Stefan Kooths und Ingrid Thörnqvist
Therese Larsson Hultin, Stefan Kooths, Ingrid Thörnqvist, Klaus Schäfer, Wolf von Rotberg und Sylvia Schwaag Serger

Moderatorin Therese Larsson Hultin mit den Diskussionsteilnehmern (v.l.n.r.): Stefan Kooths, Ingrid Thörnqvist, Klaus Schäfer, Wolf von Rotberg und Sylvia Schwaag Serger.

Stefan Kooths mit Moderatorin Therese Larsson Hultin

Stefan Kooths meinte, dass Angela Merkel im permanenten Krisenmodus handelt.

Sylvia Schwaag Serger

Dass Merkel kein großes Ego hat, ist ihr zugutegekommen, sagte Sylvia Schwaag Serger.

Klaus Schäfer

Klaus Schäfer bewertete die bisherige Umsetzung der Energiewende als großen Misserfolg.

Publikum während des Seminars zur Bundestagswahl in Visby

Viele interessierte Zuhörer hatten in das Zelt der Handelskammer in Visby gefunden.

Ingrid Thörnqvist

Ingrid Thörnqvist glaubt, dass Trump Angela Merkels Chancen auf eine Wiederwahl erhöht hat.

Wolf von Rotberg

Merkel wird nicht als Reformkanzlerin in die Geschichte eingehen, meinte Wolf von Rotberg.

Therese Larsson Hultin

Therese Larsson Hultin moderierte die Podiumsdiskussion.

Staffan Bohman

Staffan Bohman, Präsident der Deutsch-Schwedischen Handelskammer, begrüßte die Gäste.

Ralph-Georg Tischer

Nach dem Seminar lud Handelskammer-Geschäftsführer Ralph-Georg Tischer zum deutsch-schwedischen Get-Together mit Buffet und deutschen Weinen ein.

Zahlreiche Menschen im Gespräch miteinander beim Almedalen-Get-together der Handelskammer

Rund 240 Gäste vertieften in der Abendsonne von Visby alte Kontakte und knüpften neue.

Ein Teller mit Abendessen

Das Essen kam von Lidl und Niklas & Friends.

Beach-Fahnen vor dem Zelt der Deutsch-Schwedischen Handelskammer

Partner waren Siemens, SAP, E.ON, Lidl, Mercedes-Benz, Uniper und die deutsche Botschaft.

Expertenpanel in Almedalen: Merkel wird gewinnen – steht vor großen Aufgaben

10.07.2017

Angela Merkel wird auch nach der Bundestagswahl im September Bundeskanzlerin bleiben. Darüber waren sich die fünf Podiumsteilnehmer beim Almedalen-Seminar der Deutsch-Schwedischen Handelskammer vergangene Woche einig. Allerdings brauche Deutschland in mehreren Bereichen dringend Reformen.

Als die Moderatorin Therese Larsson Hultin von der schwedischen Tageszeitung Svenska Dagbladet  zu Beginn der Podiumsdiskussion über die deutsche Wirtschaftspolitik im Zeichen der anstehenden Bundestagswahl die Teilnehmer aus Forschung, Behörden, Wirtschaft und Medien fragte, ob diese glauben, dass Angela Merkel die Wahl am 24. September gewinnen wird, hoben alle auf der Bühne Anwesenden ohne zu zögern ihre Hand. Ebenso wie die meisten Profi-Kommentatoren bewerten sie die Chancen des SPD-Herausforderers Martin Schulz, die aktuellen Umfragen noch zu drehen und einen Machtwechsel im Herbst herbeizuführen, als sehr gering.

Eine Jamaika-Koalition zwischen CDU/CSU, FDP und Bündnis 90/Die Grünen schätzte das Podium der Diskussion, die im Rahmen der alljährlichen Almedalen-Woche in Visby auf Gotland stattfand, als am wahrscheinlichsten ein. Eine solche Allianz wäre ein Novum auf Bundesebene und schon die dritte Regierungskonstellation, der Merkel als Kanzlerin vorstehen würde. Wesentliche Kennzeichen ihres Politikstils seien aber gerade Flexibilität und Pragmatismus, so die Diskussionsteilnehmer.

