Blaue Wand, Schatten von Menschen und der Text "Wirtschaftliche Einschätzungen zum Coronavirus. Prof. Hubert Fromlet kommentiert für die Deutsch-Schwedische Handelskammer"

Corona und Wirtschaft: Schweden in Wartehaltung

17.03.2021

Mehr als ein Jahr nach Ausbruch der Coronakrise wartet Schweden nach wie vor auf eine erfolgreiche und breit gestreute Gesundheits- und Genesungspolitik für die Bevölkerung und damit auch für die Gesamtwirtschaft, berichtet unser Senior Advisor Prof. Hubert Fromlet.

Mehr als 13.000 Tote (in Deutschland nahezu 75.000) sind beileibe kein gutes Zeichen für die bisherige Bekämpfung der Pandemie in Schweden. Auch die Inzidenzzahl pro 100.000 Einwohner in Höhe von 290 (Neuinfektionen, 7-Tage-Inzidenz, Stand 17. März 2021) nimmt sich äußerst ernüchternd aus (Deutschland: 86).

Selbstverständlich lässt sich noch nicht genau sagen, warum Schweden bislang derart klägliche Resultate in der Bekämpfung der Pandemie aufweist. Meiner Meinung sind hierfür fünf Faktoren verantwortlich:

  • zu späte Reaktion statt Prävention seitens der obersten Gesundheitsbehörde (Folkhälsomyndigheten, FHM),
  • allzu lange Behördentreue der Regierung bei notwendigen politischen Entscheidungen,
  • die historisch bedingte Obrigkeitstreue der schwedischen Bevölkerung,
  • die unzureichenden Informationen der Behörden über Corona und die damit verbundene Lässigkeit im pädagogischen und psychologischen Umgang mit der Bevölkerung,
  • Gleichgültigkeit bei einem Großteil der Bevölkerung als Folge ungenügender Aufklärung, zum Beispiel wenige oder ganz unterbliebene Maskenempfehlungen.

Derzeit besteht zudem ein akuter Impfstoffmangel, sodass sich eine breit angelegte Konjunkturerholung weiter verzögern könnte.

Corona und Konjunkturprognosen

Nach vielen Jahren als Prognostiker ist mir klar, dass diese Berufsgruppe oft taktisch agiert. Über viele Jahre hinweg waren vor allem Arbeitgeberorganisationen vorsichtig, während sich die Experten der Finanzmärkte und Gewerkschaften lieber auf positiverem Prognoseterrain bewegten.

Früher neigten risikoscheue Prognostiker dazu, den potenziell negativen Einflussfaktoren zu viel Gewicht zu geben. Damit hatte man sich mehr oder weniger nach unten abgesichert. Zeigten sich die faktischen Ergebnisse besser als ursprünglich erwartet, war man erleichtert und daher keineswegs böse auf die Skeptiker. 

„Schwedische Prognostiker sehen die Impfkrise als zeitlich begrenztes Phänomen, das einer Konjunkturerholung im zweiten Halbjahr kaum im Wege stehen dürfte.“

Ähnlich taktieren zurzeit viele Konjunkturexperten bezüglich der Coronapandemie. Die meisten schwedischen Prognostiker sehen die momentane Impfkrise primär als zeitlich begrenztes Phänomen, das einer deutlichen Konjunkturerholung im zweiten Halbjahr kaum im Wege stehen dürfte. Allerdings scheint inzwischen aufgrund der hohen Anzahl von Neuinfektionen eine tiefgreifendere Bewältigung der Coronakrise nur über eine spürbare Beschleunigung der Impfaktivitäten möglich zu sein.

Wenn diese Konjunkturerholung im zweiten Halbjahr tatsächlich passieren sollte, werden sicherlich viel Freude und Genugtuung vorliegen. Wenn dem nicht so sein sollte, könnten unangenehme Verspätungen der Coronavorbeugung mit dementsprechenden negativen Konsequenzen recht leicht auf zuvor nicht begründbare Coronafallen geschoben werden.

Wachstum abhängig von Corona

In Schweden stehen sich, wie auch in vielen anderen Ländern, etliche positive und negative wachstumsbeeinflussende Faktoren gegenüber. Eine derartige Liste könnte gegenwärtig für Schweden wie folgt aussehen:

Positive (Konjunktur-)Faktoren Negative (Konjunktur-)Faktoren
Starke Staatsfinanzen (nach wie vor) Zurückhaltende Ausgabenpolitik
Ordentliche/gute Industriekonjunktur Schlechte Covid-19-Zahlen, Impfprobleme
Gute Stimmungsbarometer in der Industrie Anhaltende Krise in Reise-/Restaurantbranche
Zunehmende Auftragseingänge in der Industrie Halbleitermangel
Zumeist gutes Börsenklima (motiviert?) Hohe Arbeitslosigkeit, Krise im Einzelhandel
Gute Wettbewerbsfähigkeit der Wirtschaft Unzureichender Konsum (zuletzt etwas besser)
Fortsetzung der Niedrigzinspolitik Neue Koalitionsideen mit unklaren Zielen
Chinas Aufschwung, Stimulanz der USA Steuererhöhungsgedanken der Sozialdemokraten bzgl. Kapital, Immobilien


Wie auch immer sich die oben genannten Einflussfaktoren für Konjunktur und Wachstum in den nächsten Monaten entwickeln werden, fast alles wird weiterhin von der Corona-Bekämpfung in Schweden – auch in Europa bzw. in der EU – abhängen. Dies gilt für die schwedische Industrie, die mehr Rückendeckung von Konsumenten und konsumnahen Investitionen ebenso wie eine stabil positive psychologische Stimmung in der gesamten Gesellschaft braucht. Bleibt zu hoffen, dass dies so schnell wie möglich passiert.

Viel mehr lässt sich derzeit leider nicht sagen. Aufgestaute Konsumwünsche und Investitionsziele sind jedenfalls en masse vorhanden.
 

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Hubert Fromlet

Affiliierter Professor an der schwedischen Linné-Universität und Senior Advisor der Deutsch-Schwedischen Handelskammer

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