Blaue Wand, Schatten von Menschen und der Text "Wirtschaftliche Einschätzungen zum Coronavirus. Prof. Hubert Fromlet kommentiert für die Deutsch-Schwedische Handelskammer"

Schweden weicht vom Sonderweg ab

26.11.2020

Wegen rapide ansteigender Fallzahlen verlässt Schweden langsam aber sicher den Sonderweg in der Bekämpfung der Coronapandemie. Unser Senior Advisor Prof. Hubert Fromlet analysiert, welche Auswirkungen das auf die Konjunktur des Landes haben könnte.

Schwedens Regierung und vor allem die oberste Gesundheitsbehörde Folkhälsomyndigheten (FHM) sind lange Zeit ihren gemeinsamen Sonderweg gegangen. Von März bis vor wenigen Wochen überließ die Regierung so gut wie jede Maßnahme gegen Corona den oft inflexiblen Interpretationen der FHM, unter anderem wegen gesetzlicher Beschränkungen.

Nachdem es im Oktober noch zu einigen Lockerungen gekommen war, begann die Regierung in den letzten Wochen – wegen rapide ansteigender Ansteckungszahlen – schließlich doch, sich mehr um die Richtlinien und Details der Corona-Bekämpfung zu kümmern.

Seit Mitte November gehört Schweden sogar zu den am härtesten betroffenen Ländern innerhalb der EU mit 466 Neuansteckungen im rollenden 7-Tagesdurchschnitt per 1 Million Einwohner – ganze 250 Neuansteckungen mehr als zeitgleich in Deutschland (Stand: 24. November 2020).

Die Grafik wird täglich aktualisiert (Stand: 26.11.20). Quelle: Our World in Data.


In Schweden sieht man allerdings die eigene miserable Entwicklung zumeist wesentlich gelassener als im vergleichsweise verschonten Deutschland.

Ungeduld der Regierung

Seit Mitte März war deutlich zu erkennen, dass die Strategie der schwedischen Regierung stark auf Selbstdisziplin der Bevölkerung und hohem Vertrauen in die öffentlichen Institutionen basierte, vor allem in FHM. Der allgemeine Tenor war, dass die Experten der Behörden das Sagen haben sollten.

An dieser Strategie änderte sich auch über den Sommer hinweg kaum etwas. Aufgrund saisonbedingter niedriger Zahlen für Neuinfektionen und Todesfälle wähnte sich FHM mit ihrem Interpretationsmonopol voreilig in falscher Sicherheit, bis schließlich die Zahl der Neuansteckungen ab Ende September in die Höhe schnellte.

Noch Ende Oktober wurden sogar die bestehenden Restriktionen für öffentliche Menschenansammlungen gelockert – von 50 auf 300 Personen. Zuletzt gab es aber wieder einen Rückzieher auf lediglich 8 Personen; für die letztgenannten Maßnahmen ist allerdings die Regierung verantwortlich, nicht FHM.

„Offensichtlich riss der Geduldsfaden der schwedischen Regierung, was einen Machtentzug für die oberste Gesundheitsbehörde zur Folge haben sollte.“

Offensichtlich riss inzwischen der Geduldsfaden der schwedischen Regierung, was einen gewissen Machtentzug für FHM zur Folge haben sollte. Es geht der Regierung sichtlich darum, mehr Eigenverantwortung zu übernehmen. Die Passivität der Regierung war schon mehrmals öffentlich angesprochen worden, meinerseits auf dieser Webseite und zuletzt auch vom international anerkannten Wirtschaftsprofessor Lars Calmfors.

Mir erscheint logisch, dass Ministerpräsident Löfven und seine Regierung von nun an bessere Zukunftsanalysen von FHM verlangen werden. Gerade in diesem Bereich war FHM seit Anfang März wenig erfolgreich. Andere Experten machten dies besser.

Merkwürdig ist auch, dass FMH noch immer nicht zum Tragen von Schutzmasken rät – auch nicht nach der zuletzt heftigen Kritik von Wissenschaftlern der Royal Swedish Academy of Sciences (Kungliga Vetenskapsakademien).

Kampf gegen Covid-19 entscheidend für die Konjunktur

Noch immer nimmt sich die Corona-Transparenz bei FHM zu dürftig aus. Das oben abgebildete Diagramm – offiziell in Schweden nie benutzt – zeigt Schwedens enorme Probleme mit der Pandemie und die damit verbundene wirtschaftliche Unsicherheit im nächsten Jahr mehr als deutlich.

Für viele Konjunkturanalytiker stellt sich derzeit die Frage, warum sich die Stimmung auf den Märkten und bei einer Vielzahl von Prognostikern gegenwärtig besser darstellt als es die Fakten der Wirtschafts- und Coronastatistik nahelegen (was jedoch nicht unbedingt falsch sein muss). Die Antwort hängt größtenteils von einer positiven zukünftigen Entwicklung einiger Schlüsselfaktoren ab, vor allem von

  • der Entwicklung der schwedischen Corona-Neuinfektionen,
  • der Entwicklung der zukünftigen Corona-Neuinfektionen in Europa und die damit verbundenen schwedischen Exportaussichten,
  • den Corona-bedingten Problemen vieler Dienstleister in Schweden und weltweit,
  • dem Neustart der US-amerikanischen Politik und
  • der baldigen Einführung von Impfstoffen gegen Covid-19.

Positive Wirtschaftserwartungen sind demnach auch in Schweden eine Funktion von baldiger und erfolgreicher Einführung von Impfstoffen. Ein derartiger Erfolg ist seinerseits an die Erfüllung wichtiger Voraussetzungen geknüpft, beispielsweise an

  • pünktliche und ausreichende Lieferungen des Impfstoffs,
  • hinreichende Lagerungsmöglichkeiten (Volumen und Temperatur),
  • funktionierende Distribution,
  • das Ausbleiben schwerer medizinischer Nebenwirkungen,
  • die aktive und ausreichender Impfteilnahme der Bevölkerung.

Fazit

Insgesamt lässt sich noch nicht allzu viel Konkretes über die schwedische Konjunkturentwicklung im Jahr 2021 sagen. Es bleibt zu hoffen, dass die Weichen derzeit erfolgversprechend gestellt werden, nicht zuletzt für den vielseitigen Kampf gegen Covid-19. Noch wissen wir aber zu wenig darüber. Daher sollten Unternehmen die Entwicklung des Coronavirus auch weiterhin genau verfolgen – wenn möglich mit eigenem Blick auf die Zahlen und nicht ausschließlich über Sekundärquellen.

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Hubert Fromlet

Affiliierter Professor an der schwedischen Linné-Universität und Senior Advisor der Deutsch-Schwedischen Handelskammer

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