
Schwedens neue Regierung – historisch, aber mit wenig aktiver Unterstützung
30.11.2021
Heute hat Schwedens neue Ministerpräsidentin Magdalena Andersson ihr Kabinett vorgestellt. Was sind die wichtigsten Punkte in der Regierungserklärung? Wofür steht die ehemalige Finanzministerin? Und aus welchem Grund war der Wahlprozess etwas kurios? Senior Advisor Prof. Hubert Fromlet bringt Licht ins Dunkel.
Kürzlich konnte man in Schweden ein Phänomen erleben, das von der Wahrscheinlichkeit her fast auf eine Stufe mit einem sehr seltenen Naturereignis gestellt werden kann: der Rücktritt eines frisch gekürten Regierungsoberhaupts samt Übergangskoalition nach nur wenigen Stunden. Zuerst wurde am 24. November 2021 die ehemalige Finanzministerin Magdalena Andersson vom schwedischen Parlament zur neuen Ministerpräsidentin gewählt.
Direkt nach der ersten Wahl zur Ministerpräsidentin scheiterte der Versuch von Magdalena Andersson, für den geplanten Haushalt 2022 eine Mehrheit von Gegenstimmen im Reichstag zu vermeiden. Die entscheidende Unterstützung durch die Rechtsaußen-Partei SD (Sverigedemokraterna) für den Haushalt der politischen Opposition bewerteten die Grünen als völlig inakzeptabel und verließen daher sogleich die Übergangsregierung. Kurz danach erklärte Magdalena Andersson, dass sie nunmehr erneut eine Minderheitsregierung – dieses Mal ausschließlich mit Sozialdemokraten – anstrebe.
„In Schweden reicht es aus, eine Mehrheit an Nein-Stimmen verhindern zu können, um die Regierungsmacht zu übernehmen.“
Am 29. November kam es zu einer weiteren Abstimmung im schwedischen Parlament. Beim zweiten Versuch reichten 100 von 349 Stimmen. Das entspricht prozentual genau der theoretischen Alternative, dass Olaf Scholz nur von der SPD erfolgreich zum Kanzler gewählt worden wäre.
Interessant ist, dass es in Schweden ausreicht, eine Mehrheit an Nein-Stimmen verhindern zu können, um die Regierungsmacht zu übernehmen – eine Mehrheit an Ja-Stimmen ist dann nicht mehr erforderlich, anders als bei der Kanzlerwahl in Deutschland. So reichten Magdalena Andersson zunächst 117 von 349 Parlamentsstimmen, um am 24. November zur ersten weiblichen Regierungschefin Schwedens gewählt zu werden. Beim zweiten Versuch reichten 100 von 349 Stimmen.
Wichtige Botschaften in der Regierungserklärung
Schon am 30. November trat die neue Ministerpräsidentin Andersson mit ihrer Regierungserklärung im schwedischen Parlament auf. Zwar wird es ihr aus oben genannten Gründen nicht möglich sein, finanzpolitisch starke neue Akzente zu setzen. Dennoch gibt es viele Möglichkeiten für die neue Regierung, sich bis zu den Parlamentswahlen am 11. September 2022 zu profilieren.
Dazu gehören beispielsweise wirtschaftspolitische Weichenstellungen struktureller Natur, klimapolitische Zielsetzungen, Arbeitsmarktstrategien, eine erfolgversprechende Energiepolitik, eine bessere Abstimmung zwischen Politik und der obersten Gesundheitsbehörde zur Coronabekämpfung – aber auch mehr Initiativkraft innerhalb der EU und eine erweiterte Zusammenarbeit mit der neuen deutschen Regierung.
Folgende Punkte in der aktuellen Regierungserklärung von Ministerpräsidentin Magdalena Andersson verdienen meines Erachtens besondere Beachtung:
„Ganz oben in Magdalena Anderssons Regierungserklärung stand der Kampf gegen die seit vielen Jahren zunehmende Kriminalität.“
- Ganz oben in Magdalena Anderssons Regierungserklärung stand sowohl hinsichtlich der Reihenfolge als auch des präsentierten Zeitaufwands her der Kampf gegen die seit vielen Jahren zunehmende Kriminalität.
