Der Text "Schweden unter der Lupe" vor der Skyline von Stockholm

Auch Schweden zeigt sich sehr besorgt wegen des Krieges in der Ukraine

28.03.2022

Senior Advisor Prof. Hubert Fromlet analysiert für uns die innenpolitische Debatte bezüglich eines eventuellen NATO-Beitritts Schwedens und die Folgen des Ukraine-Krieges für die schwedische Wirtschaft.

Wie fast in der ganzen Welt fragt man sich auch in Schweden, wie sich der Krieg in der Ukraine letztendlich politisch und wirtschaftlich auswirken wird. Außenpolitisch drehen sich die Diskussionen in Schweden primär um Russlands weitere Kriegsführung und innenpolitisch um die Vor- und Nachteile eines schwedischen NATO-Beitritts.

Offensichtlich wollen sich die sozialdemokratische Ministerpräsidentin Magdalena Andersson und ihre Minderheitsregierung dem heiklen Thema des NATO-Beitritts weniger als ein halbes Jahr vor den Parlamentswahlen nicht richtig annehmen. Die bürgerlichen Oppositionsparteien hingegen – wie die Sozialdemokraten auch in Minderheit im Parlament – plädieren jedoch lautstark für einen schwedischen Beitritt zur NATO, ganz im Gegenteil zu den ebenfalls oppositionellen Grünen und Linken. Die bereits an Schweden gerichteten Warnrufe aus Russland könnten die politische Beitrittsskepsis in Schweden noch weiter verstärken. Auch Finnlands NATO- und Verteidigungspolitik könnten zukünftig Einfluss auf Schwedens verteidigungspolitische Entscheidungen haben.

Anlässlich des Ukraine-Krieges findet sich momentan nur wenig Zeit für Diskussionen über schwedische Wirtschaftprognosen für die nächsten Quartale. Stattdessen führte man wie in Deutschland endlose Debatten über wirtschaftliche Kompensationsalternativen für benzinpreisgeplagte Autofahrerinnen und -fahrer.

Weitere Einzelheiten über die zukünftige schwedische Wirtschaftspolitik und die Konjunkturaussichten für 2023 lassen sich in Kürze dem Finanzplan der Regierung für 2023 entnehmen („vårpropositionen“), der am 19. April dem Reichstag vorgelegt wird.

„Unter den gegenwärtigen Umständen wird aber die Finanzplanung für 2023 auf sehr wackeligen Füßen stehen, zumal am 11. September Reichstagswahlen anstehen.“

Unter den gegenwärtigen Umständen wird aber die Finanzplanung für 2023 auf sehr wackeligen Füßen stehen, zumal am 11. September Reichstagswahlen anstehen.

Engpässe bei Rohstoffen, Halbfabrikaten und Transporten

Wie viele andere Länder kämpft auch Schweden mit Versorgungsengpässen in zahlreichen Sektoren – Versorgungsengpässe, die schon vor dem Krieg in der Ukraine als Folge der Corona-Pandemie zum Vorschein getreten waren. Dazu zählten im ersten Halbjahr 2021 vor allem Komponenten für die Fahrzeugindustrie, insbesondere Halbleiter und Chips. Heute sind Halbleiter noch immer globale Mangelware, was Schwedens Digitalisierung und Industrieproduktion noch über mehrere Jahre hinweg beeinträchtigten könnte.   

Inzwischen haben sich etliche Engpässe als Konsequenz des Ukraine-Kriegs weiter verschärft, hier vor allem bei Energierohstoffen, Agrarprodukten, Düngemitteln, wichtigen Metallen wie Nickel und Palladium sowie im Transportsektor. Gerade die negativen Auswirkungen der Engpässe im Transportsektor und der Lieferketten sollten nicht unterschätzt werden.

„Allerdings ist Schweden wesentlich weniger abhängig von importierten russischen Energierohstoffen als dies beispielsweise für Deutschland der Fall ist.“

Allerdings ist Schweden wesentlich weniger abhängig von importierten russischen Energierohstoffen als dies beispielsweise für Deutschland der Fall ist. Zudem gestaltet sich auch Schwedens Außenhandel mit Russland relativ bescheiden. Russlands Marktanteile für schwedische Exporte und Importe sind zuletzt deutlich gesunken und lagen in 2021 bei jeweils 1,4 Prozent. Als interessante Quelle für aktuelle Bewegungen im Außenhandel benutze ich gerne den relativ neuen Welthandelsindex des Kieler Instituts für Weltwirtschaft. Der Außenhandel von 75 Ländern wird hier zwei Mal im Monat mit Hilfe von Algorithmen und künstlicher Intelligenz über die Bewegungen von Containerschiffen ermittelt.

