Chris Berry, Geschäftsführer von SAP Schweden

Chris Berry, Geschäftsführer von SAP Schweden

„Verkaufen Sie keine Bohrmaschinen, verkaufen Sie Löcher in der Wand!“

30.11.2016

Die Digitalisierung der Wirtschaft stellt traditionelle Geschäftsmodelle auf den Kopf. Chris Berry, Geschäftsführer von SAP Schweden, erklärt im Interview mit der Deutsch-Schwedischen Handelskammer, wie dies neue Denkweisen und Tätigkeitsfelder ermöglicht – auch für kleinere Unternehmen. Außerdem erfahren wir, wofür ihm seine Ausbildung als Pilot in der britischen Luftwaffe noch heute von Nutzen ist.

Deutsch-Schwedische Handelskammer: Sie haben vor einem Jahr als Schweden-Chef von SAP angefangen, nachdem Sie vorher sieben Jahre beim Konkurrenten Oracle tätig waren. Von 2002 bis 2004 waren Sie schon einmal bei SAP. Was hat Sie gelockt, zu Ihrem ehemaligen Arbeitgeber zurückzukehren?

Chris Berry: In meinen 30 Jahren in der IT-Branche habe ich gelernt, dass man mit Software den größten Nutzen erzielt. Ich will hier gar keine Vergleiche mit meinem letzten Arbeitgeber Oracle anstellen, wo ich auch fantastische Jahre hatte, aber das Kerngeschäft von SAP liegt dem näher, womit ich am liebsten arbeite: Fokus auf geschäftlichem Nutzen und Veränderung beim Kunden – und das kann man eher mit Software als mit Hardware erreichen. Was die Kundenzahl angeht, ist SAP die Nummer eins in der Welt. Wir haben 330.000 Kunden, mit denen wir über ihr Business sprechen. Als das Angebot kam, zu SAP zurückzukehren, musste ich daher gar nicht groß nachdenken. Dies ist so etwas wie ein Traumjob für mich.

Alle reden über die Digitalisierung der Wirtschaft. SAP hat dabei eine Schlüsselposition inne. Aber was bedeutet Digitalisierung eigentlich?

Wofür haben wir IT bisher genutzt? Zum Standardisieren, Effektivieren, Verbessern, Verändern und besseren Nutzen von Ressourcen. Die Digitalisierung ist nun der nächste Schritt in dieser Entwicklung. Durch sie können wir viel schneller einen „Live-Einblick“ in alle Teile des Unternehmens bekommen und diesen außerdem mit anderen Daten kombinieren. Dies führt dazu, dass die Unternehmensleitung nicht nur bessere Entscheidungen fällen kann, sondern man wird auch flexibler, was die Anpassung der Geschäfte, ja des ganzen Geschäftsmodells angeht. Man digitalisiert aber nicht der Digitalisierung wegen, sondern um auf seinem Markt am Ball zu bleiben und sich weiterzuentwickeln. Es ist das Mittel, nicht das Ziel. Wenn es dann darum geht, wie man aus Daten abgeleitete Erkenntnisse nutzt, um Dinge auf eine andere Art und Weise zu tun, sind wir bei digitaler Transformation. Noch nicht allzu viele sind dabei weit gekommen. Alle reden darüber, alle denken darüber nach, aber bisher ist noch nicht viel in diese Richtung passiert.

Was ist notwendig, um in Sachen digitaler Transformation weiterzukommen?

Hier geht es darum, den technologischen Sprung, den die Digitalisierung mit sich bringt, zu nutzen. Wie kann man Dinge auf eine neue Art und Weise tun, vielleicht offener, mehr in Netzwerken denken  und in verschiedenen Bereichen mit anderen zusammenarbeiten? Wir nennen in diesem Zusammenhang immer gerne unseren Kunden Kaeser. Das deutsche Unternehmen stellt Kompressoren her. Es hat eine lange Tradition, eine führende Stellung, hat sich immer wieder weiterentwickelt et cetera. Dennoch gingen die Verkaufszahlen zurück. Da kam man darauf, dass das, was Kaeser-Kunden eigentlich haben wollen, komprimierte Luft oder Gas ist. Daraufhin hat das Unternehmen das gesamte Geschäftsmodell umgestellt. Nun verkauft man nicht mehr die Maschinen, sondern die Dienstleistung: Man verkauft komprimierte Luft – und die Entwicklung seitdem ist fantastisch! Mit vielen unserer Kunden sprechen wir über ähnliche Dinge. Sollte man Bohrmaschinen verkaufen oder lieber Löcher in der Wand? Allein schon, wenn man sich diese Frage stellt, werden einem ja die Augen geöffnet. Warum sollte ich als Endkonsument mir eine Bohrmaschine zulegen, wenn ich doch eigentlich nur hier und jetzt gerade ein Loch in der Wand brauche? Natürlich lässt sich das nicht auf jedes Geschäftsmodell anwenden. Aber wir Konsumenten und Unternehmen sind nicht mehr so loyal wie früher. Uns geht es um die Lösung eines Problems, nicht um ein bestimmtes Produkt. Für die Unternehmen gilt es, sich darauf einzustellen.