Smarte Politikerin ohne großes Ego

„Sie ist dafür bekannt, immer in der Mitte zu bleiben und sich stets alle Möglichkeiten offen zu halten. Schauen Sie sich nur an, wie sie mit der Ehe für alle umgegangen ist, die für eine mögliche Jamaika-Koalition ein Konfliktpunkt gewesen wäre. Innerhalb von nur einer Woche hat sie das Thema aus dem Weg geräumt, bevor es im Wahlkampf für sie hätte gefährlich werden können und ohne dass sie selbst und ihre Pateifreunde ihre Meinung dazu ändern mussten. Sie agiert extrem smart“, sagte Klaus Schäfer, CEO des Energiekonzerns Uniper, während der Diskussion.

„Angela Merkel ist eine Pragmatikerin, die stets in der Mitte zwischen verschiedenen Positionen navigiert. Sie hat kein großes Ego und kaum persönliche Komplexe. Das ist ihr in ihrer Zeit als Bundeskanzlerin zugutegekommen“, meinte Sylvia Schwaag Serger, verantwortlich für internationale Strategien und Innovationspolitik bei der schwedischen Innovationsbehörde Vinnova.

Und Ingrid Thörnqvist, Auslandredakteurin beim Schwedischen Fernsehsender SVT, fügte hinzu: „Sie ist bereits seit so vielen Jahren an der Macht, ist extrem erfahren. Ich glaube, dass die Wahl Donald Trumps zum US-Präsidenten ihre Chancen nochmals erhöht hat. Viele denken momentan, dass wir in diesen Zeiten jemanden brauchen, der gute Nerven hat.“

Permanenter Krisenmodus

Aber Merkels flexible Art, ohne viele feste Prinzipien zu regieren, hat auch einige Probleme mit sich gebracht, meinten die Podiumsteilnehmer:

„Sie handelt im permanenten Krisenmodus. Deutschlands Agieren während der Eurokrise hat zum Beispiel sämtliche vorher geltenden Prinzipien über Bord geworfen. Die Energiewende und die damit verbundenen Veränderungen helfen dem Markt überhaupt nicht, wieder auf die Füße zu kommen. Das wird uns alles in Zukunft teuer zu stehen kommen“, sage Stefan Kooths, Leiter des Prognosezentrums im Kieler Institut für Weltwirtschaft (IfW).

„Merkel wird wohl nicht als große Reformkanzlerin in die Geschichte eingehen. Sie handelt meist reaktiv anstelle sich verschiedener Themen proaktiv anzunehmen. Ich bin mir nicht sicher, ob sie genauso erfolgreich wäre, wenn es derzeit großen Reformbedarf gäbe. Sie wird sich so lange nicht mit der einheimischen Wirtschaft und durchgreifenden Reformen beschäftigen, wie sie es nicht unbedingt muss“, meinte Wolf von Rotberg, der eine leitende Position im europäischen Strategie-Team der Deutschen Bank innehat.

Starke Wirtschaft aber kein nachhaltiges Wachstum

Noch profitiert Deutschland in großem Maße von den umfassenden Reformen der Agenda 2010, die Gerhard Schröders rot-grüne Bundesregierung Anfang der 2000er umgesetzt hat. Der Wirtschaft geht es blendend und der Arbeitsmarkt ist nunmehr extrem stark. In den letzten Jahren sind jährlich im Durchschnitt etwa eine halbe Million neue Arbeitsplätze entstanden. Das Geschäftsklima liegt derzeit auf einem Allzeithoch und für die nahe Zukunft ist, gemäß der Prognosen aus Stefan Kooths‘ Wirtschaftsausblick zu Beginn des Seminars, eine weiterhin positive Entwicklung zu erwarten.

„Aber Deutschland hat kein nachhaltiges Wachstum. Wir sind langsam aber sicher auf dem Weg in Richtung Heißlaufen, die Kapazitätsauslastung ist zu hoch und steigt weiter. Und die aktuellen Wachstumszahlen sind auch nur möglich, da wir in den letzten Jahren eine starke Einwanderung an Arbeitskräften zu verzeichnen hatten. Ohne diese hätten wir bereits die ersten Auswirkungen der demografischen Entwicklung mit einer alternden und schrumpfenden Bevölkerung zu spüren bekommen. Keine der großen Parteien nimmt die Demografiefrage derzeit wirklich ernst. Wir müssen unsere Erwartungen an den Wohlfahrtsstaat langfristig senken. Alle wissen doch zum Beispiel, dass wir das Rentenalter werden anheben müssen, doch stattdessen tun wir in letzter Zeit genau das Gegenteil. Man wird ermutigt, früher in Rente zu gehen, und die Parteien planen den Ausbau weiterer Sozialleistungen. Hier bedarf es endlich einer zukunftsorientierten Politik“, sagte Stefan Kooths.

