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Vertrauen und Zusammenarbeit: Wie Schweden Bürokratie einfach gestaltet

01.04.2025

Unzählige Vorschriften, Unmengen an Formularen und langwierige Prozesse bremsen die Wirtschaft in Deutschland und schmälern die Attraktivität des Standorts. Eine ifo-Studie für die IHK für München und Oberbayern hebt Schweden als Beispiel für effiziente Bürokratie hervor. Doch was macht das Land anders und welche Ansätze könnten Deutschland als Vorbild dienen?

Anfang März war Stockholm Ziel einer bayerischen Delegationsreise, die die IHK für München und Oberbayern zusammen mit der Deutsch-Schwedischen Handelskammer initiiert hat. Sie hat Vertreterinnen und Vertreter aus Politik, Verwaltung und Wirtschaft beider Länder zusammengeführt, um sich über die Verwaltung in Schweden auszutauschen und gemeinsam darüber nachzudenken, welche Ansätze auch für Deutschland interessant sein könnten. Denn es besteht Handlungsbedarf: eine Studie, die die IHK für München und Oberbayern beim ifo-Institut in Auftrag gegeben hat, beziffert den Schaden durch entgangene Wirtschaftsleistungen infolge ausufernder Bürokratie auf 146 Milliarden Euro pro Jahr. Für die Analyse hat das ifo-Institut den Bürokratie-Index ausgewählter OECD-Länder ermittelt und verglichen, aus dem Schweden als positives Beispiel hervorgeht. Denn der Studie zufolge brauchen schwedische Unternehmen im Vergleich zu deutschen für Steuererklärungen im Schnitt nur etwa die Hälfte der Zeit und es ist beispielsweise nur ein bürokratischer Vorgang nötig, um Immobilieneigentum anzumelden (Deutschland: sechs Vorgänge).

Landesweite Zuständigkeit versus Föderalismus

Ein entscheidender Grund für Schwedens Effizienz liegt in seiner Verwaltungsstruktur. Der föderale Aufbau Deutschlands aus 16 autonomen Bundesländern geht mit bundesweit rund 11.000 Behörden einher, die weitgehend selbstständig agieren – ein Informationsaustausch untereinander war ursprünglich nicht vorgesehen und findet bis heute kaum statt. Bundeslandüberschreitende Prozesse – zum Beispiel bei einem Umzug – erfordern daher einige Behördengänge, etwa um den neuen Wohnsitz zu melden oder das Auto umzumelden. Obwohl auch Schweden aus 21 Regionen mit eigenen Verwaltungen und Landtagen besteht, sind die relevanten Behörden direkt der schwedischen Zentralregierung unterstellt und landesweit zuständig. Diese 367 staatlichen Behörden setzen die vom schwedischen Reichstag und der Regierung getroffenen Entscheidungen um, sind aber organisatorisch unabhängig. Auf diese Weise hat Schweden beispielsweise ein „Transportstyrelsen“ anstelle von mehr als 700 Zulassungsstellen, ein „Skatteverket“ anstelle von mehr als 600 Finanzämtern und ein „Integritetsskyddsmyndigheten“ anstelle von 17 Landesdatenschutzbehörden.  

Einfache Regeln für leichte Umsetzbarkeit

Schweden hat den Anspruch, dass es für die Bürgerinnen und Bürger einfach sein soll, gesetzeskonform und -treu zu handeln. Amtliche Texte sind daher verständlich formuliert, denn jeder soll sie verstehen können. Bei den Gesetzen fokussiert sich die Politik möglichst auf das Wesentliche, anstatt sich in Details zu verlieren. Deshalb hat Schweden bei der Umsetzung der Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) zum Beispiel nur begrenzt von den Öffnungsklauseln Gebrauch gemacht, während Deutschland sie in relativ großem Umfang genutzt und damit weitere Hürden geschaffen hat. So müssen schwedische Unternehmen beispielsweise nur dann einen Datenschutzbeauftragten benennen, wenn sie sensible Daten verarbeiten, und nicht bereits pauschal wie in Deutschland ab einer Unternehmensgröße ab 20 Mitarbeitenden. Die Darstellung der DSGVO als leicht und umsetzbar wurde auch von den schwedischen Medien aufgegriffen, die vor allem die Vorteile betonten, wie die Stärkung von Verbraucherrechten oder die Erleichterung des internationalen Datenaustauschs. In Deutschland stand vor allem der hohe Verwaltungsaufwand und drohende Strafen im Mittelpunkt der Berichterstattung. Dies hat besonders kleine Unternehmen, Vereine und Selbstständige verunsichert, die rechtlichen Beistand suchten. Bis heute existiert eine starke Abmahnindustrie, die von kleinsten Verstößen auf Internetauftritten profitiert.