In welchen Branchen ist man mit der Transformation schon am weitesten?

Ich würde sagen in allen Bereichen, die uns Konsumenten am nächsten sind, zum Beispiel im Handel. Nehmen Sie einen klassischen Einzelhändler oder Grossisten hier in Schweden. Der setzt immer weniger auf Angebote für die breite Masse. Man kann das schon seit 10-15 Jahren beobachten, als alle Händler Kundenkarten eingeführt haben. Die Unternehmen erhalten dadurch Informationen, was ihre Kunden kaufen und können die Daten analysieren, um individuell angepasste Angebote zu erstellen. Was neu ist, ist die Geschwindigkeit, mit der man analysieren und Entscheidungen treffen kann. Was wollen genau Sie jetzt in diesem Moment haben? Was kann ich Ihnen anbieten? In diesen Bereichen geht es wie gesagt am schnellsten, aber auch andere Branchen sind inzwischen auf den Zug aufgesprungen. Die Industrie steht beispielsweise unter dem Einfluss sich verändernder Märkte. Auch diese Unternehmen schauen mehr und mehr darauf, wie sie sich dem Endkonsumenten nähern können. Früher hat man sich in seinen Prozessen hauptsächlich auf sein Distributionsnetzwerk konzentriert, aber nun kann man zu den Produkten auch passende Dienstleistungen und damit einen Mehrwert für den Endkunden anbieten.

Wenn wir uns die Entwicklung in Deutschland und Schweden ansehen: Wo steht Schweden bei der Umstellung auf eine digitalisierte Wirtschaft? Ist man schon weiter oder liegt man hinter Deutschland, das sich ja mit Industrie 4.0 international als Vorreiter profiliert?

Schweden ist in Sachen Digitalisierung schon weit gekommen, vor allem was Dienste für Privatpersonen angeht. In Schweden hat man schon sehr früh in Glasfasernetzwerke im gesamten Land investiert. Als Apple und Co. ihre mobilen Geräte auf den Markt gebracht haben, gab es bereits eine Infrastruktur, sodass wir die Technik sehr schnell angenommen und Gebrauch davon gemacht haben, sowohl im Privatleben als auch in der Geschäftswelt. Meine Auffassung ist, dass sich Deutschland dem Thema Digitalisierung eher von der Industrie- und Produktionsseite her nähert, die einen unheimlich starken wirtschaftlichen Motor darstellt. Hier gibt es eine sehr solide Basis. Auf der Verbraucherseite sind die Deutschen jedoch nicht ganz so schnell. Hier in Schweden sind wir darüber hinaus weit vorne, was digitale Dienste für Behördenangelegenheiten angeht, zum Beispiel beim Finanzamt oder der staatlichen Krankenkasse. Gleichzeitig würde ich aber sagen, dass der öffentliche Sektor als Ganzes noch nicht so weit damit gekommen ist, sein Kerngeschäft zu digitalisieren. Da gibt es noch viel zu tun, dessen ist man sich aber bewusst.

Können Deutschland und Schweden voneinander lernen?

Das läuft immer in beide Richtungen. Geht es um Industrie, Produktion oder Logistik sollten wir Schweden nach Deutschland blicken. Schweden wird auf der anderen Seite als führendes Land angesehen, wie man Bürgern und Verbrauchern die besten Dienste zur Verfügung stellt. Aber wie kommen wir gegenseitig an das Know-how? Das Netzwerk, das die Deutsch-Schwedische Handelskammer bietet, ist ein Mittel dazu. Dadurch treffen wir andere, die mit Deutschland zu tun haben, können uns mit ihnen austauschen und verstehen, was sie machen. Es ist leicht gesagt, dass man von anderen lernen soll, aber man muss sich erst einmal treffen und konkrete Informationen austauschen.