Digitalisierung ermöglicht Jobs für Geringqualifizierte

Auch Klaus Schäfer warnte vor Problemen für die deutsche Wirtschaft im Zusammenhang mit der demografischen Entwicklung: „Viele hochqualifizierte Arbeitnehmer werden in den nächsten Jahren in Rente gehen. Diese können wir ohne extra Einwanderung nicht ersetzen. Gleichzeitig wird auch die Digitalisierung große Konsequenzen für den Arbeitsmarkt haben. Wahrscheinlich werden mit der zunehmenden Automatisierung viele geringqualifizierte Jobs verschwinden. Wir werden also an beiden Enden des Arbeitsmarktes große Probleme bekommen.“

Stefan Kooths teilte diese Einschätzung jedoch nicht: „Ich bin mir nicht so sicher, dass die Digitalisierung letztlich so disruptiv sein wird, wie viele sagen. Digitale Geräte werden ja immer einfacher zu bedienen. Schauen Sie sich nur ein Smartphone an – dahinter steckt unglaublich komplizierte Technik, aber jedes Kleinkind weiß damit umzugehen. Ich glaube, dass diese Entwicklung Geringqualifizierten in Zukunft ermöglichen wird, wieder leichter Arbeit zu finden. Außerdem werden wir in ein paar Jahren Arbeitskräftemangel haben – da kann man es sich nicht leisten, große Gruppen einfach auszuschließen.“

Bürokratie erschwert Innovation

Um die Umstellung hin zu einer digitalisierten Gesellschaft zu bewerkstelligen, muss Deutschland in die Zukunft investieren – zum Beispiel in den Breitbandausbau, wo man vor allem in ländlichen Gegenden noch hinterherhinkt – und auf innovative Ideen setzen, meinten die Podiumsteilnehmer. Momentan gebe es noch zu viele Regeln, die Innovationen behinderten.

„Derzeit findet zum Beispiel eine große Debatte darüber statt, ob man Arzt-Konsultationen via Internet zulassen sollte. Solche Diskussionen dauern lange och hemmen die Entwicklung in Deutschland, während andere Länder vorbeiziehen. Öffentliche Zuschüsse zu beantragen ist in Deutschland oft sehr bürokratisch und kann an gewisse Berufe oder die Mitgliedschaft in bestimmten Organisationen geknüpft sein. Außerdem muss man oft zuerst groß angelegte Tests durchführen, bevor man gewisse Innovationen auf den Markt bringen darf. Dies hat natürlich auch Vorteile, aber bei der schnellen Entwicklung von heute riskiert man, international abgehängt zu werden“, sagte Sylvia Schwaag Serger.

Reformbedarf gibt es zudem auf dem Energiemarkt. Klaus Schäfer von Uniper meinte, dass die bisherigen Anstrengungen in Sachen Energiewende zu einer verschlechterten Versorgungssicherheit und gestiegenen Preisen geführt hätten und dabei noch nicht einmal die Emissionen gesunken seien.

„So wie die Energiewende bisher umgesetzt wurde, ist sie ein großer Misserfolg. Die Reduzierung der Emissionen muss stärker in den Mittelpunkt rücken und die Kosten müssen breiter gestreut werden. Aber vor allem brauchen wir einen konkreten Plan und langfristige Spielregeln. Dies stand für die Politiker bisher nicht gerade im Fokus. Aber macht einen Plan, den ihr wirklich durchführen wollt, und setzt ihn frühzeitig um! Man kann unterschiedlicher Meinung dazu sein, was Macron gerade in Frankreich macht, aber er bringt die Dinge wenigstens direkt ins Rollen. Wenn man ein Unternehmen führt, kann man auch nicht einfach abwarten was passiert und dann von Tag zu Tag darauf reagieren – die gleiche Einstellung wünschte ich mir von unseren Politikern“, schloss Klaus Schäfer ab.