- Etwas überraschend wurde die zukünftige Klimapolitik nur kurz und ohne Präzisierung von Zielen vorgestellt. Gleichzeitig: „grüne Industrieumstellung”, beschleunigte grüne Elektrifizierung und Entwicklung eines grünen Arbeitsmarktes. In der schwedischen Regierungserklärung tauchen Klimafragen bei Weitem weniger engagiert auf als im deutschen Koalitionsvertrag.
- Relativ stark in den Vordergrund wurde dagegen die Aufrüstung des schwedischen Wohlfahrtstaates gerückt – mit einer ganzen Reihe von Verbesserungsvorschlägen.
- Die künftige Wirtschaftspolitik der Regierung wurde allerdings nicht allzu ausführlich von Ministerpräsidentin Magdalena Andersson beschrieben – dennoch sollten die Pläne einer zukünftig etwas weniger rigorosen Schuldenbremse erwähnt werden: „ausgeglichener Haushalt” statt wie bislang kleiner Überschuss in einem nicht genau definierten Konjunkturzyklus.
- Auch vom Kampf gegen Corona war in der schwedischen Regierungserklärung nur wenig zu hören, doch muss man wohl mit weiteren Einschränkungen rechnen.
- Schließlich wies Magdalena Andersson sehr deutlich auf die Bedeutung der Zusammenarbeit mit und innerhalb der EU hin. Offensichtlich will Schweden auch weiterhin eine deutlich EU-freundliche Politik betreiben, was auch für eine gute Zusammenarbeit mit Deutschland bürgen sollte.
Wofür steht Magdalena Andersson?
Magdalena Andersson hat ihre volkswirtschaftliche Ausbildung an der Stockholmer Handelshochschule (Stockholm School of Economics) genossen, wo sie sich nach ihrem Abschluss einige Jahre der Forschung widmete. Nach ein paar weiteren Jahren mit Expertenstatus in Regierungsnähe wurde sie stufenweise für neue Aufgaben befördert.
2004 wurde Magdalena Andersson zur Staatssekretärin im Finanzministerium ernannt, danach zur stellvertretenden Generaldirektorin bei der obersten schwedischen Finanzbehörde (Riksskatteverket). Nach zwei Jahren als Sprecherin der Sozialdemokraten in Wirtschaftsfragen wurde Andersson in 2014 schließlich zur Finanzministerin in der Regierung Löfven ernannt – eine Position, die sie bis 2021 innehatte. Im selben Jahr gelang Magdalena Andersson auch der Sprung an die Spitze der schwedischen Sozialdemokraten.
Persönliche Eigenschaften und berufliche Orientierung
Magdalena Andersson gilt als ehrgeizig, deutlich und fleißig, was sich allein schon in ihrem beruflichen Aufstieg widerspiegelt. Sie hat in Interviews erklärt, dass sie gerne Entscheidungen trifft und forciert, was für eine Politikerin oder einen Politiker keine schlechte Eigenschaft darstellt. Zudem hat sie in der Vergangenheit bekundet, dass ihr etwas Distanz zu ihrer Umgebung wichtig ist.
Magdalena Andersson wird nachgesagt, dass sie innerhalb der Sozialdemokratie etwas links von der Mitte einzuordnen ist. Dies wird sich zeigen, aber – wenn überhaupt – erst nach den Reichstagswahlen am 11. September nächsten Jahres. Nennenswert ist auch, dass sie aufgrund ihrer bisherigen Position als Finanzministerin mit den Gegebenheiten in Brüssel und der EU bestens vertraut ist.
„Magdalena Andersson ist stets für solide Staatsfinanzen eingetreten.“
Bekannt ist weiterhin, dass Magdalena Andersson stets für solide Staatsfinanzen eingetreten ist. Daran wird auch die leichte Lockerung der Schuldenbremse nicht viel ändern. Außerdem muss sie sich nach dem schon verabschiedeten Haushalt der Opposition richten und die im nächsten September anstehenden Parlamentswahlen im Auge behalten.
Wie auch immer: Schwedens politische Entscheidungsträgerinnen und -träger brauchen in den nächsten Jahren viel politische Sachkompetenz, Durchsetzungsvermögen (auch bei Klimafragen), Stabilität und Solidarität in vielen Bereichen sowie viele gute internationale Kontakte – sowie hin und wieder eine gehörige Portion Glück.
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