Nykterhetsnämndens expedition vid Kungsholmstorg 1930.

Foto: Harry Jonasson/Stockholms stadsarkiv (1930)

Foto einer Ankerwickelei im Bosch-Zündwerk Stuttgart, 1927.

Ankerwickelei im Bosch-Zündwerk Stuttgart, 1927.

Foto: Bosch

Werbung für einen Staubsauger von Electrolux aus den 60er-Jahren.

Werbung für einen Staubsauger von Electrolux aus den 60er-Jahren.

Foto: Electrolux Group

Test neuer Herde bei Elektriska AB Helios in Stockholm.

Test neuer Herde bei Elektriska AB Helios in Stockholm.

Foto: Elektriska Group

Deutsch-schwedische Wirtschaftsbeziehungen im Laufe der Jahrhunderte: Kommen Sie mit auf eine Zeitreise!

17.08.2021

Die erfolgreichen Geschäftsbeziehungen zwischen Deutschland und Schweden haben eine lange Geschichte. Doch wie ist es eigentlich zu der engen Zusammenarbeit gekommen? Tauchen Sie mit uns ein in die Geschichte der Wirtschaftsbeziehungen zwischen den beiden Ländern. Die Deutsch-Schwedische Handelskammer hat zusammen mit dem schwedischen Wirtschaftsjournalisten und Unternehmenshistoriker Ronald Fagerfjäll, Centrum för Näringslivshistoria (Zentrum für Geschichte des Wirtschaftslebens), einen Überblick zusammengestellt.

Deutsch-Schwedische Handelskammer: Unsere Handelskammer wurde 1951 gemeinsam von der deutschen und schwedischen Wirtschaft gegründet. Was hat diese Zeit besonders geprägt?

Ronald Fagerfjäll

Ronald Fagerfjäll: Die Folgen des Zweiten Weltkriegs waren damals noch sehr präsent. 1951 wurde die Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl (EGKS oder Montanunion) von sechs europäischen Ländern ins Leben gerufen. Ziel war es, die Produktion und den Verkauf von Kohle und Stahl unter eine gemeinsame Aufsicht zu stellen. Damit war der Grundstein für die EU gelegt, der Schweden allerdings erst 1995 beigetreten ist.

Marshallplan kurbelt Wiederaufbau an

Ein weiterer wichtiger Meilenstein in der Entwicklung der deutsch-schwedischen Handelsbeziehungen war der Marshallplan, der im Sommer 1947 vom damaligen US-Außenminister George Marshall initiiert wurde: ein Kredit- und Hilfsprogramm für den Wiederaufbau Europas nach dem Zweiten Weltkrieg.

„Dank des Marshallplans konnten die zerbombten europäischen Städte innerhalb weniger Jahre wieder aufgebaut werden“, erklärt Ronald Fagerfjäll. „Die Verwüstungen des Krieges waren in Deutschland am stärksten zu spüren, daher waren hier auch die positiven Effekte des Hilfsprogramms am sichtbarsten. Die westdeutsche Industrie wurde wieder aufgebaut und moderne Fabriken wurden errichtet, in denen mithilfe neuester Technik Autos, Fernseher und andere Elektro- oder Nischenprodukte hergestellt wurden. Das amerikanische Hilfsprogramm umfasste rund 15 Milliarden Dollar und zu den westeuropäischen Ländern, die Kredite und Zuschüsse erhielten, gehörte auch Schweden.“

Eine von Bomben zerstörte Fabrik von Bosch 1944 und ein moderner Fernsehapparat 10 von Blaupunkt 10 Jahre später.
Eine von Bomben zerstörte Fabrik von Bosch 1944 und ein moderner Fernsehapparat 10 von Blaupunkt 10 Jahre später. Fotos: Bosch

Schwedisches Eisenerz bedeutsam für Deutschland

Nach dem Zweiten Weltkrieg begann so eine neue, zukunftsorientierte Ära, die die Voraussetzungen für Innovationen und neues Denken schuf. Auch Schweden profitierte davon: Dort gab es Eisenerz, welches seit Langem die Beziehungen zu Deutschland prägte:

