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30 Jahre Mauerfall: Zahl schwedischer Unternehmen in Deutschland steigt – Osten tritt auf der Stelle
08.11.2019
Innerhalb von nur fünf Jahren ist die Zahl schwedischer Unternehmen auf dem deutschen Markt um 40 Prozent gestiegen. Doch während Berlin und die wirtschaftsstarken Bundesländer in Süd- und Westdeutschland viele Firmen aus dem hohen Norden angelockt haben, hält der Osten dieser Entwicklung nicht Schritt. Das geht aus der Analyse der Deutsch-Schwedischen Handelskammer zum 30. Jahrestag des Mauerfalls hervor.
Seit dem Fall der Berliner Mauer und der Wiedervereinigung sind West- und Ostdeutschland in vielen Bereichen zusammengewachsen. Hohe Summen wurden in Infrastruktur und Wettbewerbsfähigkeit investiert und viele Unterschiede zwischen Ost und West wurden ausgeglichen.
Doch auch 30 Jahre nach dem Mauerfall liegt Deutschlands wirtschaftliches Zentrum weiterhin in West- und Süddeutschland. Kein DAX-Unternehmen hat seinen Sitz in einem der nicht mehr ganz so neuen Bundesländer. Nur 16 der 500 umsatzstärksten deutschen Unternehmen haben ihren Hauptsitz im Osten.
Analysiert man die Standortwahl schwedischer Unternehmen in Deutschland, zeigt sich ein ähnliches Bild. Die meisten haben sich im traditionell industriestarken und bevölkerungsreichen Nordrhein-Westfalen angesiedelt (ca. 360 schwedische Unternehmen im Jahr 2019), gefolgt von Bayern (270) und Baden-Württemberg (215). Auf dem vierten Platz liegt Berlin (205), vor Hessen (170) und Hamburg (150).
Größter Zuwachs in Berlin
Im Vergleich zu vor fünf Jahren ist die Anzahl der schwedischen Unternehmen in Berlin am stärksten gestiegen. Dort haben sich gut 95 neue schwedische Unternehmen niedergelassen, was einem Zuwachs von 86 Prozent entspricht. Kräftig ist auch das Wachstum in Baden-Württemberg (85 neue Unternehmen, +65 Prozent), Hamburg (50 neue Unternehmen, +50 Prozent) und Bayern (80 neue Unternehmen, +42 Prozent). In Nordrhein-Westfalen haben sich 90 schwedische Unternehmen angesiedelt – ein Zuwachs von 33 Prozent.
„Das ist eine fantastische Entwicklung. Wir sehen, dass sich viele schwedische Zulieferer und Tech-Unternehmen wegen der starken Automobil- und Maschinenbauindustrie vor allem in Süddeutschland ansiedeln wollen. Auch Umwelttechnik, IT und Logistik sind wichtige Branchen für neue schwedische Unternehmensniederlassungen. Daneben entdecken Einzelhandelsunternehmen den deutschen Markt und wollen von der hohen Kaufkraft profitieren“, sagt Ralph-Georg Tischer, Geschäftsführer der Deutsch-Schwedischen Handelskammer in Stockholm.
Betrachtet man allerdings die fünf „neuen“ Bundesländer, zeigt sich ein anderes Bild. Zwar haben sich seit 2014 auch in Sachsen und Sachsen-Anhalt schwedische Tochtergesellschaften angesiedelt, doch ist die Anzahl weiterhin niedrig. In Sachsen gibt es mittlerweile 20 schwedische Unternehmen (2014: 15), in Sachsen-Anhalt 10 (2014: 5). In Mecklenburg-Vorpommern (15) und Thüringen (5) haben sich die Zahlen nicht verändert. Brandenburg ist das einzige Bundesland, in dem die Anzahl schwedischer Unternehmen in den letzten fünf Jahren zurückgegangen ist (25; 2014: 30). Hier schlägt sich der Rückzug Vattenfalls aus der Lausitzer Braunkohle in der Statistik nieder.
