Prof. Hubert Fromlet kommentiert für die Deutsch-Schwedische Handelskammer

Das schwedische Diskussionsklima wird rauer

27.02.2018

Wirtschaftsdebatten sind in Zeiten guter Konjunktur auch in Schweden recht zahm. Vor allem längerfristigere Herausforderungen werden vielerorts geflissentlich verdrängt. Normalerweise dreht sich während einer Hochkonjunkturphase (fast) alles um Auftragseingänge, Unternehmensgewinne und die Börse. Allein eine heranrückende Konjunkturabschwächung oder Parlamentswahlen pflegen auch in guten Zeiten zu einem raueren Diskussionsklima beizutragen.

Beim erstgenannten Punkt gibt es noch keinen besonderen Anlass zur Sorge, wenn auch die zuletzt erzielten Wachstumsraten in ein paar Quartalen wahrscheinlich nicht mehr ganz erreicht werden können. Aber auch eine solche leicht gedämpfte Perspektive gibt normalerweise Anlass zu neuorientierten Analysen und Meinungsverschiedenheiten.

Was den zweitgenannten Punkt betrifft, besteht heute schon Gewissheit, dass in Schweden 2018 Parlamentswahlen stattfinden werden – und zwar am 9. September. Da lässt sich ahnen, dass der Wahlkampf schon vor der Urlaubszeit intensiviert werden wird.

Zu den Themen, die zurzeit in der öffentlichen und politischen Debatte im Vordergrund stehen oder voraussichtlich an Gewicht gewinnen werden, gehören unter anderem:

Konjunkturaussichten

Schwedens Konjunkturentwicklung sieht nach wie vor positiv aus. Allerdings wird vielerorts eine gewisse Konjunkturabflachung im Laufe von 2018/2019 erwartet. Unklar ist in diesem Zusammenhang vor allem, wie sich der momentan etwas angeschlagene Wohnungsmarkt in den nächsten Quartalen entwickeln wird – und damit auch der private Konsum. Auch die Nachhaltigkeit des internationalen Aufschwungs wird inzwischen angesprochen – allerdings nicht sonderlich lautstark.

Geldpolitik / Inflation

Die Geldpolitik der schwedischen Notenbank (Sveriges Riksbank) gehört schon seit geraumer Zeit zu den heißesten Diskussionsthemen. Im Gegensatz zur Debatte in Deutschland wird jedoch weniger über die Prinzipien der Geldpolitik debattiert als vielmehr über die Inflations- und Zinserwartungen der Notenbank (Inflationsziel 2 Prozent). Im Januar fiel die Inflationsrate mal wieder etwas geringer als vermutet aus (1,7 Prozent im Vergleich zu 1,9 Prozent im Vormonat) und schon wird wieder spekuliert, ob Riksbanken die Geldpolitik im zweiten Halbjahr 2018 überhaupt noch leicht verschärfen wird. Dies hatte sie noch vor Kurzem angedeutet.

Geldpolitik / Schwedenkrone

Hier haben wir ein weiteres Feld, das ständig zu Diskussionen einlädt. Offensichtlich ist, dass die Reichsbank nichts gegen eine eher schwache Krone einzuwenden hat, solange dies dem Erreichen des 2-prozentigen Inflationsziels förderlich ist. Momentan schwächelt die schwedische Krone wieder einmal. Meine langjährige Erfahrung bestätigt sich daher: Selbst Experten liegen bei Prognosen für die Schwedenkrone meist falsch. Überhaupt sind gute Währungsprognosen eher Glückssache als analytisch und wissenschaftlich fundiert.

Wirtschaftspolitik / Steuern

Wie allgemein bekannt, nimmt sich Schwedens Staatsverschuldung im internationalen Vergleich recht gering aus (circa 40 Prozent des BIP). Zumindest seitens der amtierenden rot-grünen Regierung kann jedoch von Steuersenkungen nach den Wahlen keine Rede sein. Die sozialdemokratische Finanzministerin Magdalena Andersson hat zuletzt sogar ausdrücklich präzisiert, dass sie Überschüsse in der Staatskasse wesentlich lieber zur Behebung oder Reduzierung der Personal- und Qualitätsmängel in Schulen, Krankenhäusern und der Pflege nutzen will als für mögliche Steuersenkungen.

Weitere heiße Diskussionsthemen sind – wie in vielen anderen Ländern – ethischer Natur. Auch Missständen in weniger erfolgreichen privaten und öffentlichen Unternehmen wird viel Aufmerksamkeit gewidmet.

Folgen der Digitalisierung kaum Thema

Überraschend nimmt sich dagegen aus, dass die Auswirkungen der Digitalisierung auf den Arbeitsmarkt in der schwedischen Debatte noch immer nur geringes Interesse hervorrufen – ganz im Gegensatz zur entsprechenden Entwicklung in Deutschland. Auch die Frage, wo zukünftig neue Jobs entstehen könnten, wird nach wie vor nur leise aufgegriffen.

Diese Schlussfolgerung gilt ebenfalls für die wichtige „Wachstums-und Beschäftigungskette”: Bildung/Ausbildung -> Forschung -> Innovationen -> neue oder verbesserte Produkte -> Unternehmensklima -> Unternehmensgründungen/-erweiterungen -> neue Beschäftigungschancen -> bessere Wachstumsperspektiven. Zu viel wird hier vielerorts – wenn überhaupt – nur fragmentarisch aufgegriffen.

Stärkerer Fokus auf Qualitätsfragen

An dieser für die Zukunft immer wichtigeren Voraussetzungskette für Erfolge auf Mikro- und Makroebene könnte somit sicherlich auch in Schweden ehrgeiziger gearbeitet werden – ganz unabhängig von der Zusammensetzung der nächsten Regierung.

In diese Arbeit sollte die Qualität von akademischer Ausbildung miteinbezogen werden, die auch gemäß meiner eigenen Erfahrung im letzten Jahrzehnt spürbar nachgelassen hat. Qualitätsaspekte sollten außerdem in vielen anderen Bereichen der Staatsausgaben mehr Priorität erlangen – und damit auch das makroökonomische BIP-Wachstum.

Bei derartigen Fragen wäre ein etwas raueres Diskussionsklima gar nicht so schlecht, auch wenn Schweden zurzeit wirtschaftlich sehr ordentlich dasteht.

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Hubert Fromlet

Affiliierter Professor an der schwedischen Linné-Universität und Senior Advisor der Deutsch-Schwedischen Handelskammer

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