
Deflation wegen Corona?
26.05.2020
Steht Schweden vor einer schädlichen Deflation? Woher kommt sie? Und was kann dagegen unternommen werden? Unser Senior Advisor Prof. Hubert Fromlet bringt Licht ins Dunkel.
Die Sorgen Schwedens um die wirtschaftliche Entwicklung des Landes sind bekannt. Inzwischen sind auch zunehmende Deflationsbefürchtungen auszumachen.
Ursache für die Befürchtung einer Deflation, also eines anhaltenden Rückgangs des allgemeinen Preisniveaus für Güter und Dienstleistungen, ist die offizielle Inflationsstatistik für April 2020. Diese zeigte einen leichten Rückgang der Konsumentenpreise, sowohl im Vergleich zum Vormonat (-0,3 Prozent), als auch zum Vorjahreszeitraum (-0,4 Prozent). Diese negativen Zahlen wurden stark von den fallenden Energiepreisen beeinflusst, was man sogar in Coronazeiten als Sonderfaktor betrachten kann.
Was ist Deflation?
Bei Disinflation handelt es sich um die erste Phase abnehmenden Drucks auf die Konsumentenpreise, wobei die monatlichen Preisentwicklungen im Vergleich zum entsprechenden Vorjahresmonat noch über null liegen.
Deflation ist hingegen schwieriger zu definieren. Klar ist, dass die Konsumentenpreise zur Erfüllung des Deflationskriteriums de facto unter null fallen müssen.
Die negativen Preisveränderungen unter null sollten sich dabei in erster Linie im Vorjahresvergleich ergeben. Allerdings können Vergleiche zum Vormonat die aktuelle Entwicklung verdeutlichen.
Sehr uneinheitlich wird auch das Zeitfenster des Deflationsbegriffes benutzt. Oft spricht man schon von einer Deflation, wenn die Preise lediglich im letzten Monat unter null gesunken sind. Meiner Meinung kann man erst nach einem Zeitraum von mehreren Monaten oder Quartalen mit negativen Veränderungszahlen für die Konsumentenpreise (KPI) von einer Deflation sprechen.
Außerdem spielt es eine Rolle, ob die Preisveränderungen nur knapp oder deutlich unter null liegen. Dieser Unterschied beinhaltet verschiedene volkswirtschaftliche Rückwirkungen auf das Wachstum.
Arbeitsmarkt und Psychologie
Zurück von allgemeinen Betrachtungen zum aktuellen Geschehen in Schweden. Bei Beachtung der obengenannten Kriterien ist in Schweden noch keine Deflation zu verzeichnen, doch das Risiko besteht. Die aufkeimende Sorge rührt primär von der Nachfrageseite her und ist getrieben von rapide ansteigender Arbeitslosigkeit und Kurzarbeit. Diese vermindern schon jetzt die Kaufkraft und Konsumneigung stark. Auch die psychologischen Unruhen und daraus folgenden Barrieren im Konsum- und Investitionsbereich sind nicht zu unterschätzen.
Diese Faktoren dämpfen allesamt die Möglichkeit, Preise zu erhöhen (”declining pricing power”). Der Weg zu einer makroökonomischen Deflation gestaltet sich auf der Mikroebene.
Nachfrage stärken – aber wie?
Ein in früheren Zeiten gebräuchliches Anti-Deflationsmittel scheint inzwischen so gut wie verbraucht: eine schwungvolle Erhöhung der Geldmenge. In der jetzigen Krise mit Zurückhaltung der Verbraucher dürfte zusätzliche Geldschöpfung in Schweden oder in Deutschland kaum noch etwas bringen. Davon gab es in den letzten Jahren schon reichlich.
Daher erscheint es zweckmäßig, in Schweden in absehbarer Zeit ein Konjunkturpaket zur Nachfragesteigerung zu schnüren. Dabei ist das Timing von entscheidender Bedeutung. Zu früh im Hinblick auf die Entwicklung der Pandemie würde bedeuten, dass eine derartige Maßnahme leicht im Sande verlaufen könnte. Bei allzu langem Abwarten dagegen könnte eine bedrohliche Deflation schon längst angekommen sein.
Rezession wird kommen
Zurzeit erfüllt Schweden noch nicht alle Kriterien für eine Deflation. Die negative Preisentwicklung ist noch von zu kurzer Dauer und zu nah an null. Die zukünftige Preisentwicklung sollte genau beobachtet werden – auch im Hinblick auf die Preispolitik von Unternehmen auf dem schwedischen Markt.
Hiermit schließt sich der Kreis: Das Coronavirus entscheidet über die Tiefe der nicht mehr zu vermeidenden Rezession. Diese Entwicklung wird ihrerseits entscheidend dazu beitragen, ob es letzten Endes zu einer Deflation kommt. Das Deflationsrisiko sollte auf alle Fälle ernst genommen werden. Dies gilt auch im Hinblick auf die finanzielle Stabilität, da sich Schulden bei Deflation verteuern und Deflation mit schlechter BIP-Entwicklung verbunden ist. Dann würden erhebliche Kreditausfälle drohen.
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