Der Text "Schweden unter der Lupe" vor der Skyline von Stockholm

Tarifverhandlungen in Schweden – im Frühjahr 2023 wird es wieder ernst

19.01.2022

Senior Advisor Prof. Hubert Fromlet analysiert die nächsten Tarifverhandlungen in Schweden: Wer hat in welchem Bereich die bessere Verhandlungsposition und warum? Welche Rolle spielen die Tarifverhandlungen in Deutschland?

Zwei für Unternehmen wichtige Themenbereiche pflege ich an dieser Stelle selten aufzugreifen – Prognosen für die schwedische Krone und für zukünftige Lohn- und Gehaltsentwicklungen. Dies aus folgenden Gründen:

Bezüglich Währungsprognosen gibt es keine zuverlässigen Modelle. Die Anzahl der potenziellen Einflussfaktoren ist zu groß. Frühere Analysen meinerseits hatten sogar ergeben, dass vierteljährliche Trefferquoten von ausgewiesenen Währungsexpertinnen und -experten für die zukünftige Entwicklung der schwedischen Krone selbst von der Richtung her zumeist deutlich unter 50 Prozent lagen.   

Auch bei Lohn- und Gehaltsprognosen sind die Rahmenbedingungen für frühzeitige Präzision sehr schlecht. Vieles muss stimmen, beispielsweise die erwartete Einschätzung der Tarifpartner für die Pandemie, die internationale und schwedische Konjunktur sowie die Entwicklung und Risiken an den Finanzmärkten.

Nur über diesen breiten analytischen Ansatz lassen sich externe und neutrale Prognosen für die Entwicklung der Reallöhne und -gehälter für den Zeitraum der Tarifvertragsdauer besser abschätzen. Den Vertragsinhalt kennt man allerdings nicht im Vorhinein. Auch die tatsächliche Inflation vor und während der Tarifverhandlungen kann Einfluss auf Verhandlungsergebnisse haben – nicht nur die Inflationserwartungen und -prognosen für die Tarifvertragsdauer.

Wie in Deutschland wird auch in Schweden die Einschätzung zukünftiger Lohn- und Gehaltsentwicklungen durch den offensichtlichen Fachkräftemangel und den seit Jahren abnehmenden gewerkschaftlichen Organisationsgrad weiter erschwert. Dies wird in der Debatte teilweise bestritten.

Breites Zeitfenster für kommende Tarifverhandlungen

Schon im Frühjahr dieses Jahrs stehen für die meisten schwedischen Unternehmen Lohn- und Gehaltsverhandlungen auf lokaler Ebene an – allerdings ohne Streikrecht. Dennoch ist die Ausgangsposition der Arbeitnehmer bei den nächsten lokalen Verhandlungen recht günstig. Dies liegt zum einen am Fachkräftemangel und zum anderen an der guten Geschäftslage vieler Unternehmen. Erschwert wird die Verhandlungsposition der Unternehmen aufgrund der schon seit geraumer Zeit und mindestens bis in den Sommer 2022 hinein sinkenden Reallöhne.

„Erschwert wird die Verhandlungsposition der Unternehmen aufgrund der schon seit geraumer Zeit und mindestens bis in den Sommer 2022 hinein sinkenden Reallöhne.“

Im Herbst 2022 werden die Vorstellungen der Gewerkschaften für die zentrale Super-Verhandlungsrunde im Frühjahr 2023 konkretisiert. Dabei gilt das Interesse in erster Linie den Tarifverträgen in der Industrie, die traditionell als Norm für andere Gewerkschaften betrachtet werden.

Der gegenwärtige Inflationsanstieg in Schweden – temporär oder nachhaltig?

Auch in Schweden wird derzeit eifrig diskutiert, inwiefern der in den letzten Monaten unerwartet rasche Anstieg der Inflation als vorübergehend oder teilweise auch als strukturell zu sehen ist. Im Dezember 2021 erhöhten sich die Konsumentenpreise im Vergleich zum entsprechenden Vorjahresmonat um 4,1 Prozent (ohne Berücksichtigung von Zinsänderungen, Richtgröße für die Geldpolitik). Diese Zahl entspricht der höchsten Inflationsrate seit nahezu 30 Jahren. Anfang 2021 lag der Inflationsanstieg noch bei 1,6 Prozent.

Noch scheint die Meinung zu dominieren, dass es sich bei dem spürbaren Inflationsanstieg seit dem Spätsommer letzten Jahres um einen kurzfristigen Ausrutscher handelt. So argumentieren die meisten schwedischen Ökonominnen und Ökonomen – auch die Reichsbank.

„Noch scheint die Meinung zu dominieren, dass es sich bei dem spürbaren Inflationsanstieg seit dem Spätsommer letzten Jahres um einen kurzfristigen Ausrutscher handelt.“

Etliche der preistreibenden mikroökonomischen globalen Entwicklungen werden sich wohl in absehbarer Zeit wieder beruhigen – aber sämtliche? Dies kann durchaus bezweifelt werden. Außerdem wird sich der Fachkräftemangel nicht bis zum Start der Tarifverhandlungen beseitigen lassen. Es ist anzunehmen, dass dieser Engpass am Arbeitsmarkt als strukturell und somit auch über einen längeren Zeitraum hinweg als inflationstreibend zu bewerten ist. Unsicher ist zudem, ob und in welchem Ausmaß Kostensteigerungen noch auf Produzenten und Konsumenten überwälzt werden – und wie lange ein derartiger Prozess dauern könnte.

Reallöhne rücken in den Vordergrund

In meiner gerade publizierten Analyse für die kommenden deutschen Tarifverhandlungen (auf Schwedisch) liegt die Schlussfolgerung auf der Hand, dass es den Gewerkschaften bei den nächsten breiten Verhandlungen im nächsten Jahr in erster Linie um eine akzeptable Erhöhung der realen Tariflöhne geht. Auch in Schweden dürfte man von einer ähnlichen Priorisierung ausgehen, zumal Experten von einer relativ günstigen Entwicklung der Arbeitslosigkeit in diesem Jahr ausgehen. Seit Herbst 2021 wird ein Großteil von Schwedens Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern mit negativen Reallöhnen und -gehältern konfrontiert.

Zuwachsraten der deutschen Löhne und Gehälter pflegen bei den schwedischen Tarifverhandlungen aus Wettbewerbssicht eine wichtige Rolle zu spielen. Da diese nicht gerade niedrig ausfallen dürften, wird es wohl nicht allzu schwierig für die schwedischen Gewerkschaften sein, nach jetziger Erkenntnis etwas unter den deutschen Tarifabschlüssen im Frühjahr 2023 zu bleiben und dennoch höhere reale Tariflöhne zu erzielen.

Allerdings lässt sich die Geltungsdauer der kommenden Tarifverträge noch nicht ausmachen. In Schweden einigte man sich seit geraumer Zeit vorzugsweise auf zwei- bis dreijährige Tarifabkommen.

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Hubert Fromlet

Affiliierter Professor an der schwedischen Linné-Universität und Senior Advisor der Deutsch-Schwedischen Handelskammer

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