„Die Eisenerzvorkommen waren auch einer der Gründe, weshalb Schweden nicht am Zweiten Weltkrieg beteiligt war“, so Fagerfjäll. „Das schwedische Erz war qualitativ hochwertig und es war wichtig, dass die Lieferungen von LKAB [nordschwedisches Bergbauunternehmen, Anm. d. Red.] funktionierten. Die Transporte gingen über die Ostsee oder das norwegische Narvik gen Süden.“

„Nach dem Krieg stieg die Nachfrage nach schwedischen Produkten stark an. Schwedische Fabrikanten und Unternehmer wurden immer übermütiger.“

„Nach dem Krieg stieg die Nachfrage nach schwedischen Produkten stark an. Schwedische Fabrikanten und Unternehmer wurden immer übermütiger“, erklärt Fagerfjäll weiter. „1955 kamen die schweren Motoren für Nutzfahrzeuge und die Industrie lief auf Hochtouren. Meine Eltern, die aus dem Arbeitermilieu kamen, konnten ihre Realeinkommen innerhalb von zehn Jahren verdoppeln und sich sogar einen Volkswagen leisten. Doch in den frühen 1970er-Jahren hatte Deutschland aufgeholt. Die Löhne waren in Schweden einfach zu stark gestiegen.“

Zwischen Schweden und Deutschland liegt die Ostsee. Welche Bedeutung hatte sie für die Wirtschaftsbeziehungen?

Ronald Fagerfjäll: Die Ostsee definiert das deutsch-schwedische Verhältnis. Schweden ist nur eine Seereise von Deutschland entfernt und historisch gesehen war dies der beste Transportweg zwischen den beiden Ländern. Die Verbreitung der Hanse im Ostseeraum ist ein Beispiel dafür.

Gustav Wasas Lehren aus Deutschland

Blickt man einige Jahrhunderte zurück, kann auch Schwedens legendärem König Gustav Wasa (1496–1560) eine große Bedeutung für die deutsch-schwedischen Beziehungen zugeschrieben werden. Wasa, der Latein und Deutsch an der Universität Uppsala studiert hatte, führte in seinem Königreich eine starke Zentralregierung mit einer effizienten Bürokratie und eine evangelische Staatskirche nach den Lehren Martin Luthers ein.

Hatten die schwedischen Könige auch einen großen Einfluss auf die deutsch-schwedischen Beziehungen?

„Er musste sich seine Legitimation aus Deutschland holen, da die katholische Kirche ihn nicht anerkannte. Zu dieser Zeit gab es Deutsche überall in Schweden: Akademiker, Techniker und Geschäftsleute“, erklärt Fagerfjäll.

„Aber die Reformation im 16. Jahrhundert führte zu religiösen und sozialen Konflikten, die im folgenden Jahrhundert in den Dreißigjährigen Krieg mündeten. Als 1648 schließlich der Westfälische Frieden unterzeichnet wurde, war Schweden eine Großmacht. Hierzulande wird der Dreißigjährige Krieg meist mit großen militärischen Erfolgen in Verbindung gebracht. In Deutschland assoziiert man ihn jedoch eher mit großen Verwüstungen und Zerstörungen, die an die Weltkriege des 20. Jahrhunderts erinnern.“

Gustav II. Adolf von Schweden bei der Schlacht bei Lützen, gemalt von Jan Asselijn 1632.
Gustav II. Adolf von Schweden bei der Schlacht bei Lützen, gemalt von Jan Asselijn 1632.

Schweden offen für deutsche Einflüsse

Als Mitglied im damaligen deutschen Reichsverband und als einer der Friedensgaranten wurde Schweden in Europa geachtet. Zwei der schwedischen Gebiete in Deutschland, Pommern und Wismar, waren von besonderer Bedeutung für die Entwicklung des schwedischen Ostseeimperiums. Teile Pommerns waren bis 1815 in schwedischem Besitz, die Stadt Wismar formell sogar bis 1903.

