Schwedische Vorstöße zur 35-Stunden-Woche

01.10.2024

Vor kurzem stellte eine Arbeitsgruppe der schwedischen Sozialdemokraten ihr Gutachten zur Einführung der 35-Stunden-Woche vor. Die Vorschläge bedürfen nun noch der parteiinternen Diskussion und Zustimmung. Da für 2026 in Schweden Wahlen anstehen, könnte die sich derzeit in der Opposition befindliche Partei das Thema eventuell in den Wahlkampf einbringen, so Prof. Fromlet, Senior Advisor der Deutsch-Schwedischen Handelskammer.

Schweden ist kein Land, das sich historisch betrachtet durch zahlreiche Arbeitsmarktreformen ausgezeichnet hat. 

„Freiheitsreform des Jahrhunderts“

Daher nimmt es kaum wunder, dass gleich nach Veröffentlichung der Pläne um die 35-Stunden-Woche über die wahren Motive für die vorgeschlagene Arbeitszeitverkürzung spekuliert wurde. Teilweise vermutete man einen gemeinsamen Vorstoß von links, da unter anderem auch die schwedische Linkspartei derartige Pläne unterstützt. Meines Erachtens geht es den sozialdemokratischen Gutachtern aber schlicht und ergreifend darum, ein schlagkräftiges Thema für den nächsten Wahlkampf zu finden und sich offensichtlicher als arbeitnehmerfreundliche Partei zu präsentieren. 

Gemäß der früheren Umweltministerin und Leiterin der sozialdemokratischen Projektgruppe für die 35-Stunden-Woche, Annika Strandhäll, würde eine generell gültige Reduzierung der Wochenarbeitszeit „die Freiheitsreform des Jahrhunderts“ bedeuten. Als Motive für die angestrebte Einführung der 35-Stunden-Woche werden insbesondere der Wunsch nach einem gesünderen Berufsleben und besserem familiären Gleichgewicht herangezogen. Es wird auch damit argumentiert, dass die 35-Stunden-Woche der Gleichberechtigung der Frau förderlich sei und gleichzeitig ein neues Zeitfenster für den Begriff der Vollzeitarbeit geschaffen würde.

Der sozialdemokratische oder vielleicht auch schwedische Sonderweg

Bei der Lektüre von den Vorschlägen zur Arbeitszeitreduzierung fällt auf, dass von Eile nicht die Rede sein kann. So soll die wöchentliche Arbeitszeit erst ab 2030 bis einschließlich 2034 jährlich um eine Stunde verringert werden. Um mehr praktische Detailkenntnisse zu erlangen, schlagen die sozialdemokratischen Gutachter ein staatlich finanziertes Forschungsprojekt mit 5.000 Beteiligten vor, die ihre Wochenarbeitszeit während eines Jahres bei gleichbleibendem Lohn auf 35 Stunden reduzieren sollen. Dabei soll das Forschungsprojekt Aufschluss darüber geben, in welchem Ausmaß die 35-Stunden-Woche Gesundheit, Produktivität, Beschäftigung und Resultatrechnungen beeinflussen. Offen bleibt aus wissenschaftlicher Sicht, wie diese begrenzten Segmentstudien repräsentative ökonomische und gesundheitsorientierte Schlussfolgerungen für ganz Schweden zulassen sollen. Makroökonomische und gesellschaftspolitische Schlussfolgerungen werden zwar nicht ausdrücklich angestrebt, machen aber nur Sinn, wenn sie als Input für die gesetzlich zu verankernde Einführung der 35-Stunden-Woche dienen können.

„Im Gegensatz zu den deutschen Standpunkten zur Arbeitszeitverkürzung könnte sich Schweden für die Einführung über den Gesetzgeber entscheiden, falls sich die Vorschläge der sozialdemokratischen Gutachter durchsetzen sollten.“

Im Gegensatz zu den deutschen Standpunkten zur Arbeitszeitverkürzung könnte sich Schweden für die Einführung über den Gesetzgeber entscheiden, falls sich die Vorschläge der sozialdemokratischen Gutachter durchsetzen sollten. Dies steht aber noch keineswegs fest. Auch innerhalb der Sozialdemokratie wird zum Teil die Meinung vertreten, dass Entscheidungen über die 35-Stunden-Woche bei den Tarifpartnern liegen sollten, wie dies beispielsweise von der Gewerkschaft Metall favorisiert wird. 

Wenig überraschend ist auch der Standpunkt der Arbeitgeber, des zum Zeitpunkt der Veröffentlichung amtierenden liberalen Arbeitsmarktministers Pehrsson und gewisser Wissenschaftler*innen, die ihrerseits bedeutende Wohlstands- und Steuerverluste mit der Einführung der 35-Stunden-Woche befürchten. Dem Weg über den Gesetzgeber – wie ihn die sozialdemokratische Gutachtergruppe vorschlägt – stehen sie ablehnend gegenüber.

Insgesamt ist das letzte Wort zur 35-Stunden-Woche noch lange nicht gesprochen, doch scheint die erste große schwedische Arbeitszeitveränderung seit zirka 50 Jahren zuletzt etwas näher gerückt.  

Hubert Fromlet

 

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Hubert Fromlet

Affiliierter Professor an der schwedischen Linné-Universität und Senior Advisor der Deutsch-Schwedischen Handelskammer

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