
Schwedens revidierter Haushaltsentwurf – Was fällt auf?
21.04.2022
Unser Senior Advisor Prof. Hubert Fromlet kommentiert für uns den jüngst erschienen „Frühjahrshaushalt“ der schwedischen Regierung. Welche Mehrausgaben sind geplant und was haben die anstehenden Wahlen damit zu tun? Prof. Fromlet gewährt uns Einblicke in die aktuellen Entwicklungen auf dem Arbeitsmarkt, das Wirtschaftswachstum und die schwedische Staatsverschuldung.
Eigentlich ist es derzeit nicht möglich, einigermaßen zuverlässige Budgetprognosen für das laufende Haushaltsjahr 2022 zu erstellen. Noch schwieriger nimmt sich gleichzeitig die Präzisierung der wirtschaftspolitischen Schwerpunkte und der makroökonomischen Rahmenbedingungen aus. Daher sollten Entscheidungsträgerinnen und -träger in Politik und Wirtschaft bis auf weiteres weniger kritisch beurteilt werden als dies derzeit der Fall ist, solange Einschätzungen nicht zu naiv oder unlogisch erscheinen.
Am 19. April war Schwedens Finanzminister Mikael Damberg an der Reihe, seinen ersten sogenannten „Frühjahrshaushalt“ („vårbudgeten“) zu präsentieren – gleichzeitig schon der siebte Entwurf für das Haushaltsjahr 2022. Gerade im laufenden Haushaltsjahr 2022 waren etliche Haushaltsänderungen vonnöten: wegen der Ukraine-Krise mit direkten und indirekten unvorhergesehenen Kosten, kaufkraftgeschwächter Niedriglohn- und Rentenempfängerinnen und -empfängern sowie wegen Covid-19 mit den geplanten Ausgaben für eine vierte Spritze. Auch die zuletzt etwas passive Umweltpolitik schlägt im „Frühjahrshaushalt“ zu Buche. Sie soll nun zum größten Teil über die Subventionierung von E-Autos wieder stärker angetrieben werden. Spürbare Mehrausgaben sollen in den nächsten Jahren auch für die militärische Verteidigungspolitik zum Zuge kommen. Der Haushaltsentwurf in Zahlen.
Oben finden sich demnach die sechs Schwerpunkte des „Frühjahrshaushalts“, die rein wirtschaftspolitisch richtig sind. Ob dabei wichtige Reformbereiche nach wie vor vernachlässigt, falsch angepackt oder gar übersehen werden, ist eine andere und hauptsächlich politische Frage. Die politische Opposition im Reichstag und verschiedene Interessensgruppen werden sich sicherlich in den nächsten Wochen konkret dazu äußern. Es gilt bislang als keineswegs sicher, dass der „Frühjahrshaushalt“ der schwedischen Minderheitsregierung im Juni in seiner jetzigen Form die Zustimmung des Parlaments finden kann.
Staatsverschuldung gut – und damit alles gut aus schwedischer Sicht?
Finanzminister Damberg beschrieb bei der Veröffentlichung des „vårbudget“ Schweden als Land mit „starken öffentlichen Finanzen, einem robusten Arbeitsmarkt und einem stabilen Wirtschaftswachstum“ – der letztere Faktor trotz „reduzierter Wachstumsprognose aufgrund des Krieges“. Es könnte von Interesse sein, sich hierbei eines gewissen Faktenchecks zu bedienen.
Immerhin ist 2022 ein Wahljahr. Dennoch sollten die erheblichen Ausgabensteigerungen für die schwedische Ukraine-Hilfe und den zivilen Kriegsschutz sowie die eigentlich bescheidenen Zusatzausgaben für das Gesundheits- und Krankenwesen nicht als Wahlgeschenke betrachtet werden. Da passen die verbesserten Konsumstützen für Familien, Rentnerinnen und Renter besser in den bei jeder Wahl auftauchenden Geschenkkorb – und sind dieses Mal aus sozialer Sicht durchaus angebracht. Auffallend ist auch, dass sich die Regierung bei neuen Förderungen des Unternehmenssektors deutlich zurückhält, was aber zu akuten Coronazeiten nicht der Fall war.
Staatsverschuldung, Beschäftigung und Wachstum
Was die Staatsverschuldung betrifft, kann durchaus von sehr starken öffentlichen Finanzen gesprochen werden. In der EU liegt Schweden sogar an vierter Stelle nach Estland, Bulgarien und Luxemburg – und mit 36,1 Prozent des BIP ungefähr auf halber Höhe im Vergleich zur deutschen Verschuldungsquote (in Q3).
Nicht ganz so eindeutig gut kommt Schweden bei der Analyse des Arbeitsmarktes weg. Zwar zeigt sich Schweden bei der Beschäftigung von seiner besten Seite (81,3 Prozent, 20-64 Jahre, Q4) und liegt in der EU an zweiter Stelle hinter den Niederlanden. Bei der Arbeitslosenquote rangiert Schweden aber eher am Tabellenende. Dies wird offizell bei weitem weniger hervorgehoben als die gute Plazierung bei der Beschäftigung. Auch für die nächsten Jahre werden kaum bessere Zahlen für die Arbeitslosigkeit ausgelobt.
Dies nimmt auch nicht unbedingt wunder, da sich die Wachstumsaussichten für 2023 und die Jahre danach eher bescheiden ausnehmen. Das kann leicht nachvollzogen werden, da man wenig oder nichts über die politische und wirtschaftliche Entwicklung der nächsten Jahre weiß. Daher überraschte Finanzminister Damberg mit seiner Einschätzung bei der Pressekonferenz, bei der er von einer „starken Erholung am Arbeitsmarkt“ sprach. Dies mag für das vergangene Jahr gelten, aber kaum bis 2025.
Inflation, Zinsen, privater Konsum und Investitionen
Die Beurteilung der zukünftigen Inflation gehört in dieser schwierigen Zeit zu den schwächsten und unsichersten Gliedern in der Zahlenkette der Regierungsprognose. Mit der Entwicklung der Konsumentenpreise (KPI) wird sich auch das Tempo des erwarteten Anstiegs der Repozinsen und die Kauflust der Konsumentinnen und Konsumenten entscheiden (auf Schwedisch nutzt man „KPI“ generell für Inflation, „reporänta“ für den Leitzins der Reichsbank – inzwischen aber auch „styrränta“ genannt).
Obwohl – oder gerade weil – die Regierung die Zinspolitik/Repozinsen der Reichsbank nicht beeinflussen kann, könnte der „Frühjahrshaushalt“ mit seiner recht günstigen Inflationsbeurteilung auf wackeligen „Zinsbeinen“ stehen und damit auch die relativ positiven Beurteilungen der Regierung für den privaten Konsum – auch indirekt wegen negativer Effekte von verteuerten Wohnkrediten auf die Margen für den Konsum.
Bekannterweise sind auch viele angedachte oder geplante Investionen vor allem kleinerer Unternehmen deutlich zinsabhängig. Auch bei den nicht gerade pessimistischen Zinsannahmen der Regierung sehen die Investionserwartungen des Finanzministeriums relativ verhalten aus.
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