
v.l.n.r.: Malin Dahlroth (Sysav), Staffan Gustavsson (Boehringer Ingelheim AB), Anders Lindén (Swerig), Marcus Thomasfolk (Volkswagen), Göran Nyström (Ovako AB), Susanne Kuschel (BASF)
Schlüsselthemen für die Europawahl: Die deutsch-schwedische Wirtschaft nimmt Stellung
21.05.2024
Am 9. Juni 2024 finden die Wahlen zum Europäischen Parlament statt. Hier stellt die deutsch-schwedische Wirtschaft ihre wichtigsten Themen für die nächste Wahlperiode vor.
Die Unternehmen in der EU leiden unter einer geschwächten globalen Wettbewerbsfähigkeit. Deshalb ist es höchste Zeit, die Entwicklung umzukehren, schrieb die Deutsch-Schwedische Handelskammer Anfang des Jahres in einem Debattenartikel. Wir haben einige unserer Mitgliedsunternehmen aus verschiedenen Branchen gefragt, was ihrer Meinung nach die wichtigsten Themen für die nächste Legislaturperiode des Europäischen Parlaments sind. Hier sind ihre Antworten.
Malin Dahlroth, CEO, Sysav (Südschwedens Abfallentsorgungsunternehmen):
Wir brauchen funktionierende Märkte für negative Emissionen und recycelten Kohlenstoff. Schweden hat alle Voraussetzungen, um in der neuen Industrie, die sich mit der CO2-Abscheidung entwickelt, führend zu sein – mit neuen Exportprodukten und Kohlendioxid als Rohstoff für andere Industrien. Wir müssen klare Spielregeln festlegen.
Auf einer übergeordneten Ebene ist es wichtig, dass die klare Führungsrolle der EU im Klimaschutz und in der Kreislaufwirtschaft nicht nachlässt, sondern weiterhin eine starke Kraft auf globaler Ebene bleibt. Wir brauchen eine Herstellerverantwortung und Quotenverpflichtungen für Textilien. Um die enorme Ressourcenverschwendung, die die lineare Bewirtschaftung von Textilien darstellt, in den Griff zu bekommen, bedarf es einer robusten Herstellerverantwortung, die den einzelnen Mitgliedsstaaten nicht zu viel Interpretationsspielraum lässt. Wir müssen auch sicherstellen, dass recycelte Materialien mit neuen Materialien wettbewerbsfähig sind.
„Um die enorme Ressourcenverschwendung, die die lineare Bewirtschaftung von Textilien darstellt, in den Griff zu bekommen, bedarf es einer robusten Herstellerverantwortung."
Marcus Thomasfolk, Head of Communications, Volkswagen Group Schweden:
Wir halten es für wichtig, dass Europa weiterhin eine verantwortungsvolle Klimapolitik betreibt, die mit breiter Unterstützung umgesetzt werden kann. Das bedeutet, dass die Klimapolitik auch sozial und wirtschaftlich nachhaltig sein sollte. Wenn Europa geeint ist und sich für den Klimawandel rüstet, kann dies die europäische Wettbewerbsfähigkeit stärken.
„Klimapolitik muss auch sozial und wirtschaftlich nachhaltig sein.“
Anders Lindén, Vorsitzender von Swerig (Verband für exportierende Unternehmen der Eisenbahnindustrie):
Swerig ist der Ansicht, dass sich das kommende Europaparlament darauf konzentrieren sollte, kleinen und mittelständischen Unternehmen den Wettbewerb auf dem EU-Markt zu erleichtern. Innovationen entstehen oft aus neuen Unternehmen und Geschäftsideen, und so tragen KMU in hohem Maße dazu bei, das Innovationstempo, die Wettbewerbsfähigkeit und die Entwicklung in der EU insgesamt zu steigern. Wir möchten insbesondere zwei Bereiche erwähnen, die für kleinere Unternehmen eine Herausforderung darstellen:
1.Die Auftragsvergabe sollte offen und transparent sein und in einer gemeinsamen Sprache, nämlich Englisch, erfolgen. Damit soll vermieden werden, dass die Sprache implizit zu einem Wettbewerbsinstrument wird.