Wenn man über das Thema Digitalisierung spricht, geht es meist um Großunternehmen. Aber wie sollen kleinere Firmen damit umgehen, die es sich nicht leisten können, eine ganze Abteilung mit der Erstellung eines Digitalisierungskonzepts zu beauftragen?

Digitalisierung muss nicht teuer sein. Sich zu verändern, eine andere Richtung einzuschlagen, beispielsweise Löcher in der Wand anstatt von Bohrmaschinen zu verkaufen, ist natürlich für ein kleineres Unternehmen mit einem größeren Risiko verbunden. Aber heutzutage kann man klein anfangen und es muss nicht wahnsinnig teuer werden. Mit dieser Botschaft gehen wir auf kleinere Unternehmen in Schweden und dem Rest der Welt zu. Man kann zum Beispiel unsere Cloud-Lösungen mieten und muss die IT-Infrastruktur nicht selbst kaufen. Davon abgesehen sollte man aber nicht all jene Kleinunternehmen vergessen, die es vor 2-3 Jahren noch gar nicht gab. Heute existiert alles von Banken bis Einzelhändlern mit Geschäftsmodellen, die man sich bis vor wenigen Jahren noch nicht einmal vorstellen konnte. Das sind von Anfang an digitalisierte Unternehmen, die auch keine Belastungen durch „alte“ IT mit sich herumtragen.  

Gibt es etwas am heutigen Führungsstil in Unternehmen, das sich mit der Digitalisierung ändern muss?

Es ist jetzt an der Zeit, das zu tun, worüber wir schon seit so vielen Jahren sprechen – und worin wir hier in Schweden im Allgemeinen ganz gut sind: Alle, vom Chef bis zum einfachen Mitarbeiter, müssen auf andere Art und Weise in Entscheidungsprozesse eingebunden werden. Wir haben heutzutage Zugang zu ganz anderen Daten und fantastischen Analysewerkzeugen. Welchen Nutzen hat man davon, wenn man sie nicht denjenigen in die Hand gibt, die hier und jetzt die richtige Entscheidung treffen können? Die alltägliche Arbeit sollte man nicht von oben herab steuern. Das hat auch mit der Geschwindigkeit zu tun. Der Zeitraum, den man zur Verfügung hat, um Veränderungen durchzuführen oder kleine bis große Entscheidungen zu treffen, wird immer kürzer. Wenn wir die Informationen und Werkzeuge, die wir haben, nicht innerhalb des Unternehmens freigeben, können wir digitalisieren, so viel wir wollen – es wird nichts bringen.

Außer Digitalisierungsexperte sind Sie auch ausgebildeter Offizier und Pilot der britischen Luftwaffe.

Das war bereits als 4-5-Jähriger mein Traum. Damals wohnte ich in England und wollte Pilot werden – und zwar keiner, der Menschen in den Urlaub fliegt, sondern Kriegspilot. Ich habe es geschafft, mir diesen Traum zu erfüllen. Aber hier reden wir über Ende der 1970er-/Anfang der 1980er-Jahre. Das ist also schon lange her.

Sind Ihnen die Erfahrungen von damals noch heute in Ihrer Arbeit von Nutzen? Wenn ja, auf welche Art und Weise?

Das hoffe ich. Etwas, das sich meiner Meinung nach durch meine gesamte Karriere zieht, ist die Erkenntnis, dass man alleine nicht sehr weit kommt. Im Militär, als Pilot, gab es jemanden, der das Flugzeug designt, gebaut, ausgeliefert hatte, jemand hatte es gewartet, jemand die Route geplant. Ich fühle mich stets am wohlsten, wenn alle, mit denen ich zusammenarbeite, wissen, was der Zweck und das Ziel ihrer Arbeit ist und gemeinsam an einem Strang ziehen. Gute Regeln und Prozesse, wie man zusammenarbeitet und sein Ziel erreicht – das ist eigentlich recht militärisch gedacht. Aber dass ich selbst Flugzeuge fliege, das ist schon lange vorbei.