Insgesamt sprechen die hier zitierten Engpässe und einige mehr für einen weiteren Anstieg der schwedischen Konsumgüterpreise (Februar: 4,5 Prozent) – und damit auch für Zinserhöhungen, die nun viel früher als noch vor wenigen Monaten von den Finanzmärkten erwartet folgen werden.

Für Schwedens Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber sind dies keine gute Nachrichten. Relativ starke Lohnerhöhungen zeichnen sich bei einem weiteren Anstieg der Konsumgüterpreise spürbar ab, vor allem wenn die vielerorts geforderten und erwarteten Erhöhungen der Reallöhne zustande kommen sollten.   

Zurückhaltung bei Konjunkturprognosen

Während Märkte und Medien ausführlich über den Krieg in der Ukraine berichten und spekulieren, halten sich schwedische Makroökonominnen und -ökonomen – anders als in Deuschland – mit neuen und revidierten Wirtschaftsprognosen eher zurück. Dies geschieht nicht ohne Grund, da die (ungewisse) Fortsetzung des Krieges in der Ukraine auch für Schwedens BIP-Wachstum zumindest in den nächsten Quartalen von entscheidender Bedeutung sein wird.

Ursprünglich waren es vor allem Engpässe bei Vor- und Zwischenprodukten, Halbfabrikaten und Transportleistungen, die im Laufe von 2021 zu erhöhter Inflation global und in Schweden führten. Zuletzt hatten aber Lieferzeiten gemäß dem schwedischen Einkäuferindex (Purchasing Manager Index, PMI) etwas abgenommen, allerdings noch vor Ausbruch des Krieges in der Ukraine. Am 1. April erscheinen nun erste Beobachtungen für den März. Daher könnte es von Interesse sein, in dem von mir einst entwickelten schwedischen Einkäuferindex am 1. April und in den Monaten danach speziell nach dem Subindex „Lieferzeiten“ („leverantörernas leveranstider“) zu suchen (Quelle: Swedbank oder SILF). Zudem ist der totale PMI-Index für die Industrie der schnellste schwedische Konjunkturindikator.

Natürlich werden demnächst revidierte Prognosen für Schwedens Wirtschaftsentwicklung publiziert werden, vor allem von der Regierung am 19. April. Aber auch diese Prognosen für 2022 und 2023 könnten schnell obsolet werden. Noch kurz vor Weihnachten rechnete Finanzminister Damberg für 2022 mit einem BIP-Anstieg von 3,4 Prozent. Dies lässt sich nur noch halten, wenn der Krieg in der Ukraine sehr schnell beendet würde. Dies lässt sich aber nicht prognostizieren – und daher derzeit auch nicht die schwedische BIP-Entwicklung in 2022/2023. Zu viel ist noch immer unberechenbar: allen voran Putin und Russland, aber auch Corona. Über Corona erfährt man in Schweden sehr wenig in diesen Tagen. Da sollte man analytisch besser am Ball bleiben.

 

Ergänzender Kommentar:

Zum Zeitpunkt der Veröffentlichung des obrigen Artikels war nicht bekannt, dass Finanzminister Damberg seine revidierten Prognosen für 2022/2023 am 1. April bekanntgeben sollte.

Inhaltlich unterscheidet sich Dambergs neuer Konjunkturbericht nicht sonderlich von meinen früheren Einschätzungen. In aller Kürze zusammmengefasst, sieht auch Damberg jetzt ein niedrigeres BIP-Wachstum für 2022 und eine höhere Inflation für Schwedens Volkswirtschaft wahrscheinlicher als zu Beginn dieses Jahres.

Damberg wies am 1. April auch ausdrücklich auf die derzeit extreme Unsicherheit bei der Erstellung von Konjunkturprognosen hin. Diese Einsicht kommt aber bei der nur 0,3-prozentigen Rücknahme des erwarteten BIP-Wachstums für 2022 nicht richtig zum Zuge. Eine derartige Wachstumsabschwächung dürfte in diesem Jahr schon allein vom Inflationsanstieg kommen.

Langsam aber sicher merkt man in Schweden, dass 2022 ein Wahljahr ist. Dies zeigt sich auch bei der von Damberg sehr wohlwollend interpretierten Prognose für die Arbeitslosigkeit (7,6 Prozent). Vielleicht lässt sich dieses Phänomen mit der recht guten Beschäftigungsquote erklären (Prognose für 2022: 82,5 Prozent für die Altergruppe 20-64 Jahre). Es führt aber nicht an der Einsicht vorbei, dass Schweden seine Humankapitalbildung und Arbeitsmarktpolitik in Zukunft besser strukturieren muss.

 

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Hubert Fromlet

Affiliierter Professor an der schwedischen Linné-Universität und Senior Advisor der Deutsch-Schwedischen Handelskammer

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