In dieser Großmachtzeit war Schweden sehr offen für kulturelle und wirtschaftliche Einflüsse aus anderen europäischen Ländern. Die Handwerkskunst und das berufliche Können der Deutschen wurden in Schweden gefördert und das Land begann, sich ein geordnetes Kommunikationssystem zuzulegen. Laut Ronald Fagerfjäll waren hierbei mehrere Faktoren von entscheidender Bedeutung:

„Die Eisenproduktion legte den Grundstein für die verarbeitende Industrie in Schweden.“

„Die Eisenproduktion legte den Grundstein für die verarbeitende Industrie in Schweden, der Handel erlebte einen großen Aufschwung und dadurch erhielt Stockholm eine zentrale Rolle. Die deutsche Schmiedemethode hatte bereits zu Beginn des 17. Jahrhunderts in Schweden Einzug gehalten und wurde bis in die 1850er-Jahre in schwedischen Eisenhütten eingesetzt.“

„In der sogenannten Freiheitszeit im 18. Jahrhundert, als man die Stellung als Großmacht zu verlieren begann, entwickelte sich Schweden zu einem nach damaligen Maßstäben demokratischen Land“, ergänzt Fagerfjäll. „Es herrschte Frieden und für die meisten gab es genug zu essen, obwohl das Bevölkerungswachstum hoch war. Die Entwicklung Stockholms stagnierte, während Göteborg an Bedeutung gewann. Das südschwedische Schonen, das früher zu Dänemark gehört hatte, wurde zur Kornkammer des Landes. Die Demokratisierung endete aber abrupt mit dem Staatsstreich, der von König Gustav III. in die Wege geleitet wurde.“

„Bald gingen nahezu die gesamten schwedischen Erzexporte ins Ruhrgebiet.“

Mit der Gründerzeit Ende des 19. Jahrhunderts wurde Deutschland liberaler und das wirtschaftliche Leben nahm mit vielen neuen Branchen Fahrt auf. In Schweden baute das Unternehmen Svenska Högbo Stål & Jernwerk (aus dem sich später Sandvik entwickeln sollte) ein riesiges Stahlwerk in Sandviken, in dem das neue Bessemer-Verfahren angewandt wurde. Die Konkurrenz aus dem deutschen Ruhrgebiet, wo es billige Steinkohle gab, war jedoch zu groß und so fokussierte man sich schließlich auf die Herstellung von Komponenten. Bald gingen nahezu die gesamten schwedischen Erzexporte ins Ruhrgebiet und dank des neuen Thomas-Verfahrens konnte man ab den 1890er-Jahren auch phosphorreiche Erze aus dem mittelschwedischen Grängesberg sowie aus Lappland verwenden. Deutschland wurde so noch wichtiger für Schweden.

Deutsch-schwedische Wechselwirkungen

Können Sie konkrete Beispiele für deutsche Innovationen nennen, die die schwedische Wirtschaft entscheidend mitgeprägt haben?

Ronald Fagerfjäll: Deutschland war an der Entwicklung des Separators beteiligt, der den Rahm von der Milch abschöpft und in den 1890er-Jahren maßgeblich zur Industrialisierung Schwedens beigetragen hat. Sein Erfinder Gustaf de Laval hatte von einer deutschen Maschine erfahren, deren Konstruktion auf der Zentrifugalkraft beruhte. Sie trennte den Rahm von der Milch, sodass dieser abgeschöpft werden konnte. Durch de Lavals Weiterentwicklung des deutschen Lefeldt-Verfahrens konnten Milch und Rahm dann mechanisch getrennt werden. Für seine Konstruktion meldete er ein Patent an und gründete das Unternehmen AB Separator. Als Separator 1889 das Patent des Deutschen Clemens Freiherr von Bechtolsheim für Alphaplatten aufkaufte, kam der Durchbruch: Die Separatoren fanden fortan weltweit Absatz. Um 1900 war kein schwedisches Unternehmen profitabler. Alfa Laval, so der spätere Firmenname, stellt auch heute noch Separatoren und andere Komponenten her.

Gustaf de Laval und Werbung für den Separator.
Gustaf de Laval und Werbung für den Separator.


Darüber hinaus haben deutsche Handwerkstraditionen wie Gesellenwanderungen und Zünfte geprägt. Hier war Deutschland Vorreiter.

„Schweden ist großenteils von Deutschen erbaut, deren Fachkenntnisse zur damaligen Zeit beispiellos waren.“

„Schweden ist großenteils von Deutschen erbaut, deren Fachkenntnisse zur damaligen Zeit beispiellos waren: Kirchen und Altarbilder, Universitäten, ja ganz Mittelschweden wurde über Jahrhunderte von Deutschen erbaut“, erklärt Fagerfjäll. „Dabei handelte es sich um Künstler, Freimaurer, Handwerker, Schauspieler, Akademiker – und alle hatten sie ihre Zusammenschlüsse.“

Auch der heutige Telekommunikationsriese Ericsson hat eine deutsch-schwedische Geschichte. Kleine Unternehmen konnten zur damaligen Zeit kräftig wachsen, wenn sie die richtigen Entscheidungen zur richtigen Zeit trafen und früh über die schwedischen Landesgrenzen hinweg nach Wachstumsmöglichkeiten suchten.

