
Foto: Centrum för Näringslivshistoria / Alexander Ruas

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Foto: Electrolux Group
„Die Krise ist einzigartig in der Geschichte der Wirtschaft“
Die Wirtschaft befindet sich mitten in einer Krise der seltenen Art und viele Unternehmen kämpfen um ihr Überleben. Alexander Husebye, Geschäftsführer des schwedischen Centrum för Näringslivshistoria (Zentrum für Geschichte des Wirtschaftslebens), blickt aus wirtschaftsgeschichtlicher Perspektive auf die aktuelle Situation und erklärt die Hintergründe der heute engen deutsch-schwedischen Geschäftsbeziehungen.
Deutsch-Schwedische Handelskammer: Wie wird die Coronakrise einmal in der Wirtschaftsgeschichte beschrieben werden? Können wir sie mit einem anderen Phänomen im 20. Jahrhundert vergleichen?
Alexander Husebye: Diese Krise ist einzigartig. Vergangene wirtschaftliche Flauten und Depressionen waren immer auf Probleme einer bestimmten Branche zurückzuführen, wie etwa der Immobilien- und Finanzbranche. Dieses Mal ist noch Geld im System, es kann allerdings nicht mehr ausgegeben werden. Wir haben es mit einem Rückgang der Gesamtnachfrage zu tun, worauf ein Angebotsrückgang folgt. Der Abschwung einer Branche wirkt sich dabei auf die nächste aus und so weiter. Schon jetzt sehen wir, dass Unternehmen verschwinden. Gleichzeitig beobachten wir Unternehmen, die sich mitten in der Krise verändern und neue Geschäftsmöglichkeiten schaffen. Man könnte die Coronakrise höchstens mit Kriegsjahren vergleichen, aber auch hier gibt es Unterschiede. In der Wirtschaftsgeschichte ist das, was wir derzeit zu sehen glauben, einzigartig. Noch sind wir mitten in der Krise und weit von einem Überblick über die Ereignisse entfernt. Damit die zukünftige Forschung ein besseres Verständnis bekommen kann, dokumentieren wir die Krise nun in Echtzeit. Zudem stellen wir fest, dass viele neue Ansätze verfolgt werden. Zum Beispiel stellen schwedische und deutsche Unternehmen die Produktion in Schweden um, um das Gesundheitswesen zu unterstützen. Darüber wird es in Zukunft viel zu erzählen geben.
Die deutsche und die schwedische Wirtschaft sind seit Langem miteinander verflochten. Wie kam es zu dieser engen Beziehung?
Unsere beiden Länder sind Handelsnationen, die schon immer Geschäftsmöglichkeiten außerhalb ihrer eigenen Grenzen gesucht haben. Unsere Wege haben sich früh gekreuzt, entsprechend blicken wir in vielen Bereichen auf eine lange gemeinsame Geschichte zurück: von der Hanse über die Industrialisierung bis zum heutigen Austausch im Technologiebereich. Nicht zu vergessen ist die Bedeutung Deutschlands als größter Exportmarkt Schwedens. Und: Mehrere Gründer schwedischer Unternehmen, wie etwa Lars Magnus Ericsson (Ericsson) und Axel Wenner-Gren (Electrolux), haben in Deutschland studiert und ihre Eindrücke in ihr eigenes Unternehmertum einfließen lassen und sprachen außerdem fließend Deutsch.
Welche deutsch-schwedische Innovation ist Ihrer Meinung nach ganz besonders hervorzuheben?
Alfa Laval und der Separator – ein älteres, bekanntes und wichtiges Beispiel, das auf gegenseitigem Austausch beruht. Gustaf de Laval baute seine Innovation auf deutschem Vorbild auf und machte sie effektiver. Wirtschaftliche Bedeutung gewann die Innovation allerdings erst, als sie mit einem neuen deutschen Patent kombiniert wurde. Dadurch wurden die kleinen, agilen Separatoren rentabel und konnten in der damals noch wenig mechanisierten Landwirtschaft eingesetzt werden. Außerdem war der deutsche Markt, der übrigens weiter entwickelt war als der schwedische, ausschlaggebend für den internationalen Durchbruch des Produkts. Dieses Beispiel zeigt, wie komplexe Innovationssysteme auch über Landesgrenzen hinweg funktionieren.
Wie groß ist im Allgemeinen das Interesse von Unternehmen an der eigenen Geschichte?
Einige Unternehmen nutzen ihre Geschichte aktiv im Marketing und in ihrer Kommunikation. Zahlreiche sehen sie jedoch noch nicht als Ressource oder Vermögenswert an. Hier ist ein Unterschied zwischen deutschen und schwedischen Unternehmen erkennbar: Die deutschen haben mehr Erfahrung damit, ihre Geschichte zu bewahren und zu erzählen. Dazu gehören große Konzerne wie Mercedes-Benz, Deutsche Bank und Adidas, aber auch viele mittelständische Familienunternehmen setzen auf ihre Geschichte und veröffentlichen Bücher und wirken an Ausstellungen oder Dokumentarfilmen in der ARD und im ZDF mit. Für schwedische Unternehmen ist eine solche Präsenz eher ungewöhnlich, doch auch hier beobachten wir, dass das Interesse steigt. Bei unseren History Marketing Summits beispielsweise können schwedische Unternehmen ausländische (darunter natürlich auch deutsche) treffen und sich darüber austauschen, wie man die eigene Geschichte für sich nutzen kann.
Wie kann das Centrum för Näringslivshistoria helfen?
Seit 1974 helfen wir Unternehmen, sich um ihr historisches „Erbe“ zu kümmern, dieses anzuwenden und damit ihre eigene Geschichte auch wirklich zu nutzen. Mittlerweile haben wir uns zu einem der weltweit führenden Archive für das Wirtschaftsleben entwickelt, das die Geschichte von Tausenden von Unternehmen im Auftrag von Management und Eigentümern dokumentiert. Anschließend erzählen wir die Geschichten der Unternehmen in verschiedenen Kanälen wie Büchern, Websites und Ausstellungen. Das kann zu Jubiläen geschehen, aber auch bei rechtlichen Fragen, im Rahmen von HR-Aktivitäten und natürlich in der generellen Kommunikation.
Was erwarten Sie von einer Mitgliedschaft in der Deutsch-Schwedischen Handelskammer?
Für einen Wirtschaftshistoriker ist es sehr spannend, an den Aktivitäten der Kammer teilzunehmen und Mitgliedsunternehmen aller Branchen und Größen sowie unterschiedlichen Firmenalters zu treffen. Viele von ihnen sind auch Mitglied in unserem Netzwerk. Die Mitgliedschaft wird eine großartige Ergänzung zu unseren Kontakten mit den deutschen Kollegen aus der Welt der Unternehmensarchive sein.
In unserer Serie Mitglied des Monats treffen wir jeden Monat einen Vertreter eines unserer rund 1.150 Mitgliedsunternehmen, der uns einen Einblick in die Arbeit und aktuellen Aktivitäten des jeweiligen Unternehmens gibt.