Foto: Björn Tesch / Image Bank Sweden

Schweden vor der Wahl – Privathaushalte entlasten und das Klima retten

23.06.2022

Im September wird in Schweden ein neuer Reichstag gewählt. Das Land steht vor der Herausforderung die wirtschaftlichen und sicherheitspolitischen Folgen des Ukraine-Krieges mit der drängenden Klima- und Energiepolitik unter einen Hut zu bringen. Im Pressegespräch der Deutsch-Schwedischen Handelskammer erklärten Cecilia Hermansson und Ola Alterå vom Swedish Climate Policy Council die aktuelle Lage in Schweden und sprachen über die Herausforderungen einer starken Klimapolitik.

Kurz vor der Sommerpause und mitten im Wahlkampf für die Parlamentswahl im September herrscht in Schweden gerade politischer Hochbetrieb. Der Ukraine-Krieg hat die bereits bestehenden Herausforderungen des Landes verstärkt und neue akute Themen auf die Tagesordnung gesetzt. So sind die epochale Kehrtwende in der Sicherheitspolitik durch die Nato-Beitrittsbemühungen und die Aufstockung des Verteidigungsetats, die historisch hohe Inflationsrate, Jugendarbeitslosigkeit und ein ernst zu nehmendes Problem mit Bandenkriminalität die bestimmenden Themen im schwedischen Politik-Sommer.

Stabile Wirtschaft und Spaltung auf dem Arbeitsmarkt

Die wirtschaftliche Lage sei jedoch trotz aktueller Herausforderungen für die schwedische Wirtschaft gut, sagt Cecilia Hermansson vom Swedish Climate Policy Council und Associate Professor bei dem Royal Institute of Technology (KTH) sowie Gastvortragende auf der Pressekonferenz der Handelskammer. Die Wirtschaft wächst weiterhin, wenn auch weniger stark als bisher.

„Da der Außenhandel für Schweden sehr wichtig ist, wird in den nächsten Monaten viel von den Entwicklungen des Imports und Exports abhängen – und somit auch von der Wirtschaft in Schwedens Partnerländern.“

„Da der Außenhandel für Schweden sehr wichtig ist, wird in den nächsten Monaten viel von den Entwicklungen des Imports und Exports abhängen – und somit auch von der Wirtschaft in Schwedens Partnerländern“, so Cecilia Hermansson. Der Arbeitsmarkt entwickelt sich ebenfalls stabil positiv. Ein Problem ist jedoch das starke Gefälle bei den Arbeitsmarktzahlen. Während die Zahl der Erwerbstätigen nach der Pandemie stetig ansteigt, bleibt die Arbeitslosigkeit unter jungen Menschen zwischen 15 und 20 Jahren mit 22,7 Prozent (März 2022) sehr hoch. Auffällig ist auch die mit 19,2 Prozent sehr hohe Arbeitslosigkeit bei Frauen, die nicht in Schweden geboren sind. Mehr Chancengleichheit auf dem Arbeitsmarkt zu schaffen, sollte damit ein Ziel für die Politik sein, will sie den Eintritt in den Arbeitsmarkt für alle Bevölkerungsgruppen niedrigschwellig gestalten.  

Sinkende Reallöhne und Kaufkraft

Nach einer jahrelangen Periode stark wachsender Kaufkraft der privaten Haushalte und guter Reallöhne befindet sich Schweden inflationsbedingt in einer Phase negativer Reallöhne. Das Land steht wie viele andere Länder unter einem enormen Kostenschock. Die schwedischen Produzenten- und Verbraucherpreise bewegen sich auf einem historischen Höchstwert, wie auch die Inflationsrate von 6,4 Prozent. Bei negativen Reallöhnen steigen die Preise insbesondere für Lebensmittel, Treibstoffe und Energie rasant an und die Erwartungen an die Gewerkschaften sowie Arbeitgeberverbände entsprechende Lohnerhöhungen in den anstehenden Verhandlungen zu erzielen, sind sehr hoch.

Abkühlung auf dem Immobilienmarkt

Viel Diskussion gibt es in Schweden auch über den aufgeheizten Immobilienmarkt. Die Wachstumsraten entwickelten sich in den letzten Jahren auf ein nicht nachhaltiges, sehr hohes Niveau von 20 Prozent zu Jahresbeginn. Seit einigen Monaten kühlt sich die Lage jedoch langsam ab, die Wachstumsraten sind zuletzt auf 6 Prozent gesunken. Ob man bei den nun leicht sinkenden Immobilienpreisen von einem sich abzeichnenden Trend sprechen kann und wie lang sich dieser fortsetzen wird, dürfte sich in den nächsten Monaten zeigen. Ein erhöhtes Risiko ist jedoch die hohe Verschuldung vieler Privathaushalte. Zwar hat die Hälfte aller Haushalte keine Hypothek und viele haben nur sehr geringe Hypotheken, besonders betroffen sind jedoch Haushalte, die erst kürzlich eine Immobilie für einen sehr hohen Preis erworben haben. Für sie ist ein stabiler Arbeitsmarkt nun besonders wichtig.

Herausforderungen und Chancen einer starken Klimapolitik

Die aktuellen Entwicklungen in Schweden sorgen dafür, dass fundamentale Politikfelder wie das Renten- und Bildungssystem, die Finanz-, Arbeitsmarkt- und Klimapolitik stark hinterfragt werden. Die Rufe nach mehr staatlichen Investitionen werden lauter. Ein Beispiel sei hier die Klimapolitik.