2.Die Belastung durch immer komplexere Vorschriften trifft kleine Unternehmen unverhältnismäßig stark in ihrer Wettbewerbsfähigkeit. Natürlich ist ein ehrgeiziges Regelwerk in Bereichen wie Umwelt, Klima und Digitalisierung wichtig, aber das rasante Tempo der Entscheidungen der letzten Jahre birgt die Gefahr, dass Unternehmen mit umfangreichen Berichts-, Dokumentations- und Compliance-Anforderungen erdrückt werden. Die Ressourcen unserer Mitglieder sollten in Produktivität und Innovation fließen. Deshalb sind wir der Meinung, dass die nächste Kommission und das Parlament den Rechtsrahmen konsolidieren und verbessern sowie das Tempo der Gesetzgebungsarbeit reduzieren sollten, um die Unternehmen nicht mit ständigen Anpassungen zu belasten.
„Die nächste Kommission und das Parlament sollten den Rechtsrahmen konsolidieren und verbessern sowie das Tempo der Gesetzgebungsarbeit reduzieren."
Susanne Kuschel, Senior Public Affairs Manager Sweden, BASF:
Die Europawahlen sind für BASF von größter Bedeutung, da sie sich direkt auf unser Geschäft auswirken. Die EU gibt den Rahmen vor, in dem wir tätig sind, und wir arbeiten jeden Tag daran, unsere Freiheit und Lizenz zur Geschäftsausübung zu sichern und so den Geschäftsnutzen für Europa durch die Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit zu stärken. In unserem speziell für die Wahlen erstellten Grundsatzprogramm heben wir spezifische politische Ziele für die nächste Amtszeit der EU hervor:
1. Eine intelligente Verbindung zwischen Industrie- und Klimapolitik, die die Wettbewerbsfähigkeit in den Mittelpunkt der EU-Entscheidungen stellt.
2. Die praktische Umsetzung des Grünen Deals durch einen förderlichen und einheitlichen Rechtsrahmen.
3. Stärkung der Innovationsökosysteme und Unterstützung der technologischen Offenheit in Forschung und Entwicklung.
Wir arbeiten an neuen Technologien für eine klimaneutrale Chemieproduktion und wollen auf diesem Gebiet weiterhin führend sein. Die innovativen Produkte und Lösungen von BASF, darunter chemisches Recycling von Kunststoffen sowie die Herstellung und das Recycling von Batteriematerialien, tragen zu den Nachhaltigkeitszielen unserer Kunden bei. Die derzeitigen Rahmenbedingungen der EU unterstützen jedoch noch nicht in vollem Umfang den Geschäftsnutzen vieler dieser Innovationen, weshalb wir Verbesserungen einfordern.
„Die derzeitigen Rahmenbedingungen der EU unterstützen nicht in vollem Umfang den Geschäftsnutzen vieler dieser Innovationen, weshalb wir Verbesserungen einfordern."
Staffan Gustavsson, Head of Market Access and Public Affairs, Boehringer Ingelheim AB:
Ich sehe – sowohl als Privatperson als auch als Vertreter der forschenden Pharmaindustrie – die Notwendigkeit, eine demokratische Regierung und einen demokratischen Ansatz zu schützen und zu stärken, bei dem jeder Mensch politische Rechte und Freiheiten hat und vor dem Gesetz gleich ist. Darüber hinaus muss die allgemeine Wettbewerbsfähigkeit der EU im Vergleich zum Rest der Welt durch strategische Investitionen und Initiativen in Forschung und Entwicklung gestärkt werden.
