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Carl Montalvo, Head of Corporate Finance bei SEB
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Der schwedische IPO-Markt: ein außergewöhnliches Biotop
25.11.2025
Während viele europäische Länder mit Initial Public Offerings (IPOs) Mühe haben, bildet Skandinavien und besonders Schweden die Ausnahme. Im Schatten der Pensionsfonds des Landes entsteht ein einzigartiges Börsenbiotop.
Initial Public Offerings (IPOs), also Börsengänge, boomen in Schweden. In Europa zeichnet sich laut dem aktuellen Quartalsbericht des Beratungsunternehmens EY eine rückgängige Anzahl von Börsengängen ab – mit Ausnahme des Nordens. Dahinter verbirgt sich ein Trend, der sich mittlerweile auch in der breiten Wahrnehmung niederschlägt und zu Schlagzeilen führt, wie sie kürzlich das internationale Wirtschaftsmedium Bloomberg schrieb: „Stockholm Is Becoming Europe’s Hottest Market for IPOs“. Weshalb dem schwedischen Finanzplatz diese besondere Marktstellung gelang und weshalb sich der deutsche Finanzplatz schwerer tut mit den IPOs, liegt an verschiedenen Faktoren.
Cornerstone-Investoren als maßgeblicher Einfluss
Heiko Leopold, Head of Equity Capital Markets im DACH-Raum der Deutschen Bank, sieht einen wesentlichen Grund dafür in sogenannten Cornerstone-Investoren, welche sich bereits vor dem Börsengang verpflichten, einen bestimmten Anteil der angebotenen Aktien zu kaufen. In Schweden treten unter anderem Pensionsfonds als Investoren auf, welche aktiv nach heimischen Aktien suchen und auch in IPOs investieren. „Solche Cornerstone-Investoren geben einem IPO enormen Rückhalt. In Deutschland ist das Spektrum solcher Investoren eher begrenzt und seitens Privatanlegern wird zwar auch in einzelne Aktien investiert, aber die bevorzugte Anlageklasse sind eher ETFs“, sagt Leopold. Zudem fügt Leopold an: „Für erfolgreiche IPOs braucht es großvolumige Aktienfonds als institutionelle Investoren, die aktives Stock-Picking betreiben.“
„Für erfolgreiche IPOs braucht es großvolumige Aktienfonds als institutionelle Investoren, die aktives Stock-Picking betreiben.“
Solche Institutionellen Investoren finden sich in Schweden häufig in Form von Pensionsfonds. In Deutschland ist die Aktienanlage im Rahmen der Altersvorsorge und insbesondere IPO-Investments unüblich. Deshalb sind viele IPOs vom Engagement und Investment angelsächsischer Fondsinvestoren abhängig. Die sogenannten Cornerstone-Investoren zu gewinnen bleibt allerdings schwierig und eine wesentliche Herausforderung für jeden IPO. „Ich vermute, das liegt daran, dass die Performance einiger vergangener IPOs in Deutschland gemischt war. Viele IPOs aus dem Tech-Boom 2021 haben in den darauffolgenden Jahren Kursverluste erlitten. In Schweden verlief das in den letzten Jahren anscheinend glimpflicher. In gewissem Sinne sind IPO-Märkte vergleichbar zu einem Biotop und das schwedische Biotop scheint etwas intakter und ausgeglichener zu sein“, sagt Leopold. Das wiederum führt dazu, dass auch andere institutionelle Investoren, aber auch Family Offices, Vertrauen in den schwedischen IPO-Markt gewonnen haben. Eine Art positiver, sich selbst verstärkender Kreislauf.
Die Auswirkungen dieses Kreislaufs zeigen sich ganz konkret in den Zahlen. So auch im EY-IPO-Bericht zum dritten Quartal von 2025. Bezogen auf Europa heißt es darin: „Im Vergleich zu 2024 ging die Zahl der Börsengänge in den ersten drei Quartalen 2025 um 25 Prozent zurück, während das Transaktionsvolumen um 39 Prozent sank. Die nordischen Länder bilden die einzige Ausnahme: Die Zahl der nordischen IPOs stieg in den ersten drei Quartalen im Vergleich zum gleichen Zeitraum 2024 um 27 Prozent. Insgesamt wurden 2025 in den nordischen Ländern 14 Börsengänge durchgeführt, davon 9 in Schweden. Die Stockholmer Börse stellte im laufenden Jahr vier der zehn größten IPOs Europas.“
Das Verhältnis von Aktien und Gesellschaft
Ein Grund für die IPO-Dichte in Schweden liegt in der Aktien-Kultur des Landes „Aktiensparen ist in Schweden sehr weit verbreitet. Die AP-Fonds stellen ein kollektives Sparen unserer Rentengelder in Aktien dar, aber auch viele Privatpersonen halten direkt Aktien“, sagt Carl Montalvo dazu, Head of Corporate Finance bei der schwedischen Bank SEB.
„Die AP-Fonds stellen ein kollektives Sparen unserer Rentengelder in Aktien dar, aber auch viele Privatpersonen halten direkt Aktien“
Bereits in den 1960er-Jahren wurden die Swedish State Pension Funds, kurz AP Funds, eingeführt. Mittlerweile sind sie zu einer Größe von mehr als 300 Milliarden Euro in gemanagten Assets angewachsen, wovon ein großer Teil aus Aktien besteht. Zudem gab es in den folgenden Jahren und Jahrzehnten immer wieder Anreize für Aktienanlagen von staatlicher Seite. Community-Meetings, also die Möglichkeit, sich lokal über den Aktienmarkt und das Aktienanlegen zu informieren, wie auch Internet-Broking-Plattformen wie Avanza, die in Schweden sehr beliebt sind, verstärkten diese Mentalität des Aktienanlegens.
Dass Schweden dieses Jahr in Sachen IPOs so heraussticht, nennt Montalvo allerdings auch „ein gutes Timing“. Einen generellen Trend einer IPO-Migration nach Schweden sieht Montalvo nicht. „Stockholm ist ein effizienter Markt, aber die Unternehmen, die hier gelistet wurden, haben eine Verbindung zu Schweden. Es gibt nur sehr wenige Beispiele von Unternehmen ohne nordische Verbindung, die hier gelistet sind.“ Zudem ist Schweden, trotz des verhältnismäßigen Erfolgs in Europa, nach wie vor ein kleinerer Player im globalen Kontext. Das macht sich zum Beispiel daran fest, dass Tech-Companies wie Klarna oder Spotify – obwohl sie schwedische Unternehmen sind – ihren IPO in den USA starten.
Ob Stockholm mittel- oder langfristig zum IPO-Zentrum Europas wird, ist für Montalvo noch offen. „Wir sollten versuchen, das Szenario zu vermeiden, in dem alle europäischen Unternehmen für ein Listing in die USA gehen. Aber da das einstige Zentrum London seit dem Brexit außerhalb der EU liegt, ist es derzeit nicht eindeutig, wo das neue Zentrum in Europa liegt.“
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