Schwedische Behörden als Dienstleister

Eine zentrale Aufgabe der staatlichen Behörden ist, passende Rahmenbedingungen zu schaffen, um die Einhaltung der Gesetze zu erleichtern. 

„Dabei agieren schwedische Behörden unternehmerisch, indem sie effiziente Prozesse entwickeln, moderne Technologien nutzen und Kundenfreundlichkeit in den Mittelpunkt stellen.“

Dabei agieren schwedische Behörden unternehmerisch, indem sie effiziente Prozesse entwickeln, moderne Technologien nutzen und Kundenfreundlichkeit in den Mittelpunkt stellen. Dazu gehört auch, (digital) Auskunft zu geben, zu beraten und Lösungen aufzeigen. Sie fungieren also mehr als kompetente und serviceorientierte Dienstleister anstatt eines Kontrollorgans. Dieses Verständnis ist im „statliga värdegrunden“ verankert, das Demokratie, Legalität, Objektivität, Meinungsfreiheit, Respekt sowie Effizienz und Service als gesellschaftliches Wertefundament definiert. Schwedische Behörden gehen deshalb davon aus, dass sich die Mehrheit der Bürgerinnen und Bürger sowie Unternehmen entsprechend regelkonform verhalten und Kontrollen nur in Ausnahmefällen nötig sind. Dieses Vertrauen wirkt in beide Richtungen: weil die Bürger nicht unter Generalverdacht stehen, vertrauen sie umgekehrt ihren Behörden. Skepsis vor Missbrauch ist deutlich geringer ausgeprägt, weshalb auch neue Regelungen einfacher angenommen und akzeptiert werden. 

„Gleichzeitig stärkt das schwedische Öffentlichkeitsprinzip die Kontrolle des Staates durch die Bürger: viele Dokumente sind öffentlich zugänglich, was Transparenz schafft und Korruption vorbeugt.“ 

Gleichzeitig stärkt das schwedische Öffentlichkeitsprinzip die Kontrolle des Staates durch die Bürger: viele Dokumente sind öffentlich zugänglich, was Transparenz schafft und Korruption vorbeugt. Dieses Gleichgewicht aus Vertrauen, Effizienz und Kontrolle trägt dazu bei, dass Bürokratie in Schweden nicht als Belastung, sondern als notwendige und gut funktionierende Infrastruktur wahrgenommen wird.

Zentrale Daten durch Once-Only

Um auch den Anspruch an Effizienz und Service zu erfüllen, setzt Schweden auf ein hohes Maß an Digitalisierung. Gemäß dem Anspruch einer 24-Stunden-Behörde („24-timmarsmyndigheten“) sollen bürokratische Dienstleistungen unabhängig von Ort und Zeit zugänglich sein. Ein neues Unternehmen lässt sich einfach via „verksamt.se“ online gründen, ein neuer Wohnsitz rund um die Uhr online beim Skatteverket melden, welches auch Aufgaben von Einwohnermeldeamt, Passstelle und Standesamt unter seinem Dach vereint. Als guter Dienstleister nimmt das Skatteverket seinen Bürgerinnen und Bürgern sowie Unternehmen auch einiges bei der Steuererklärung ab, indem sie schon vorausgefüllt zugestellt wird und nur noch bestätigt oder ggf. ergänzt werden muss. Dies ist möglich, weil das Once-Only-Prinzip bereits vielfach Anwendung findet. Einmal eingereichte Daten werden zentral gespeichert und von den Behörden gemeinsam genutzt. Wenn beispielsweise die Krankenkasse die geleisteten Krankheitskosten kennt, wird der Höchstsatz erst gar nicht überschritten. Damit entfallen wiederum jährliche Anträge auf Zuzahlungsbefreiungen oder aber die Rückerstattung über die Steuererklärung. 

