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Foto: Christian Kruppa

Siegfried Russwurm: Schweden kommt Schlüsselrolle bei wirtschaftlicher Sicherheit zu

08.03.2023

Die Wettbewerbsfähigkeit Europas ist ein zentrales Thema für die Wirtschaft. Exportweltmeister Deutschland hat im vergangenen Jahr sowohl Weltmarktanteile als auch an Wettbewerbsfähigkeit verloren. Das Thema wird auf der Jahrestagung der Deutsch-Schwedischen Handelskammer im Mai diskutiert. Vor dem Besuch haben wir den Gastredner Siegfried Russwurm, BDI-Präsident und auch Vorstandsmitglied der Handelskammer, zu einem Gespräch eingeladen.

Deutsch-Schwedische Handelskammer: Wie schätzen Sie die aktuelle wirtschaftliche Lage in Deutschland ein? Ist die vielfach prognostizierte Rezession bereits abgewendet?

Siegfried Russwurm: Die Gefahr einer Rezession ist real, es gibt keinen Grund zur Entwarnung. Der BDI rechnet für dieses Jahr mit einem leichten Rückgang des Bruttoinlandsprodukts in Deutschland von 0,3 Prozent. Aufgrund des durch Corona verursachten Wirtschaftseinbruchs blicken wir auf zweieinhalb verlorene Jahre. Besonders die Entwicklung im Außenhandel ist beunruhigend: Das Exportland Deutschland hat im vorigen Jahr Weltmarktanteile und Wettbewerbsfähigkeit verloren. Die EU-Mitgliedstaaten müssen sich für weitere Freihandelsabkommen stark machen – auch im Sinne der Internationalisierung der europäischen Wirtschaft über eine handelspolitische Strategie der Diversifizierung in den globalen Märkten.

Wo steht der Wirtschaftsstandort Deutschland im internationalen Vergleich heute? Was bedeuten insbesondere die hohen Energiekosten oder der Fachkräftemangel für den Standort und seine längerfristige Attraktivität?

Trotz der kurzfristigen Erholung an den Märkten ist die Lage angesichts der Energiekosten weiterhin ernst. Die aktuellen Gas- und Strompreise sind noch ein Vielfaches des Vorkrisenniveaus. Jetzt ist wichtig, das Angebot an allen Stellen ohne ideologische Scheuklappen auszuweiten. Auch den Fachkräftemangel muss man differenziert betrachten: Die Corona-Delle ist aufgeholt und die bisherige Höchstzahl an Erwerbstätigen aus dem Vorkrisenjahr 2019 übertroffen worden. Dennoch ist angesichts der demografischen Entwicklung davon auszugehen, dass die Engpässe bei Fach- und Arbeitskräften weiter zunehmen werden. Neben der Mobilisierung des heimischen Arbeitskräftepotenzials und weiteren Anstrengungen in Bildung, Aus- und Weiterbildung gehört zu einer solchen Gesamtstrategie auch die Zuwanderung von Fach- und Arbeitskräften.

Wir feiern dieses Jahr 30 Jahre europäischen Binnenmarkt. Was wird im globalen Kräftemessen notwendig, um diese Erfolgsstory Europas auch zukünftig zum Wohle seiner Bürgerinnen und Bürger weiterzuschreiben?

Der Industriestandort Europa steht an einem kritischen Punkt. Der neu vorgelegte Green-Deal-Industrieplan erkennt richtigerweise die zentrale Rolle der Industrie in der Transformation zur Klimaneutralität an. Europa braucht klare Rahmenbedingungen, um die bestehenden Investitionshemmnisse abzubauen. Aktuell dauert der Infrastrukturausbau viel zu lange. Zu oft verlieren wir uns in kleinteiligem Regelwerk und den hochkomplexen Vorschriften zu Planungs- und Genehmigungsverfahren, anstatt marktwirtschaftliche Lösungen anzureizen. Europa muss außerdem auf die Stärke seiner industriellen Wertschöpfungsketten setzen, nicht nur auf einzelne Technologien. Der EU-Beihilferahmen muss daher flexibler und der Zugang zu Förderprogrammen unbürokratischer werden. Jetzt hat die Europäische Kommission den Auftrag, Tempo aufzunehmen, um die EU im weltweiten Wettbewerb deutlich attraktiver zu machen. Europa hat keine Zeit dabei zu verlieren, dafür sind attraktive Rahmenbedingungen für Wirtschaft und Investitionen das A und O.

Und zuletzt ein Blick auf Schweden und seine Wirtschaft: Wo sehen Sie konkrete Ansatzpunkte, um gemeinsam mit unserem nordischen Partner und seinen Potenzialen Antworten auf das Gemengelage an globalen Herausforderungen zu finden?

Schweden hat sehr viel zu bieten, was Deutschland braucht. Wir wissen um die Stärke Schwedens bei Innovationen, vor allem bei Energie und Digitalem. Für beides ist Deutschland ein attraktiver Markt für schwedische Unternehmen. Das sehen wir bei geplanten Großinvestitionen. Mit der Zeitenwende kommt es für unsere Unternehmen verstärkt darauf an zu diversifizieren. Das gilt insbesondere für das Sourcing von Technologien. Schweden ist als demokratisches Land ein äußerst verlässlicher Partner. Mit dem bevorstehenden Nato-Beitritt dürften sich neue Räume eröffnen. Optimistisch bin ich zum Beispiel mit Blick auf die Sicherheitsindustrie. Dass Schweden und dem gesamten nordischen Raum eine Schlüsselrolle bei wirtschaftlicher Sicherheit zukommt, hat auch die Bundesregierung erkannt. Schauen Sie nur, wie viele Besuche von Kabinettsmitgliedern in etwas mehr als einem Jahr stattgefunden haben. Wir begrüßen das ausdrücklich und setzen auf noch mehr Kooperation von Unternehmen aus unseren Ländern.