Eher Moll als Dur in Schweden 2023

13.12.2022

Rein logisch beurteilt, lässt sich mit Blick auf die internationalen und einheimischen Voraussetzungen zu diesem Zeitpunkt für 2023 keine vernünftige Konjunkturprognose machen. Zuviel kann anders laufen als derzeit angedacht. Auch aus diesem Grund erscheint es für Schweden angebracht, Wirtschaftsdebatten in 2023 wieder mehr auf wichtige Strukturfragen zu lenken. Ohne wirtschaftlich orientierte Strukturpolitik in den nächsten Jahren droht ein weiterer Rückgang des schwedischen Wachstumspotenzials, meint Prof. Hubert Fromlet, Senior Advisor der Handelskammer.

Internationale Politik gewinnt an Gewicht

Noch vor einem Jahr nahmen sich Prognosen von Wirtschaft und Konjunkturinstituten für das kommende Jahr relativ verheißungsvoll aus. Doch dann kamen der 24. Februar und Russlands Krieg gegen die Ukraine. Die nachfolgende Energiekrise macht auch Schweden sehr zu schaffen – und höchstwahrscheinlich auch noch in 2023. Nicht zuletzt aufgrund der üblen Energiekrise kam es auch in Schweden in 2022 zu unerwartet hoher Inflation und somit zu unliebsamen Zinserhöhungen für viele hochverschuldete private Haushalte.

„Politik hat sich offensichtlich zu einem zunehmend wichtigen Faktor für viele Unternehmensentscheidungen entwickelt.“

Bislang konnte Schweden eine Rezession vermeiden. In 2022 kann es noch zu einem Wachstum des BIP von ca. 2 Prozent kommen. Zuletzt haben sich aber die negativen Konjunktursignale gehäuft, so dass eine schwedische Rezession noch durchaus möglich ist. Meines Erachtens wird es in 2023 zu einem (leichten?) Rückgang des BIP kommen – beeinflusst auch von der internationalen Politik. Politik hat sich offensichtlich zu einem zunehmend wichtigen Faktor für viele Unternehmensentscheidungen entwickelt.

Auch Schweden muss Strukturen verbessern

In den letzten drei Jahren hatten Schwedens politische Entscheidungsträgerinnen und -träger fast ausschließlich kurzfristige Perspektiven im Visier – bei Ereignissen wie Covid-19, Energiekrise und inflationsbedingten Kaufkraftverlusten wenig überraschend.

Ab 2023 sollte aber die schwedische Wirtschaftspolitik auch perspektivisch wieder breiter aufgestellt werden. Da ist einiges nachzuholen. Strukturpolitik – vor allem in Form von wachstumsfördernder Angebotspolitik – sollte baldmöglichst aktiviert werden. Forschungsinstitute in Deutschland weisen schon seit geraumer Zeit darauf hin, dass ein weiterer Rückgang des deutschen potenziellen Wachstums vermieden werden sollte. Strukturverbesserungen müssen her. Dies ist in Schweden nicht viel anders.

„Darum wäre es vorteilhaft, wenn die relativ neue schwedische Regierung noch in 2023 ein zukunftweisendes Strukturpaket schnüren könnte.“

Darum wäre es vorteilhaft, wenn die relativ neue schwedische Regierung noch in 2023 ein zukunftweisendes Strukturpaket schnüren könnte. Nicht alles lässt sich natürlich in einem einzigen Strukturpaket unterbringen. Dennoch wäre es schön, wenn im nächsten Jahr zumindest ein Anfang zur Steigerung des potenziellen Wachstums gemacht werden könnte. 

Ganz oben auf der Maßnahmenliste sollten dringliche Reformfelder stehen wie Bildung und Ausbildung, Innovationen, Arbeitskräftemangel, Integration, Institutionen, Umwelt, Energieversorgung und Infrastruktur. Verbesserungen in diesen Bereichen unterstützen die schwedische Wettbewerbsfähigkeit sowohl zu Hause als auch auf ausländischen Märkten.

In 2024 sollten wichtige strukturpolitische Verbesserungsmöglichkeiten weiter intensiv angegangen werden – bei gleichzeitiger Beachtung von Finanzmarkt- und politischer Haushaltsstabilität.

Besonderheiten bei Prognosen für Schwedens Wirtschaftspolitik

Was die Bedeutung des Krieges in der Ukraine, der Energiekrise und der Inflation für die EMU- und anliegenden Länder wie Schweden betrifft, sind wohl keine weiteren Ausführungen vonnöten. Allerdings bin ich der Meinung, dass die Europäische Zentralbank noch weitere Male die Leitzinsen erhöhen wird – und somit auch das schwedische Zinsniveau weiter nach oben schrauben wird. 

Und nun zu speziell schwedischen Faktoren für die Wirtschaftsanalyse in den nächsten ein bis zwei Jahren. Hierzu gehören:

  • die weiteren Verhandlungen zu Schwedens NATO-Mitgliedschaft (vor allem mit der Türkei),
  • die Stabilität der neuen schwedischen Koalitionsregierung,
  • die weitere Entwicklung der bereits wohl geplatzten Immobilienblase (mit möglichem Vermögenseffekt oder „wealth effect“ – Haushalte fühlen sich dann ärmer und geben deswegen weniger aus),
  • das weitere Verhalten vieler hochverschuldeter privater Haushalte (auch beim Konsum),
  • die Einschätzungen des schwedischen Einkäuferindex (PMI),
  • die Entwicklung der kaum vorhersehbaren Krone.

Teilweise hofft man in Schweden noch immer auf eine Konjunkturwende in 2023, doch überwiegen die eher vorsichtigen oder pessimistischen Prognosen. Wenig Widerspruch ernten hingegen Optimisten für die (theoretischen) Aussichten auf eine bessere Konjunktur in 2024. Wer hat heute schon konkrete Gegenargumente? 

 

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Hubert Fromlet

Affiliierter Professor an der schwedischen Linné-Universität und Senior Advisor der Deutsch-Schwedischen Handelskammer

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