Insbesondere müssen künftige Parlamente weiter an den derzeit vorgeschlagenen neuen Arzneimittelvorschriften arbeiten und diese weiter verbessern. Ich befürworte das von der Europäischen Kommission erklärte Ziel, Ungleichheiten beim Zugang zu Arzneimitteln zu verringern, Anreize für Forschung und Entwicklung zu schaffen und die Wettbewerbsfähigkeit zu stärken. Dies kann jedoch auf eine bessere Art und Weise geschehen, als sie bisher vorgelegt wurde.
In dieser Hinsicht stimme ich mit den schwedischen Regierungsvertreterinnen und -vertretern überein, die sich gegen eine Verkürzung der Datenschutzfristen ausgesprochen haben. Darüber hinaus muss die dem Vorschlag innewohnende Unvorhersehbarkeit, die durch unterschiedliche bedingte Schutzfristen verursacht wird, angegangen werden. Stattdessen brauchen Unternehmertum und Investitionen in Forschung und Entwicklung ein System und einen Rechtsrahmen, der eine angemessene Vorhersehbarkeit für Investitionsentscheidungen bietet, um strategische Investitionen zu gewährleisten, die zum wirtschaftlichen Wohlstand beitragen können. Letztlich ist dies ein Beitrag zur besseren Versorgung und Gesundheit der Bürgerinnen und Bürger.
„Unternehmertum und Investitionen in Forschung und Entwicklung brauchen ein System und einen Rechtsrahmen, der Investitionsentscheidungen angemessen vorhersehbar macht."
Göran Nyström, Senior Advisor Ovako AB:
Das Wichtigste ist, dass die EU ihren Weg zu einer nachhaltigeren und wettbewerbsfähigeren Industrielandschaft fortsetzt. Nur so können wir unsere Umwelt retten und Arbeitsplätze sichern.
Viele Branchen stehen vor einem radikalen, aber auch notwendigen Wandel. Wir sehen, wie das Alte gegen das Neue kämpft, das Lineare gegen das Zirkuläre. Verbraucherinnen und Verbraucher sowie Erstausrüster müssen wissen, was sie wählen, und eine große Verantwortung für ihre Einkäufe übernehmen. Dies setzt voraus, dass Produkte mit einem geringen Kohlenstoff-Fußabdruck (cradle to gate) gegenüber solchen mit einem höheren bevorzugt werden. Wir wollen den inhärenten Unterschied zwischen oberflächlich gleichwertigen Produkten deutlich machen, indem wir eine Produktkennzeichnung vorschreiben. Und wir wollen den Aufbau von glaubwürdigen, geprüften Systemen für die Datenkette erleichtern. Dies wird für die EU besonders wichtig sein, wenn sich eine weniger umweltfreundliche Lieferkette auf der Grundlage von Importen gegenüber der heimischen Produktion durchsetzen kann, bei der wir der Nachhaltigkeit Vorrang einräumen. Wir brauchen gleiche Wettbewerbsbedingungen, und deshalb ist die Frage der CBAM* wichtig.
In der EU haben wir erkannt, dass die Themen industrielle Wärme, Energieeffizienz und Elektrifizierung von zentraler Bedeutung sind. Und dies erfordert eine weiterhin fortschrittliche Energiepolitik, bei der Energieflexibilität, Kosteneffizienz und fossilfreie Energie die Leitprinzipien sind. Unser Wasserstoffprojekt, das weltweit einzigartig und das größte in Europa ist, hat viele wichtige Erkenntnisse geliefert, die wir gerne weiter verbreiten würden.
„Es erfordert eine weiterhin fortschrittliche Energiepolitik, bei der Energieflexibilität, Kosteneffizienz und fossilfreie Energie die Leitprinzipien sind."
* Im Jahr 2023 trat der CBAM (Carbon Border Adjustment Mechanism), was bedeutet, dass die Emissionen bestimmter kohlenstoffintensiver Waren, die aus Drittländern in die EU eingeführt werden, künftig mit einem Preis versehen werden.