
Schweden – Fünf Themen im Fokus
06.05.2022
Unser Senior Advisor Prof. Hubert Fromlet beschäftigt sich in seinem aktuellen Beitrag mit den zurzeit wichtigsten politischen und wirtschaftlichen Fragen Schwedens. Inflation, Zinspolitik, ein möglicher NATO-Beitritt, der Ukraine-Krieg und Versorgungsengpässe in den Bereichen Rohstoffe, Energie, Lieferketten und Transporte sind hierbei die Themen, die momentan das politische, wirtschaftliche und nicht zuletzt gesellschaftliche Leben in Schweden bestimmen.
Fünf Themen mit direkten oder indirekten Rückwirkungen auf die Wirtschaftsaussichten Schwedens dominieren derzeit die Schlagzeilen in den schwedischen Nachrichten und Kommentaren. Hierzu gehören (ohne Ranking)
- die weitere Entwicklung der schwedischen Inflation,
- die weitere Geldpolitik der Reichsbank nach der Zinserhöhung vom 4. Mai und die teilweise damit verbundenen zusätzlichen Einschränkungen der realen disponiblen Haushaltseinkommen,
- die schwedische Entscheidung – vielleicht schon in den nächsten Wochen – über den möglichen NATO-Beitritt des lange Zeit neutralen Landes,
- die Fortsetzung des russischen Krieges in der Ukraine,
- die weitere Dauer der anhaltenden Versorgungsengpässe (Rohstoffe, Energie, Lieferketten, Transporte usw).
Betrachtet man diese schwerwiegenden Einflussfaktoren und deren äußerst unsichere Rückwirkungen auf die schwedische Wirtschaftsentwicklung, nimmt es nicht wunder, dass Konjunkturprognosen – auch die der Regierung – schon zum Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung obsolet sein können.
Inflation entwickelt sich weiter in die falsche Richtung
Die meisten schwedischen Prognosen gingen gegen Ende des letzten Jahres noch von einem allmählichen Rückgang der Inflation im Laufe von 2022 aus – zumeist begründet mit dem erwarteten Abklingen der Pandemie. Im Dezember 2021 lag die KPIF-Inflation – so genannt bei Verwendung von konstanten Zinsen im Inflationsindex und gleichzeitig auch die maßgebliche Kennzahl für das Inflationsziel der Reichsbank – noch bei 4,1 Prozent, um bis März 2022 auf nicht weniger als 6,1 Prozent anzusteigen.
„Natürlich ist dieser Rückschlag größtenteils auf den Krieg in der Ukraine zurückzuführen – mit all seinen negativen Auswirkungen auf die globalen Energie-, Lebensmittel-, Düngemittel-, Metall- und Transportpreise.“
Natürlich ist dieser Rückschlag größtenteils auf den Krieg in der Ukraine zurückzuführen – mit all seinen negativen Auswirkungen auf die globalen Energie-, Lebensmittel-, Düngemittel-, Metall- und Transportpreise. Aber auch Chinas Corona-Probleme samt Absperrungen bereiten derzeit zunehmend internationale Inflationssorgen.
Unterschätzt wurde in Schweden aber auch der psychologische Herdentrieb bei vielen Unternehmen, die es an der Zeit fanden, ihre Produktpreise endlich mal wieder zu erhöhen – dabei nicht immer mit stichhaltigen betriebswirtschaftlichen Begündungen.
Psychologische Trends dieser Art lassen sich jedoch nur schwerlich präzisieren und zeigen sich zudem oft sehr spät in gewünschter Deutlichkeit. Aber gerade deshalb sollten derartig anlaufende mikroökomische Veränderungen früh beobachtet werden. Wie bei den Finanzmärkten werden auch hier psychologische Signale oft zu spät und zu nachlässig eingefangen.
Störungen auf der Versorgungsseite – Lieferzeiten beeinflussen Inflation
Für die (nähere) Zukunft sollten die Lieferzeiten für den Einkauf in Industrieunternehmen (innerhalb des Einkäuferindex PMI von SILF und Swedbank) weiterhin besonders sorgfältig beachtet werden. Zwar hatten die Lieferzeiten für die schwedischen Einkäufer im April etwas abgenommen, befinden sich aber nach wir auf sehr ungünstigem – wahrscheinlich weiterhin inflationserhöhendem – historischen Niveau.
