Der Text "Schweden unter der Lupe" vor der Skyline von Stockholm

Schweden steht vor Stafettenwechsel

08.09.2021

Politische Veränderungen stehen im Herbst nicht nur in Deutschland an, sondern – etwas unerwartet – auch in Schweden. Prof. Hubert Fromlet, Senior Advisor der Deutsch-Schwedischen Handelskammer, wagt einen Blick in die Zukunft.

Ministerpräsident Stefan Löfven hat im Spätsommer nach siebenjähriger Amtszeit seinen Rücktritt angekündigt. Ab Mitte November ist mit einem neuen Kabinett zu rechnen, allerdings nur bis zu den bereits angekündigten Reichstagswahlen am 11. September 2022. Schweden ist das einzige skandinavische Land, das bislang noch keine Ministerpräsidentin hatte. Das wird sich aller Voraussicht nach in ein paar Monaten ändern.

Kooperation mit den Linken in Sicht?

Bekannterweise hat Schweden auch in dieser Legislaturperiode eine Minderheitsregierung, die sich aus den Sozialdemokraten (S) und den wesentlich kleineren Grünen (Miljöpartiet, MP) zusammensetzt – und gleichzeitig von der Unterstützung des nach wie vor eher ländlich orientierten Zentrums (Centerpartiet, C) und der Liberalen (Liberalerna, L) abhängig ist.

Die Zusammenarbeit der Regierung mit den zwei bürgerlichen Parteien C und L beschränkt sich nach wie vor auf den Staatshaushalt mit einzelnen Maßnahmen. Bei der für den 20. September vorgesehenen Haushaltsvorlage für das schwedische Parlament werden aber auch wichtige Interessen der Linken (Vänsterpartiet, V) berücksichtigt. Dies, um auf eine Fortsetzung einer Minderheitsregierung von Sozialdemokraten und Grünen hinzuarbeiten – unterstützt von V und in Haushaltsfragen von C – allerdings wahrscheinlich nicht mehr von den Liberalen. Hier ist aber das letzte Wort noch nicht gesprochen, zumal es nicht zu einer rot-(rot)-grünen Regierung nach den Wahlen im nächsten Jahr kommen muss. Da ist noch viel offen.

Erstmals eine Frau an der Regierungsspitze?

Zunächst muss gegen Ende des Jahres eine neue Regierungschefin oder ein neuer Regierungschef gefunden werden. Dieser Prozess wird nach dem sozialdemokratischen Parteitag vom 3. bis 7. November formell eingeleitet, wobei die jetzige Finanzministerin Magdalena Andersson als klare Favoritin für das höchste Parteiamt bei den Sozialdemokraten gilt – und damit auch für das Amt der Regierungschefin, zumindest bis zu den Wahlen im nächsten September. Es ist unwahrscheinlich, dass die politische Opposition es so kurz vor dem nächsten Wahltermin zu einer weiteren Regierungskrise kommen lassen will.

„Magdalena Andersson wird gelobt, weil Schweden rein wirtschaftlich bislang recht gut aus der Coronakrise herausgefunden hat.“

Magdalena Andersson wird vielerorts gelobt, vor allem, weil Schweden rein wirtschaftlich bislang recht gut aus der Coronakrise herausgefunden hat. Für 2021 erwarten Konjunkturexperten ein Wachstum des BIP von rund 4,5 Prozent, für 2022 etwas gedämpftere 4 Prozent. Trotz dieser ordentlichen Wachstumsraten wird die Arbeitslosigkeit im nächsten Jahr mit etwa 8 Prozent voraussichtlich weiterhin sehr hoch bleiben. Das wird Magdalena Andersson politisch genauso zu schaffen machen wie die in den letzten Jahren immer ungleicher werdende Einkommens- und Vermögensverteilung.

Wechselhafte Steuerpolitik

Zudem hat Schweden noch immer nicht zu einer zukunftsorientierten Steuerpolitik gefunden. Noch vor wenigen Wochen war seitens der Finanzministerin viel von Steuererhöhungen die Rede. Inzwischen hat die schwedische Linke allerdings Steuersenkungen für Empfänger niedriger Einkommen durchgesetzt. Auch Empfänger mittlerer Einkommen sollen nach den neuesten Plänen im Jahr 2022 steuerlich entlastet werden, ganz im Sinne der Zentrumspartei.

„Schweden hat immer noch nicht zu einer zukunftsorientierten Steuerpolitik gefunden.“

Inzwischen wird jedoch schon wieder von einer Sondersteuer für Banken gesprochen. Steuerpolitik dreht sich eben auch um Ideologie. Weiterhin sind auf Bestreben der Grünen höhere Steuern für Benziner und Dieselfahrzeuge im Gange – bei gleichzeitig klimaangepasstem Bonus- und Malussystem für Neuzulassungen von PKW und leichten LWK sowie Bussen.

Kaum jemand spricht Magdalena Andersson wirtschaftspolitische Kompetenz ab, zumal sie seit etlichen Jahren reichlich Erfahrung auf internationaler Ebene, vor allem in der EU, sammeln konnte und in jungen Jahren eine analytische Ausbildung an der renommierten Stockholm School of Economics genossen hat.

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Hubert Fromlet

Affiliierter Professor an der schwedischen Linné-Universität und Senior Advisor der Deutsch-Schwedischen Handelskammer

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