„Zwar gibt es seit 2017 ein klimapolitisches Rahmenpaket, doch dieses ist nicht ambitioniert genug, will man die nationalen Netto-Treibhausgase bis 2045 tatsächlich auf null reduzieren.“

„Zwar gibt es seit 2017 ein klimapolitisches Rahmenpaket, doch dieses ist nicht ambitioniert genug, will man die nationalen Netto-Treibhausgase bis 2045 tatsächlich auf null reduzieren“, so Cecilia Hermansson. Im Moment liegt der jährliche CO2-Ausstoß bei 46 Mio. Tonnen. Laut einer aktuellen Untersuchung zur Klimapolitik (SOU 2022:15 auf Schwedisch) geht die Klimawende in Schweden zu langsam voran und weitreichender Maßnahmen sind notwendig. Es besteht dringender politischer Handlungsbedarf, welcher besonders stark von der EU, schwedischen Unternehmen und der Zivilgesellschaft eingefordert wird.

Bisher war Schweden klimapolitisch auf einem guten Weg. So hat das Land seine CO2-Emissionen seit 1990 um 35 Prozent reduzieren können und seine Klimaziele für 2020 erreicht. Viel schwieriger ist es nun mit Blick auf die aktuellen Ziele für die kommenden Jahre.

„Die größten Hebel für eine erfolgreiche Energie- und Klimawende sind vor allem der Umbau von Landwirtschaft, Industrie und des Transportsektors.“

„Die größten Hebel für eine erfolgreiche Energie- und Klimawende sind vor allem der Umbau von Landwirtschaft, Industrie und des Transportsektors“, sagt Ola Alterå vom Swedish Climate Policy Council und früherer Staatssekretär im Wirtschaftsministerium. Ziel im Verkehr ist es beispielsweise die Emissionen um bis zu 70 Prozent bis 2030 zu reduzieren. Dies soll vor allem über Biokraftstoffe und die Elektrifizierung des Verkehrssektors erreicht werden. Um mehr Biokraftstoffe in die schwedischen Tanks zu bekommen, hatte die Regierung eine Verpflichtung eingeführt, Biokraftstoffe den Benzin- und Dieselkraftstoffen beizumischen. Allein mit dieser Maßnahme soll die Hälfte des CO2-Ausstoßes im Verkehr eingespart werden. Jüngst lag die Beimisch-Quote bereits bei ca. 20 Prozent. Wegen des Ukraine-Krieges und des daraus folgenden Anstieges der Spritpreise hat die Regierung diese Verpflichtung nun ausgesetzt. Zwar dürften viele Privathaushalte dadurch entlastet werden, die klimapolitischen Ziele sind dadurch jedoch stark gefährdet.

Doppelt so viel Energie benötigt

Als Maßnahme im Industriesektor setzt Schweden vor allem auf die Elektrifizierung des gesamten Bereichs. Ein hohes Potenzial liegt hierbei im geplanten Ausbau von Offshore-Windanlagen. Zwar steckt Schweden verglichen mit Ländern wie Deutschland oder Dänemark noch in den Kinderschuhen, dennoch ist der Ausbau von Windenergie ein wichtiges Instrument, um das nationale Ziel der Null-Netto-Treibhausgase bis 2045 und eine Steigerung der Energieproduktion zu erreichen. Momentan geht man davon aus, dass Schweden künftig das Doppelte an der heutigen Energieproduktion benötigt, um seine Pläne der umfassenden Elektrifizierung verschiedener Sektoren umsetzen zu können.

Wahlgeschenke zu kurzfristig gedacht

Zurzeit lassen sich zwei Trends bei der schwedischen Regierung beobachten, die auf einen ambitionierten Spagat hinweisen: Auf der einen Seite gibt es den politischen Willen, Verbraucherinnen und Verbraucher wegen der stark gestiegenen Energiepreise zu entlasten. Dies führte beispielsweise zur Aussetzung der Beimischungsverpflichtung für Biokraftstoffe. Auf der anderen Seite gibt es den Willen aus Gründen der Versorgungssicherheit, die Abhängigkeit von fossilen Rohstoffen aus Russland oder anderen instabilen Regionen zu reduzieren. Letzteres sollte die treibende Kraft sein.

„Wir machen alle dieselben Fehler.“

„Wir machen alle dieselben Fehler“, so Cecilia Hermansson. „In vielen europäischen Ländern werden nun die Spritpreise durch staatliche Zuschüsse gesenkt. Das ist klimapolitisch nicht die richtige Entscheidung und es handelt sich eher um Wahlgeschenke, um die Wählerinnen und Wähler angesichts der massiven Preissteigerungen nicht zu verärgern. Es wäre wünschenswert, wenn die Politik weniger kurzsichtig wäre und Maßnahmen für die großen und wichtigen Ziele umsetzen würde.“

Kurz vor den Wahlen im September gibt es ein zweites Pressegespräch über die Wirtschaft und Politik in Schweden.

Quellen: Macrobond, SCB, SOU 2022:15

Über die Personen:

Cecilia Hermansson ist stellvertretende Vorsitzende des Swedish Climate Policy Council und Associate Professor bei dem Royal Institute of Technology (KTH) sowie ehemalige Chefvolkswirtin der Swedbank.

 

Ola Alterå ist Geschäftsführer des Swedish Climate Policy Council und war zuvor Staatssekretär im schwedischen Wirtschaftsministerium.