Für 2022 rechnet die Reichsbank jetzt mit einer durchschnittlichen KPIF-Inflation von 5,5 Prozent (verglichen mit 2,9 Prozent in ihrer Prognose vom Februar). Dabei scheint es durchaus möglich, dass auch 5,5 Prozent noch nicht das Ende der Fahnenstange bedeuten werden.
Zinsen – Ein unerschöpfliches Dauerthema hierzulande
In der schwedischen Wirtschaftspresse ist die Geldpolitik der Zentralbank seit einigen Quartalen ein heißes Thema. Nun ist die auf dieser Seite schon längst erwartete Zinserhöhung vor ein paar Tagen schließlich eingetreten (von 0 auf 0,25 Prozent). Dabei spricht die Reichsbank selbst von weiteren Zinserhöhungen, falls nötig auch in schnellerem Tempo als momentan angedacht.
„Man fragt sich sicherlich mit zunehmender Nervosität, um welche Höhe Löhne und Gehälter zunehmen müssen, um die in 2023 angestrebten realen Verbesserungen erzielen zu können.“
Aufgrund der hohen privaten Haushaltsverschuldung sind den Gewerkschaften aber weitere Zinserhöhungen durch die daraus folgende Abschwächung der disponiblen Haushaltseinkommen offensichtlich ein Dorn im Auge. Man fragt sich sicherlich mit zunehmender Nervosität, um welche Höhe Löhne und Gehälter zunehmen müssen, um die in 2023 angestrebten realen Verbesserungen erzielen zu können.
Aber gerade um wieder in die Nähe des offiziellen Inflationsziels von 2 Prozent zu kommen, bedarf es eines relativ scharfen geldpolitischen Kurses – sicherlich ein circulus vitiosus für die Gewerkschaften und auch jetzt schon für die amtierende Regierung, die sich im Herbst als sozialdemokratische Minderheitsregierung schwierigen Parlamentswahlen stellen muss.
Schwedische NATO-Mitgliedschaft vor politischer Entscheidung
Momentan wird lebhaft diskutiert, inwiefern ein baldiger Eintritt in die NATO für Schweden sicherheitspolitisch zum Vorteil gereichen könnte. Die Bevölkerung und Mehrheit im Reichstag dürften wohl positiv zu einem Anschluss stehen, doch lässt sich nach wie vor eine nicht übersehbare Opposition von links ausmachen.
Gemäß momentaner Entscheidungslage kann die endgültige politische Stellungnahme der Regierung schon in den nächsten Wochen kommen und dabei voraussichtlich in hohem Maße von Finnlands baldiger Entscheidung abhängen. Ein schwedisches Ja oder Nein zur NATO könnte teilweise auch längerfristige Investitionsentscheidungen beeinflussen.
Wie geht es in der Ukraine weiter?
Natürlich ist die Ukraine ein Thema, das den größten Teil der Bevölkerung Schwedens tagtäglich beschäftigt – und die Unternehmenswelt sowieso.
Wie man inzwischen allgemein annimmt, handelt es sich bei dem Krieg in der Ukraine um einen sogenannten „Schwarzen Schwan“. Dies ist ein nicht vorhersehbares Ereignis, im Nachhinein aber doch mit gewissen frühzeitigen Anhaltspunkten und vielleicht auch richtigen Expertenbeurteilungen versehen, um die sich aber vor Ausbruch des Krieges niemand kümmerte. Inzwischen lässt sich die Beurteilung der weiteren Entwicklung mit einem spieltheoretischen (mathematischen) Ansatz und rein logischem Resultat erfassen – für die Wirklichkeit also nichts Konkretes.
Summa summarum: Niemand weiß derzeit, wie der Krieg in der Ukraine enden wird. Daher sind brauchbare Konjunkturprognosen auch für Schweden weiterhin nicht möglich.
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