Schweden in hoffnungsvoller Erwartung

29.08.2024

Erstaunlicherweise tat sich während der Ferienzeit relativ viel in Schwedens Wirtschaft, zumindest mehr als normalerweise zu dieser Jahreszeit. Prof. Hubert Fromlet, Senior Advisor der Deutsch-Schwedischen Handelskammer analysiert die politischen und wirtschaftlichen Ereignisse des schwedischen Sommers und ordnet sie für uns ein.

Die in konjunktureller Hinsicht äußerst wichtigen Zinssenkungen wurden im Juni und August vielversprechend von der schwedischen Zentralbank (Riksbanken bzw. Reichsbank) eingeleitet. Dies ist von besonderem Interesse, da die schwedischen privaten Haushalte als zinsempfindlicher gelten als beispielsweise die deutschen. Auch wirtschaftspolitisch wichtige strukturelle Themen wie Ausbau der Kernkraft und Arbeitszeitverkürzung landeten in den letzten Wochen ganz oben in den schwedischen Schlagzeilen. 

Konjunktur – Zuversicht stärker als (bislang) die Fakten

Indikativ für die aktuelle schwedische Konjunkturentwicklung scheint die Feststellung des zentralen Statistikamtes (Statistiska Centralbyrån, SCB) zu sein, dass sich die schwedische Wirtschaft zuletzt „nicht vom Fleck bewegt hat“. Die Merkmale einer Konjunkturflaute seien nach wie vor deutlich vorhanden, ergänzt SCB im Monatsbericht für August (nur auf Schwedisch). Dabei lägen nach wie vor 10 von 12 in der sogenannten Konjunkturuhr („konjunkturklocka“) beobachteten Indikatoren unter ihrem längerfristigen Trend und daher auf demselben Aktivitätsniveau wie vor zwei Jahren, schreiben hierzu Schwedens offizielle Statistikerinnen und Statistiker. 

„Allerdings ist die Stimmung derzeit günstiger als dies die wichtigsten Statistiken widerspiegeln.“

Allerdings ist die Stimmung derzeit günstiger als dies die wichtigsten Statistiken widerspiegeln, angefacht vor allem durch die jüngsten Zinssenkungssignale der schwedischen Reichsbank. Zum einen nahm Riksbanken neulich die Leitzinsen weiter herunter, von 3,75 auf 3,5 Prozent. Zum anderen hat Reichsbankgouverneur Thedéen im Rahmen der neuerlichen Zinssenkung relativ deutlich verkündet, dass die Leitzinsen bis zum Jahresende bei weiterhin günstiger Inflationsentwicklung zusätzlich zwei bis drei Mal gesenkt werden könnten.

„Eine derartige Zinsinjektion wäre besonders positiv für die vielen hochverschuldeten privaten Haushalte.“

Eine derartige Zinsinjektion wäre besonders positiv für die vielen hochverschuldeten privaten Haushalte – bekannterweise in der Hochzinsphase eine besonders gebeutelte Gruppierung, die sich vermutlich bei sinkenden Zinsen allmählich kauffreudiger zeigen dürfte. In Schweden geschieht die Haus- und Wohnungsfinanzierung größtenteils zu flexiblen Zinsbedingungen. Daher nimmt es nicht wunder, dass man die Hoffnungen auf einen (baldigen) Aufschwung in erster Linie an die privaten Haushalte und deren Konsum knüpft. Allerdings ist noch nicht abzusehen, in welchem Umfang die zukünftigen offiziellen Zinssenkungen auch an die Kreditkundschaft weitergegeben werden.  

Niedrigere Zinsen können mit gewisser zeitlicher Verzögerung auch Investitionen im Konsumbereich stimulieren und im günstigsten Fall außerdem Investitionen in anderen Sektoren. Zudem ist für 2025 eine relativ expansive Finanzpolitik vorgesehen, auch um die schwedische Wirtschaft vor dem Wahljahr 2026 noch etwas stärker zu stimulieren – allerdings eher um Löcher zu stopfen als zukunftsträchtig zu investieren.

„Dennoch erscheinen die Aussichten für Investitionen in 2025 und 2026 günstiger als dies in diesem Jahr der Fall sein wird.“ 

Gleichzeitig sollte aber auch bedacht werden, dass die Investitionsbereitschaft bei weitem nicht nur von den Zinslevels abhängt, sondern auch von Faktoren wie zuverlässiger Wirtschaftspolitik und vielversprechender Markt- oder Gewinnerwartungen. Dennoch erscheinen die Aussichten für Investitionen in 2025 und 2026 günstiger als dies in diesem Jahr der Fall sein wird. 

In einem negativen Szenario – wer weiß schon alles über die Zukunft – könnten allerdings geopolitische Unsicherheiten und internationale Konjunkturrückschläge sowohl die Investitionsneigung als auch die Exportmöglichkeiten schwedischer Unternehmen beeinträchtigen. Noch steht der vielerorts erwartete Konjunkturaufschwung auf einem (etwas) unsicheren Fundament. Dies ist auch weiterhin bei Prognosen für die Schwedenkrone der Fall, die sich entgegen der Meinung von Expertinnen und Experten auch im Sommer zeitweise von ihrer schwachen Seite gezeigt hat.          

Endlich auch mal Strukturthemen in den Schlagzeilen 

Schweden gehört nicht zu den Ländern mit ständig breitgefächerten Strukturdebatten. Daher nimmt es sich umso erstaunlicher aus, dass in den Sommerferien sogar zwei wichtige Zukunftsfragen thematisiert wurden – der Ausbau der Kernkraft und Arbeitszeitverkürzung.

Die Vorschläge zur Finanzierung des Ausbaus der Nuklearenergiegewinnung wurden im kernkraftfreundlichen Schweden im August erstmals in Zahlen gekleidet. Kurz zusammengefasst rechnet der frühere Leiter des staatlichen Konjunkturinstituts, Mats Dillén, in seinem Spezialgutachten mit Investitionskosten von zirka 400 Milliarden Schwedischen Kronen für den Ausbau der Kernkraftproduktion in Höhe von 4.000 bis 6.000 Megawatt. Dies entspräche vier bis fünf neuen Reaktoren größeren Ausmaßes. 

300 Milliarden dieser Summe soll hierzu vom Staat während der Bauzeit subventioniert geliehen werden, die restlichen 100 Milliarden sollen von den Kraftwerkeignern selbst zugeschossen werden. Kritiker warnen, dass die faktischen Kosten in der Endabrechnung wesentlich höher liegen könnten – letztendlich auf Kosten der Steuerzahlerinnen und -zahler. Das letzte Wort scheint aber zu dieser Frage noch nicht gesprochen zu sein. 

Auf reichlich Diskussionsstoff stieß im August auch das Gutachten einer sozialdemokratischen Arbeitsgruppe zur 35-Stunden-Woche. Hierbei handelt es sich aber noch keineswegs um einen fertigen Vorschlag, sondern um ein konkretes Arbeitspapier für den Parteitag der Sozialdemokraten in 2025. Allerdings kann man sich schon jetzt vorstellen, dass sich die 35-Stunden-Woche zu einem heißen Wahlkampfhema in 2026 entwickeln könnte.

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Hubert Fromlet

Affiliierter Professor an der schwedischen Linné-Universität und Senior Advisor der Deutsch-Schwedischen Handelskammer

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