Kernkraftwerk im schwedischen Forsmark

Atomkraftwerk im schwedischen Forsmark

Foto: Vattenfall

Schweden setzt auf neue Atomkraft: Stabilität für die Industrie, Debatte über Risiken

18.08.2025

Am 1. August 2025 ist in Schweden ein neues Gesetz in Kraft getreten, das Investitionen in neue Atomkraftwerke mit staatlicher Unterstützung fördert. Unternehmen können nun Darlehen und Preisabsicherungsverträge beantragen, um neue Reaktoren zu bauen. Die Regierung sieht darin einen strategischen Schritt, um die Energieversorgung langfristig zu sichern, die Wettbewerbsfähigkeit zu stärken und die Klimaziele zu erreichen.

Das Fördermodell umfasst bis zu 5.000 Megawatt – das entspricht etwa vier großen Reaktoren – und kombiniert staatliche Darlehen mit sogenannten zweiseitigen Differenzverträgen. Diese sollen Investitionen absichern, indem sie Preisrisiken ausgleichen. Finanzmarktminister Niklas Wykman spricht von einem „entscheidenden Schritt für Schwedens Zukunft“.

Warum Schweden auf Atomkraft setzt

Die schwedische Regierung rechnet mit einer Verdopplung des Strombedarfs bis 2045 – unter anderem durch die Elektrifizierung der Industrie, den Ausbau der Batteriefertigung und die Umstellung auf fossilfreie Produktion. Neue Atomkraftwerke sollen dabei helfen, eine stabile Grundlast zu sichern, insbesondere in einem Stromsystem mit wachsendem Anteil wetterabhängiger Energiequellen wie Wind und Sonne.

„Die Förderung neuer Atomkraftwerke ist eine wichtige Maßnahme, um langfristig wettbewerbsfähige Strompreise und Versorgungssicherheit für die energieintensive Industrie zu gewährleisten.“

Auch große Industrieunternehmen unterstützen die Pläne. Die Initiative „Industrikraft“, ein Zusammenschluss führender schwedischer Industrieunternehmen wie ABB, Alfa Laval, Boliden, Saab, Stora Enso und Volvo, sehen in der Förderung neuer Atomkraftwerke eine wichtige Maßnahme, um langfristig wettbewerbsfähige Strompreise und Versorgungssicherheit für die energieintensive Industrie zu gewährleisten.

Ebenso Energieversorger wie Vattenfall, Mitglied der Deutsch-Schwedischen Handelskammer, begrüßen das neue Gesetz. Für Vattenfall ist es ein wichtiger Schritt zur Realisierung neuer Reaktoren am Standort Ringhals. Gleichzeitig investiert das Unternehmen stark in erneuerbare Energien – sowohl in Schweden als auch in Deutschland, wo Vattenfall bis 2028 über fünf Milliarden Euro in Offshore-Windprojekte wie Nordlicht 1 und 2 investiert.

Schwedens Energiemix: bereits heute fast vollständig fossilfrei

Im Jahr 2024 war die Stromerzeugung in Schweden laut dem Branchenverband der schwedischen Energieunternehmen, Energiföretagen, bereits zu 99 Prozent fossilfrei. Wasserkraft machte 38 Prozent aus, Kernkraft rund ein Drittel und Windkraft etwa ein Viertel. Die Solarenergie ist zwar noch vergleichsweise klein, verzeichnete aber ein Wachstum von über 30 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Damit verfügt Schweden bereits über einen der emissionsärmsten Strommixe Europas.

Forschung: Energiewende auch ohne neue Atomkraft möglich

Mehrere wissenschaftliche Studien, unter anderem von der Chalmers-Universität und Energiforsk, zeigen, dass Schweden die Energiewende aber auch ohne neue Atomkraft bewältigen könnte. Ein Szenario mit verstärktem Ausbau von Windkraft, Solarenergie und Speichersystemen wäre nicht nur technisch machbar, sondern auch kostengünstiger. 

„Aus rein technischer und physikalischer Sicht kann man nicht sagen, dass neue Atomkraftwerke in Schweden notwendig sind.“

„Aus rein technischer und physikalischer Sicht kann man nicht sagen, dass neue Atomkraftwerke in Schweden notwendig sind“, sagt Markus Wråke, Geschäftsführer von Energiforsk, einem zentralen Akteur der schwedischen Energieforschung, in der Wissenschaftsreihe „Spelet om kärnkraften“ (Das Spiel um die Kernkraft). „Wir können ein stabiles Stromsystem auch ohne neue Reaktoren aufbauen.“

Risiken und Herausforderungen bleiben

Trotz politischer Unterstützung bleibt die Atomkraft in Schweden umstritten. Kritiker*innen verweisen auf hohe Kosten, lange Bauzeiten und das Problem der Endlagerung sowie dessen Finanzierung. Zudem besteht die Sorge, dass staatliche Subventionen für Atomkraft Investitionen in erneuerbare Energien ausbremsen könnten – mit Folgen für Versorgungssicherheit, Klimaziele und auch die Wettbewerbsfähigkeit des Landes.

„Dies steigert die Importabhängigkeit, erhöht die Strompreise und Emissionen und beeinträchtigt auch die Investitionsbereitschaft der stromintensiven Industrie in Schweden.“

Markus Millinger, Forscher im Bereich Energiesysteme vom Forschungsinstitut RISE, warnt: „Die beschlossene Subventionierung der Atomkraft wirkt sich durch geringere erwartete Einnahmen negativ auf die Wirtschaftlichkeit von Wind- und Sonnenenergie aus. Eine gebremste Ausweitung dieser Alternativen, die schneller ausgebaut werden können als neue Atomkraftwerke, führt dazu, dass weniger Strom für den erwarteten steigenden Strombedarf in den nächsten Jahrzehnten zur Verfügung steht. Dies steigert die Importabhängigkeit, erhöht die Strompreise und Emissionen und beeinträchtigt auch die Investitionsbereitschaft der stromintensiven Industrie in Schweden.“

Ein energiepolitischer Kurswechsel mit Signalwirkung

Mit dem neuen Gesetz vollzieht Schweden einen energiepolitischen Kurswechsel, der auch international Beachtung findet. Während Deutschland den Atomausstieg vollzogen hat, setzt Schweden auf einen Mix aus erneuerbaren Energien und neuer Atomkraft. Für Unternehmen bietet das neue Modell Chancen – aber auch Herausforderungen, etwa bei der Planung langfristiger Investitionen.

Die Entscheidung für neue Atomkraft ist nicht nur technisch, sondern auch wirtschaftlich und politisch bedeutsam. Sie wird das Energiesystem des Landes für Jahrzehnte prägen und könnte auch die Debatte über Versorgungssicherheit und Klimaziele in Europa neu beleben.

FAKTEN: Endlagerung in Schweden

Die Frage der sicheren Endlagerung radioaktiver Abfälle ist für jedes Land mit Atomkraftwerken eine zentrale Herausforderung. Nach jahrzehntelanger Planung wurde im Januar 2025 mit dem Bau des ersten atomaren Endlagers in Schweden begonnen. Die Anlage entsteht in Forsmark an der Ostküste und soll hochradioaktive Abfälle für mindestens 100.000 Jahre sicher einschließen. Mehr Informationen zum Projekt und zur aktuellen Entwicklung.