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Die Erfolge schwedischer Reformen
03.02.2025
Die politische Diskussion in Deutschland veranlasst uns einen Blick auf die schwedische Reformpolitik zu werfen. Ralph-Georg Tischer, Geschäftsführer der Deutsch-Schwedischen Handelskammer, beleuchtet Schwedens Erfolgsgeschichte.
Von der Aktienrente bis hin zum digitalen Staat, Schweden liefert aktuell so einige Beispiele für die politische Reformdiskussion in Deutschland. Doch die schwedische Erfolgsgeschichte ist kein Ausdruck punktueller Entscheidungen aus der jüngeren Vergangenheit. Noch weniger basiert sie auf dem von Johan Norberg beschriebenen „Mythos des schwedischen Sozialismus“, sondern auf marktwirtschaftlichen Prinzipien, die eher durch eine sozialistische Politik gefährdet wurden.
Es lohnt sich, einen Blick zurückzuwerfen. Anfang des 19. Jahrhunderts war Schweden eines der ärmsten Länder Europas. Der Wandel begann Mitte des vorletzten Jahrhunderts, als liberale Reformen wie Freihandel, Eigentumsrechte und ein freies Bankensystem eingeführt wurden. Geprägt durch unternehmerische Freiheit und vor allem industrielle Innovationen führte dies zu einem enormen wirtschaftlichen Aufschwung. Das BIP pro Kopf stieg stark an und Schweden entwickelte sich vom Armenhaus zu einer führenden Industrienation der damaligen Zeit. Bereits 1950 gehörte es zu den reichsten Ländern der Welt mit niedrigen Staatsausgaben, die nur etwa 20 Prozent des BIP ausmachten, und geringeren Steuern als in den meisten westlichen Ländern. Diese Phase des freien Marktes legte den Grundstein für den späteren Wohlstand.
„In den 1970er Jahren führte ein auf sozialistischen Idealen basierter Politikwechsel in Schweden mit stark wachsenden Staatsausgaben und hohen Steuern zu einem Wohlstandsverlust."
In den 1970er Jahren führte ein auf sozialistischen Idealen basierter Politikwechsel in Schweden mit stark wachsenden Staatsausgaben und hohen Steuern zu einem Wohlstandsverlust. Innerhalb weniger Jahre verdoppelte sich der Anteil der Staatsausgaben am BIP, die Steuern stiegen auf historische Höchstwerte und auch die Staatsverschuldung stieg massiv an. Dies hatte gravierende Folgen: Die Investitionsquote sank, das BIP pro Kopf stagnierte und die Arbeitslosigkeit stieg. Schweden, das 1970 noch zu den reichsten Ländern Europas zählte, fiel im internationalen Vergleich deutlich zurück. Verschärft durch eine Immobilien- und Bankenkrise sowie einer festen Wechselkurspolitik kumulierte all dies in den frühen 1990er Jahren in einer schweren Finanzkrise. In der Folge verlegten Unternehmen wie IKEA und Tetra Pak ihren Sitz ins Ausland. Auch bedeutende Unternehmer und Prominente wie Ingmar Bergman und Björn Borg verließen das Land. Der schwedische Sonderweg mit einer staatlich garantierten Vollkaskoversicherung für Alles und Jeden war gescheitert, die Gesellschaft drohte ihren Zusammenhalt zu verlieren.
„In dieser Situation formte sich auf Initiative der regierenden Sozialdemokraten ein breiter politischer Konsens und die Bereitschaft zu einer Reihe von grundlegenden Reformen in der Wirtschaftspolitik."
In dieser Situation formte sich auf Initiative der regierenden Sozialdemokraten ein breiter politischer Konsens und die Bereitschaft zu einer Reihe von grundlegenden Reformen in der Wirtschaftspolitik. Im gesellschaftlichen Konsens erfolgte eine Rückkehr zu marktwirtschaftlichen Prinzipien, die wieder Grundlage des schwedischen Erfolgsmodells wurden und nicht der auf Umverteilung fixierte Sozialstaat. Dazu zählten die Aufgabe der festen Wechselkurspolitik und Einführung eines flexiblen Wechselkurses. Dies ermöglichte eine unabhängige Geldpolitik zur Stabilisierung der Wirtschaft. In einer historisch einmaligen Situation boomte durch die Abwertung der Krone zunächst der Export, die Aktienmärkte sprangen wieder an und in der Folge auch der Konsum.