Clevere Schnittstellen für Vernetzung

Ein weiterer Baustein in der Digitalisierung ist die Vernetzung von Software über zahlreiche Schnittstellen. So haben vor allem die Anbieter von Buchhaltungssoftware viele Services eng mit dem Skatteverket verzahnt. So können Unternehmen die Monats- beziehungsweise Quartalsmeldungen in der Buchhaltungssoftware erstellen, exportieren und hochladen. Das reduziert Fehlerquellen, spart Zeit und sorgt für einen reibungslosen Ablauf bei steuerlichen Meldepflichten. Manche Buchhaltungsprogramme lassen sich direkt mit dem Firmenkonto koppeln, um sämtliche Geldbewegungen automatisch zu verbuchen. Andere haben ein Belegmanagement integriert, das digitale Quittungen beim Belasten der Firmenkreditkarte automatisch in Echtzeit hochlädt und speichert. Auf diese Weise hilft die Buchhaltungssoftware bei der Umsetzung des Kvittolagens, das Unternehmern erlaubt, schriftliche Belege nur noch rein digital aufzuheben.

Gemeinsame Entwicklungen statt Alleingänge

Die Bereitschaft zur gemeinsamen Konsensfindung ist eine entscheidende Eigenschaft der Schweden. 

„Die Bereitschaft zur gemeinsamen Konsensfindung ist eine entscheidende Eigenschaft der Schweden.“

Und sie sind pragmatisch genug, nicht für alles individuelle Lösungen entwickeln zu lassen, sondern bereits vorhandene Konzepte aus der Privatwirtschaft aufzugreifen und in den öffentlichen Sektor zu integrieren – Zusammenarbeit statt langwierige Ausschreibungsverfahren. Ein Beispiel dafür ist Kivra, ein digitaler Postdienst, der formelle Schreiben als pdf-Dokument übermittelt. Dem Dienst, der 2011 von einem Start-up ins Leben gerufen wurde, haben sich mittlerweile mehr als 52.000 Unternehmen und Behörden angeschlossen. Heute verschickt das Skatteverket darüber an die 6.17 Millionen Anwenderinnen und Anwender die Steuerbescheinigung, das Pensionsmyndigheten den Rentenbescheid, die Kommune die Einladung zur Vorsorgeuntersuchung, der Arbeitgeber die Lohnabrechnung und der örtliche Supermarkt die Kassenzettel und das Werbeblättchen. Ein Konto ist dank der Identifizierungsapp BankID schnell erstellt. Sie ist ebenfalls ein Zeugnis schwedischer Zusammenarbeit: an ihrer Entwicklung waren die meisten großen Banken beteiligt. Ziel war eine allgemeine Infrastruktur für e-Identifizierungen, die den Anforderungen von Behörden und Banken entspricht und sowohl von der Öffentlichkeit als auch von Unternehmen akzeptiert wird. 

Bürokratieabbau als Summe von Experimentierfreude

Schweden zeigt: Bürokratie muss kein Hemmschuh sein, sondern kann als smarte, bürgerfreundliche Infrastruktur gestaltet werden. 

„Schweden zeigt: Bürokratie muss kein Hemmschuh sein, sondern kann als smarte, bürgerfreundliche Infrastruktur gestaltet werden.“

Allerdings lassen sich die schwedischen Lösungen nicht eins zu eins auf Deutschland übertragen. Bevor digitale Prozesse effizient gestaltet werden können, müssen zunächst die rechtlichen und organisatorischen Rahmenbedingungen überarbeitet werden – erst dann kann Digitalisierung ihre volle Wirkung entfalten. Es braucht den gemeinsamen Konsens aller Akteure mit einem gemeinsamen Verständnis von Verwaltung als Dienstleistung. „Vertrauen, Pragmatismus und Experimentierfreude sind hierbei die entscheidenden Faktoren“, betont Ninni Löwgren Tischer, Bereichsleiterin Market Services der Deutsch-Schwedischen Handelskammer.  

Inka R. Stonjek 

 

Weitere Informationen
Firmenbefragung zum Thema Bürokratie in Deutschland, ifo Institut, München, 2024
Entgangene Wirtschaftsleistung durch hohen Bürokratieaufwand, ifo Institut, München, 2024

 

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Ninni Löwgren Tischer

Market Entry & Business Development, Messen | Bereichsleitung

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