Der Text "Schweden unter der Lupe" vor der Skyline von Stockholm

Schweden – Stimmung schlechter als Lage?

27.02.2023

In Schweden vollzog sich in den letzten Wochen ein nennenswerter Stimmungsumschwung. Noch gegen Ende 2022 überwogen die leicht positiven oder hoffnungsvollen Kommentare. Inzwischen hat sich die Kompassnadel jedoch in Richtung Süden gedreht – vielleicht auch, weil für Schweden das schwächste Wachstum innerhalb der EU für dieses Jahr prognostiziert wurde. Dies muss allerdings nicht allzu viel heißen, so unser Senior Advisor Prof. Hubert Fromlet.

Als ein Haken erweist sich zumindest für 2023 – bei noch steigenden Zinsen – die hohe Verschuldung der privaten Haushalte, die Schwedens Konsumentinnen und Konsumenten noch eine Zeitlang vorsichtig agieren lassen dürfte. Sicherlich ist dies auch ein Resultat der langwierigen Niedrigzinspolitik, die ich auch an dieser Stelle längere Zeit kritisiert hatte.

Allerdings nehmen sich Konjunkturprognosen nach wie vor äußerst unsicher aus, schon allein wegen des Krieges in der Ukraine und der unsicheren Inflations- und Zinsentwicklung. Letztendlich geht es aber weniger darum, wann der Hochpunkt der schwedischen Inflation überschritten ist – von Marktteilnehmern oft so ausgedrückt – sondern darum, dass das 2-prozentige Inflationsziel der Zentralbank wieder in Reichweite kommt. Erst dann kann man auf Zinssenkungen hoffen.

Was sagen die Stimmungsfaktoren 

Man kann derzeit durchaus den Eindruck gewinnen, dass Konjunkturprognostiker und -analysten im neuen Jahr etwas vorsichtiger geworden sind – anders als dies gegenwärtig in Deutschland der Fall zu sein scheint. Zwar werden in Schweden nur wenige Stimmungsindikatoren mit brauchbarer psychologischer Komponente direkt ermittelt (Einkäuferindex / PMI, Swedbank/SILF und der „National Tendency Indikator“ des staatlichen Konjunkturinstituts, NIER).

„Aber auch sichtbare Revisionen von bisherigen Prognosen können das Stimmungsbild beeinflussen wie ein kurzfristig neuentwickelter Trend an der Stockholmer Börse oder schwerwiegende internationale Entwicklungen.“         

Aber auch sichtbare Revisionen von bisherigen Prognosen können das Stimmungsbild beeinflussen wie ein kurzfristig neuentwickelter Trend an der Stockholmer Börse oder schwerwiegende internationale Entwicklungen.                                                                          

In Zahlen sehen die momentanen Stimmungsfaktoren wie folgt aus:

  • PMI, Industrie
    Jan 2023: 46,8 Dez 2022: 45,9 Nov 2022: 46,0
    >> PMI unter 50, hier um 46, bedeutet zwar keine weitere Indexverstärkung, muss aber auch bei 46 noch keine negative Produktionsentwicklung bedeuten (aber grenzwertig, erfordert genauere Kalkulation).                                                                      
  • PMI, Dienstleistungen
    Jan 2023: 51,0 Dez 2022: 53,0 Nov 2022: 54,3
    >> nach unten gerichtet aber noch kein negatives Wachstum für PMI und Dienstleistungen                                                            
  • National Tendency Indicator im Januar 2023 (100=historischer Durchschnitt)
    Industrie: 82,3 Bau: 96,1 Einzelhandel: 78,6
    >> zuletzt rückläufig für Industrie/Bau, Einzelhandel zunehmend     
  • Nach unten revidierte Konjunkturprognosen 
    >> eher negativ an den Märkten angekommen              
  • Börsenstimmung, Krone
    >> Börse schwankend, Krone auch – doch zumeist negativ       
  • Wichtige Entwicklungen im Ausland oder auch global, beispielsweise neue Einschätzungen für die amerikanische, deutsche und/oder chinesiche Konjunktur, Energiepreise, Krieg in der Ukraine usw. 
    >> schwankend aber überwiegend negativ

Was sagen Statistiken und Prognosen dazu?  

Offizielle Statistiken hinken bekannterweise zeitlich immer etwas hinterher. So auch in Schweden – das BIP zum Beispiel bis zum ersten vorläufigen Ergebnis meistens um die acht Wochen. Gleichzeitig ist das BIP aber der einzige Konjunkturindikator, der die ganze Wirtschaft eines Landes abdeckt. Trotz der beachtlichen zeitlichen Verzögerung gilt das BIP weltweit als wichtigster einzelner Konjunkturindikator. Gewisse Forscher wollen zudem Ergänzungen zum BIP sehen, beispielsweise auch mit sozialen und/oder glückstheoretischen Zusätzen. Daran muss weiter gearbeitet werden.

Kurz zur Praxis. Folgende Details kamen zuletzt von Statistiska Centralbyrån (SCB), der schwedischen Statistikbehörde:

  • BIP
    2022 Q4 / 2022 Q3: -0,6 % 2022 / 2021: +2,4 %
    >> in 2022, das heißt für das ganze Jahr 2022 noch immer positives BIP-Wachstum, gegen Ende von 2022 zwar im negativen Bereich, aber nicht sonderlich düster
  • Industrieproduktion
    Dez 2022: -2,5 %
  • Auftragseingänge Industrie
    Dez 2022: +25 % (nach schwachem Spätsommer und Herbst)
  • Kapazitätsausnutzung
    2022 Q4 / Q3: -0.1 % (nur minimale Abschwächung)
  • Einzelhandel
    Dez / Nov 2022 -1,8 % 2023 / 2022: -8 %

Natürlich lassen sich auch neben dem Einzelhandel weitere deutlich negative Zahlen aus der statistischen Wirklichkeit herauspicken – wie Kfz-Neuzulassungen, Bauproduktion (trotz milden Winters), Arbeitslosigkeit und Inflation. Positives findet sich eher wenig und wenn auf Mikroebene.

Schlussfolgerung – noch kann Schweden in 2023 aufholen

Bei genauerer Analyse fällt auf, dass Stimmung und Lage in der schwedischen Wirtschaft sich ungefähr die Waage halten. Im ersten Quartal wird sich eine technische Rezession mit zwei negativen Quartalen hintereinander kaum vermeiden lassen. Dies wird daher wohl im ersten Halbjahr passieren.

Damit ist noch lange nicht entschieden, ob Schweden sich in 2023 wirklich mit dem schwächsten Wachstum in der EU abfinden muss. Diese Prognose mit ihrer recht langen Bearbeitungszeit hat zu viel Aufsehen erweckt und könnte sich in einem Jahr als Fehlgriff erweisen. Dies hängt aber in hohem Masse von Präsident Putin ab.

 

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Hubert Fromlet

Affiliierter Professor an der schwedischen Linné-Universität und Senior Advisor der Deutsch-Schwedischen Handelskammer

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