Weitere Marktderegulierungen und Steuersenkungen, die die Belastung für Unternehmen und Arbeitnehmende reduzierte, trugen Früchte. Steuerliche Ausnahmeregelungen und Sonderabschreibungen wurden abgeschafft und zur Gegenfinanzierung indirekte Steuern erhöht. In der Folge wurden später auch die Erbschaft- und Schenkungsteuer, die bis zu 30 Prozent betragen hatte, ebenso eliminiert wie die Vermögensteuer. Zudem wurden staatliche Unternehmen privatisiert und das Rentensystem hin zu einem kapitalgedeckten System reformiert, um langfristig finanzielle Stabilität zu sichern. Das Bildungs- und Gesundheitssystem wurden liberalisiert, wodurch private Anbieter mit öffentlichen konkurrieren konnten. Und ein Haushaltsrahmen wurde geschaffen, der Ausgabenobergrenzen festlegte, um die Staatsfinanzen zu stabilisieren und Haushaltsdisziplin zu gewährleisten. All dies klingt sehr stark nach Karl Schiller: so viel Staat wie nötig, so viel Markt wie möglich. Die Folge: Schweden kehrte auf den Erfolgspfad zurück, Staatsausgaben wurden begrenzt, Reallöhne stiegen, neue Arbeitsplätze entstanden.
„Vor drei Jahrzehnten entstand ein sehr kostenbewusster Staat, der seitdem bestrebt ist, soziale Sicherheit und wirtschaftliche Freiheit im Gleichgewicht zu halten, ohne die Grundlagen für Wohlstand zu unterlaufen."
Vor drei Jahrzehnten entstand ein sehr kostenbewusster Staat, der seitdem bestrebt ist, soziale Sicherheit und wirtschaftliche Freiheit im Gleichgewicht zu halten, ohne die Grundlagen für Wohlstand zu unterlaufen. Sichtbar wird dies in vielen Elementen, die auf der offenen, konsensual und egalitär geprägten schwedischen Kultur fußen, und sich in Deutschland punktuell in der Diskussion offenbaren: die Aktienrente, der hohe Digitalisierungsgrad öffentlicher Leistungen und seit langem auch der privaten Haushalte, das einfache Steuersystem, das Fehlen eines privilegierten Beamtentums oder eine subventionslose Industriepolitik. Auf der anderen Seite stehen im Sozialbereich weiterhin das staatlich finanzierte Gesundheitssystem mit seiner Einheitsversicherung (aktuelles Stichwort: Karenztag), das schwedische Familienmodell mit seiner umfassenden Kinderbetreuung oder die funktionierende Sozialpartnerschaft mit jährlich moderaten Lohnanpassungen.
In einer akuten Krise fand das Land ge- und entschlossen den Weg aus der damaligen wirtschaftlichen Rezession und dem allseits spürbaren Verlust an Wohlstand. Die Schwedinnen und Schweden akzeptieren dabei ein viel höheres Maß an Eigenverantwortung, die notwendigerweise eingefordert werden muss, wenn sich der Staat umorganisiert bzw. zurückzieht. „Help yourself“ wurde das bis heute leitende Motto. Auch Schweden steht aktuell vor vielen Herausforderungen, die Systeme nachzubessern, wie beispielsweise im Bereich der Bildung oder des Gesundheitswesens. Aber all diese Reformnotwendigkeiten stellen den eingeschlagenen Weg von einer dirigistischen Wirtschaft hin zu mehr Eigenverantwortung und freier Entfaltung des Einzelnen grundsätzlich nicht in Frage.
„Die Schwedinnen und Schweden akzeptieren dabei ein viel höheres Maß an Eigenverantwortung, die notwendigerweise eingefordert werden muss, wenn sich der Staat umorganisiert bzw. zurückzieht."
Dieser damals von einer sozialdemokratischen Regierung eingeleitete Wandel, mit dem die eigene Politik aus den 70iger Jahren korrigiert wurde, ging dabei keinesfalls einher mit einem Vertrauensverlust in den Staat. Ganz im Gegenteil. Das in Schweden historisch gefestigte Grundvertrauen in staatliche Entscheidungen trug auch zum Erfolg der damals eingeleiteten Reformen bei und erklärt im Übrigen auch die hohe Akzeptanz an Datentransparenz als wesentliche Grundvoraussetzung für viele digitale staatliche wie auch private Angebote. Dieser im Ausland kaum wahrgenommene Glaube an den Staat wurde auch in der Coronazeit oder bei den jüngsten Perspektivwechseln in der schwedischen Migrations-, Energie- oder Verteidigungspolitik wieder deutlich. Ein scheinbar gefestigtes öffentliches Meinungsbild wandelt sich überraschend flexibel und vergleichsweise lautlos und bei seiner politischen Umsetzung immer in Beachtung der Folgen für die Wirtschaft als tragende Säule des Wohlstandes.
Ralph-Georg Tischer