„In den östlichen Bundesländern wachsen gerade mehrere Innovationscluster heran, zum Beispiel in den Bereichen smarte Systeme und smarte Infrastruktur im Großraum Leipzig-Dresden. Unternehmen können von Fachkompetenz, geringeren Kosten, einer guten Infrastruktur und Fördermitteln zur Unternehmensgründung profitieren“, sagt Ralph-Georg Tischer.
Rückgang in Ostdeutschland
Ein schwedisches Unternehmen, das in den letzten Jahren schnell in Deutschland gewachsen ist und sich nun auch in den östlichen Bundesländern etabliert hat, ist der Ausbildungskonzern Academedia. Seit 2013 der Rechtsanspruch auf einen Kindergartenplatz ab der Vollendung des ersten Lebensjahres eingeführt wurde, ist der Bedarf an Betreuungsmöglichkeiten in Deutschland stark gestiegen.
„Wir freuen uns sehr, dass wir mit unseren Kitas auch in Deutschland vertreten sind“, sagt Marcus Strömberg, Geschäftsführer von Academedia. „Mittlerweile betreiben wir um die 40 Standorte, verteilt in Süddeutschland, Norddeutschland, Berlin, Brandenburg und im bevölkerungsreichen Nordrhein-Westfalen. Viele Familien interessieren sich für das skandinavische Betreuungsmodell und unser Angebot erfreut sich großer Beliebtheit. Dass wir vorerst vor allem in den westlichen Bundesländern aktiv sind, liegt daran, dass die Kinderbetreuung im Osten gut ausgebaut ist und es deswegen kein dort vergleichbar starkes Kapazitätsdefizit gibt. Wir behalten den östlichen Teil Deutschlands jedoch im Auge und planen, auch dort langfristig Fuß zu fassen.“
Das schwedische Unternehmen Technia bietet Softwaresysteme für Produktentwicklung und Innovationen an und entschied sich für eine Ansiedelung in Baden-Württemberg. Technias Aktivitäten in Ostdeutschland werden von den Büros in Westdeutschland aus gesteuert.
„Zu unseren Kunden gehören vor allem Maschinenhersteller sowie Firmen aus Fahrzeugindustrie und Life Science – Bereiche, die in Süddeutschland besonders stark verankert sind“, sagt Jonas Gejer, Geschäftsführer von Technia. „Wir haben an sechs weiteren Orten Niederlassungen, um nah an unseren Kunden zu sein, auch wenn lokale Firmensitze durch die Digitalisierung immer mehr an Bedeutung verlieren. Bei unseren Projekten geht es vor allem darum, eine globale Infrastruktur für Innovationen und Produktentwicklung zu schaffen.“
Insgesamt sind heute nur 4 Prozent der in Deutschland vertretenen schwedischen Unternehmen in den östlichen Bundesländern ansässig, während es vor fünf Jahren noch 6 Prozent waren. Dagegen ist der Anteil der schwedischen Unternehmen in Berlin im gleichen Zeitraum von 9 auf 12 Prozent gestiegen.
„Berlin ist vor allem für Start-ups im Bereich der digitalen Medien und des Onlinehandels attraktiv“, so Ralph-Georg Tischer. „Auch andere Technik-Unternehmen entdecken zunehmend die deutsche Hauptstadt, die schon längst als Start-up-Hub gilt und so Unternehmen aus Schweden und anderen Ländern anlockt.“
Über die Studie: Die Deutsch-Schwedische Handelskammer hat die Standortwahl schwedischer Tochtergesellschaften (zu über 50 Prozent in schwedischem Besitz) in Deutschland untersucht. Sie basiert auf Daten aus der Markus-Datenbank, die im Auftrag von Germany Trade & Invest erhoben wurden. Die Zahlen beziehen sich auf Juni 2019 und April 2014.
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