat ins Leben gerufen, damit dieser eine aktive Digitalisierungspolitik vorantreibt und strategische Analysen durchführt. Diese Analysen zeigen auf, was die Regierung anpacken muss. Sie bauen unter anderem auf Treffen mit über 100 verschiedenen Akteuren auf und sind bisher in circa 50 konkrete Vorschläge gemündet. Die Kompetenzen von Politikern und Führungskräften im öffentlichen Sektor zu stärken ist ein Beispiel für eine solche konkrete Maßnahme. Auf unsere Anregung hin hat der Verband der schwedischen Kommunen und Provinziallandtage (Sveriges kommuner och landsting, SKL) den Auftrag erhalten, ein Weiterbildungsprogramm für diese Zielgruppe zu entwickeln. Darüber hinaus verfolgen wir, welche Indikatoren notwendig sind, um die digitale Entwicklung verfolgen und wichtige Zukunftsfragen aufgreifen zu können. Wir fördern die gesellschaftliche Debatte über Wissen und Kompetenzen, indem wir mit verschiedenen Stakeholdern sprechen und an Fachkonferenzen teilnehmen. In einem Bereich haben wir unser Potenzial aber noch nicht voll ausgeschöpft: Die Regierung hat das Ziel gesetzt, dass Schweden weltweit führend darin werden soll, die Möglichkeiten, die die Digitalisierung bietet, für sich zu nutzen. Wir waren bisher aber nicht sonderlich gut darin, die EU für die Erreichung unseres Ziels einzubinden. Da müssen wir noch besser werden.

Fakten zu den Digitalräten

Seit August 2018 berät der deutsche Digitalrat die Bundesregierung in Digitalisierungsfragen. Seine zehn Mitglieder – unabhängige Expertinnen und Experten aus den Bereichen Wissenschaft, Forschung und Wirtschaft – sollen Ideen und Erfahrungen aus der Praxis bündeln und mit ihrer Arbeit dazu beitragen, dass die Chancen der Digitalisierung für alle Menschen nutzbar gemacht werden. Der Rat tagt mindestens zweimal jährlich mit der Bundeskanzlerin und weiteren Mitgliedern der Bundesregierung. Darüber hinaus führt er weitere eigene Sitzungen durch. Organisatorisch ist der Digitalrat am Bundeskanzleramt angesiedelt.

Der schwedische Digitalrat (Digitaliseringsrådet) wurde von der Regierung einberufen, um die Digitalisierung in Schweden voranzutreiben. Er soll die Umsetzung der Digitalisierungsstrategie der Regierung unterstützen sowie die digitale Entwicklung in Schweden und weltweit beobachten und analysieren. Der Rat besteht aus zehn Mitgliedern mit Beratungsfunktion, wird von Energie- und Digitalisierungsminister Anders Ygeman geleitet und von einer Geschäftsstelle unterstützt. Der Auftrag geht von den fünf Teilzielen der Digitalisierungsstrategie aus: digitale Führung, digitale Kompetenzen, digitale Sicherheit, digitale Infrastruktur und digitale Innovation.