Catherine L Mann: Deutschland und Schweden können mehr
26.01.2018
Die Weltwirtschaft braucht nicht weniger, sondern mehr Globalisierung – das war die klare Botschaft der ehemaligen OECD-Chefvolkswirtin Catherine L Mann bei der Chairman’s New Year Reception der Deutsch-Schwedischen Handelskammer am Donnerstagabend in Stockholm. Mit einem Reigen detaillierter Statistiken machte die renommierte Wirtschaftswissenschaftlerin dabei ihrem Ruf als „Queen of Big Data“ alle Ehre.
Für 2018 prognostizierte Mann ein globales Wirtschaftswachstum von 3,7 Prozent, doch danach, so ihre Warnung, gehe es abwärts. „Die große Herausforderung für Unternehmer, Konsumenten und Politiker gleichermaßen ist, dass wir nicht zu viel, sondern zu wenig Globalisierung haben“, sagte die US-Amerikanerin, die nach drei Jahren an der Spitze der OECD-Wirtschaftsabteilung in Paris im Februar zur Citigroup nach New York wechselt.
Um nachhaltiges Wachstum zu erreichen, müsse die Handelsintensität steigen, die Handelsintegration zunehmen und das Internet besser genutzt werden. Die OECD-Daten belegen: Je größer die Internetpenetration in einem Land, desto mehr Produkte an umso mehr Abnehmerländer liefert es.
Schweden steht diesbezüglich eigentlich nicht schlecht da, doch das reicht Mann nicht: „Sie bleiben trotzdem noch weit hinter Ihren Möglichkeiten zurück, wenn man daran denkt, wie digitalisiert Ihr Land ist.“
Dienstleistungen hinken hinterher
Zwei Faktoren sind laut Mann für nachhaltiges Wirtschaftswachstum von elementarer Bedeutung: Dienstleistungen und Produktivität. Dies gilt auch für Schweden und Deutschland. In beiden Ländern nimmt die Bedeutung des Dienstleistungssektors stetig zu. Das Produktivitätswachstum bei Dienstleistungen hinke jedoch dem in der Industrie deutlich hinterher.
Handels- und Investitionshemmnisse, unter denen weltweit vor allem kleine Unternehmen überdurchschnittlich zu leiden hätten, seien in Deutschland und Schweden nur ein kleiner Teil der Erklärung. Im Services Trade Restrictiveness Index der OECD schneiden beide Länder nämlich relativ gut ab. Dennoch gibt es laut Mann Verbesserungsbedarf: „Warum liegen Ihre Länder nicht ganz unten auf der Skala? Warum sind Sie nicht Best Practice?“
Kluft zwischen „the best“ und „the rest“ wächst
Gleichzeitig warnte Mann davor, sich beim Thema Produktivitätswachstum von Durchschnittswerten täuschen zu lassen. Ein nuancierter Blick zeige nämlich einen markanten Unterschied zwischen „the best“ und „the rest“.
So sei seit 2002 die Produktivität bei den Top-Performern, also bei den besten 5 Prozent der jeweiligen Branche, markant gestiegen. Bei den restlichen 95 Prozent der Unternehmen stagniere sie hingegen. Dasselbe gelte für die Entwicklung der Reallöhne.
„Die Nachzügler, also 95 Prozent der Unternehmen, bezahlen ihr Personal schlecht. Die Spitzenreiter bezahlen gut – wenngleich vielleicht auch nicht so gut, wie sie es tun sollten“, sagte Mann. Eine Folge dieser Entwicklung: Die Lohnungleichheit steigt.
Schweden und Deutschland brauchen Reformen
Die größte Gefahr für die Zukunft sieht die Chefökonomin darin, dass sich Politik und Wirtschaft aufgrund der momentan guten Konjunkturlage selbstzufrieden zurücklehnen und notwendige Reformen nicht durchführen.
Für Schweden ist laut Mann der Immobilienmarkt die größte Herausforderung. „Das ist nicht nur eine Frage für die Finanzmärkte, sondern hat auch wesentlich mit der Diskussion über Produktivitätswachstum und Lohnungleichheit zu tun.“
Bei Deutschland wiederum sieht Mann gleich zwei Probleme: Dienstleistungen und Gleichstellung. „Die Deutschen glauben, ihre Dienstleistungen seien gut genug, und sie glauben, Frauen arbeiteten ausreichend. Das sind zwei sehr sensible Fragen.“