„Mit seinen eingekauften LM Ericsson-Telefonen, die im Grunde Kopien deutscher Siemens & Halske-Apparate waren, forderte Henrik Cedergren die amerikanische Bell Telephone Company heraus. Dank Cedergrens Geschäftssinn und seinem Motto ‚ein Telefon in jedem Haushalt zum kleinen Preis‘ entstand das beste Telefonsystem der Welt. Bald hatte Stockholm die meisten Anschlüsse weltweit.“

„Auch Kugellager waren zunächst eine deutsche Geschäftsidee. Mit dem sphärischen Kugellager des Erfinders Sven Wingquist konnte Svenska Kullagerfabriken (SKF) nach dem Ende des deutschen Monopols aber schnell internationale Märkte erobern“, so Ronald Fagerfjäll weiter. „Ein anderes Beispiel ist Axel Wenner-Gren, ein junger Mann aus dem westschwedischen Uddevalla, der nach Deutschland ging und dort auf den Staubsauger aufmerksam wurde – ein amerikanisches Produkt, das damals bereits in Deutschland verkauft wurde und dessen Vertrieb er zeitweise übernahm. Wegen des ersten Weltkriegs kam Wenner-Gren zurück nach Schweden und gründete hier schließlich das Unternehmen, das später zum Weltkonzern Electrolux werden sollte.“

Werbung von Electrolux aus den 1920er-Jahren. Foto: Electrolux Group
Werbung von Electrolux aus den 1920er-Jahren. Foto: Electrolux Group

Eng miteinander verflochtene Beziehungen

Heute sind die deutsch-schwedischen Geschäftsbeziehungen stärker denn je. Ronald Fagerfjäll nennt mehrere Beispiele dafür, wie der Austausch von Waren, Dienstleistungen und Know-how beiden Ländern zugutekommt und wie er weiterentwickelt werden kann:

  • Unsere Wertschöpfungsketten sind eng miteinander verflochten und Schweden ist oft Teil des deutschen Produktionssystems. Sowohl in Deutschland als auch in Schweden werden zum Beispiel Autos gebaut. Die Komponenten der in Schweden von Volvo oder Scania hergestellten Fahrzeuge stammen häufig aus Deutschland.
  • In Deutschland erwartet man hohe Qualität. Viele Premiummarken schwedischer Unternehmen kommen aus Deutschland, zum Beispiel AEG bei Electrolux und Walter bei Sandvik. Schwedische Unternehmen hatten es auf dem deutschen Markt nicht immer leicht gehabt und mussten ihr Angebot anpassen.
  • Deutsche gehen ungern Kompromisse bei der Qualität ein. In Schweden neigt man mehr dazu, auch mal eine Abkürzung zu nehmen, um schneller ans Ziel zu kommen. Hier können sich Deutschland und Schweden ergänzen.
  • Lidl hat den Lebensmittelhandel in Schweden auf den Kopf gestellt und gezeigt, dass billig nicht gleichbedeutend mit schlechter Qualität ist. In der Vergangenheit haben die Schweden viel zu viel für Lebensmittel bezahlt.
  • Ich möchte auch den Brexit als treibende Kraft erwähnen: Diese Tragödie zwingt Schweden, das deutsche System stärker in Anspruch zu nehmen, was zum Beispiel schwedische Venture-Capital-Gesellschaften bereits eingesehen haben.
  • Wir brauchen Europa, Europa braucht uns. Und obwohl viele Deutsche inzwischen besser Englisch sprechen als früher, müssen wir den Deutschunterricht in Schweden unbedingt stärker fördern.

Sie wollen noch mehr über die deutsch-schwedische Wirtschaftsgeschichte erfahren? Hier finden Sie einige Meilensteine, die die Beziehungen zwischen den Ländern seit Mitte des 19. Jahrhunderts entscheidend mitgeprägt haben.