
Schweden analysiert zu national
20.09.2021
Schwedens Konjunkturprognosen mangelt es an einem tiefgründigen internationalen Blickwinkel, meint Prof. Hubert Fromlet, Senior Advisor der Deutsch-Schwedischen Handelskammer. Auch Entwicklungen in Deutschland verdienen es, stärker berücksichtigt zu werden.
Schwedens Wirtschaft läuft nach wie vor recht gut und die Prognostiker sind optimistisch für 2021/2022. Dies gilt auch für Finanzministerin Magdalena Andersson – in ein paar Monaten vielleicht schon Schwedens Ministerpräsidentin. Im gerade vorgestellten Haushaltsentwurf für 2022 geht Andersson von einem Anstieg des schwedischen BIP von 4,4 Prozent im Jahr 2021 und von 3,5 Prozent im Jahr 2022 aus. Nach dem Wahljahr 2022 kommt es dann gemäß Finanzministerium zu gemächlicherem Wachstum von etwa 1,5 Prozent.
Unzureichende Basis für Makroprognosen
Auch wenn diese Zahlen realistisch sind, taugen sie nicht allzu viel für konkrete Verkaufsplanungen einzelner Betriebe. Makroprognosen werden heutzutage zu sehr auf der Basis von nationalen Fakten und Stimmungsbarometern erstellt. Internationale Einflussfaktoren geraten zu sehr in den Hintergrund. Der Begriff „Nationalökonomie” (nationalekonomi) ist nicht mehr zeitgemäß; der englische Begriff „economics” ist da schon viel besser.
Die mangelnde internationale Orientierung, die auch in anderen Ländern vorzufinden ist, hat mit der Verteilung von Ressourcen zu tun. Während die meisten Produzenten von Prognosen gut mit nationaler Analysekompetenz versorgt sind, geschieht die internationale oder globale Konjunkturprognose oft auf qualitätsschädigender Sparflamme.
„Die internationale oder globale Konjunkturprognose geschieht oft auf qualitätsschädigender Sparflamme.“
Beispielsweise sind viele chinesische Strukturprobleme schon seit Jahren bekannt. Bekannt sollte auch sein, dass die Analyse der chinesischen Politik und Wirtschaft viel Erfahrung und Gründlichkeit bedarf. Daran fehlt es allerdings bei vielen Prognoseeinrichtungen. Daher nimmt es kaum wunder, dass auch Konjunkturexperten immer wieder von negativen Ereignissen in China überrascht werden, wie derzeit im Falle des Immobilienkonzerns Everglades. Natürlich kann man nur selten mit dem Timing von derartigen Notfällen richtig liegen, eventuelle Folgen fehlender Transparenz sollten aber ständig bei latenten Ungleichgewichten beachtet werden. Globale Konsequenzen können im Ernstfall bei einem riesigen Land wie China keinesfalls ausgeschlossen werden.
Mangel an Wissen über deutsche Politik
Auch die politische Zusammensetzung der neuen Bundesregierung und die daraus folgenden wirtschaftspolitischen Konsequenzen werden in den schwedischen Prognosen kaum berücksichtigt oder angesprochen. Zwar lässt sich momentan wenig Konkretes prognostizieren, doch könnten Konjunkturprognosen derzeit mit mehr Aufklärung über die bestehende wirtschaftliche Unsicherheit in Deutschland versehen werden. Gleichzeitig gibt es in Schweden nur wenige Konjunkturanalysten, die sich mit deutscher Politik und Wirtschaftspolitik gut auskennen.
„Zu oft wird vergessen, dass Deutschland die viertgrößte Wirtschaftsmacht der Welt, die größte Europas und der EU und zudem Schwedens größter Handelspartner ist.“
Man ist wohl seitens der Analysten zu sehr auf englischsprachige Quellen angewiesen, was ein Manko darstellt. Zu oft wird vergessen, dass Deutschland die viertgrößte Wirtschaftsmacht der Welt und wirtschaftlich die Nummer 1 in Europa und der EU ausmacht – und zudem Schwedens größter Handelspartner ist. Da sollte man die deutsche Politik und Wirtschaft näher verfolgen können als dies aktuell der Fall ist.
Vielleicht könnte ein Neuanfang mit mehr Deutschunterricht in den schwedischen Schulen gemacht werden, wofür auch die Deutsch-Schwedische Handelskammer mit Nachdruck eintritt.
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