Bei Tyskland i dialog traf LO-Chef Karl-Petter Thorwaldsson u.a. auf Jürgen Siebel von Siemens (v.l.n.r.)

An der Diskussion nahmen auch Marita Ljung (li.), Tobias Krantz (2.v.r.) und Jan-Eric Sundgren (re.) teil

Das Zelt vor Gotlands Kunstmuseum war während der Diskussion nahezu bis auf den letzten Platz besetzt

Das deutsche Ausbildungssystem erhielt von den Diskussionsteilnehmern viel Lob. Aktuelle Probleme wurden aber auch angesprochen

„Lehrlinge sind für uns unverzichtbar“

03.07.2014

Wenn man den Kern des dualen deutschen Ausbildungssystems mit einem Wort zusammenfassen müsste, wäre es „Beschäftigungsfähigkeit“. Dies sagte Dr. Jürgen Siebel, Head of Professional Education bei der Siemens AG, bei Tyskland i dialog auf der Almedalenwoche in Visby. Dort wurde unter den Teilnehmern der Podiumsdiskussion intensiv die Frage diskutiert, ob Schweden für ein eigenes Lehrlingssystem bereit ist.

„Wenn ein junger Mensch bei Siemens in Deutschland eine Berufsausbildung absolviert hat, wird er oder sie anstellbar, nicht nur bei Siemens, sondern generell. Damit erzielt man große persönliche Freiheit“, meinte Jürgen Siebel.

Während der sogenannten Almedalenwoche, einer Woche mit mehreren Tausend Seminaren und Workshops zu gesellschaftlichen Fragen in Visby auf der Ostseeinsel Gotland, nahm Siebel am Forum der Deutsch-Schwedischen Handelskammer für wirtschaftspolitische Fragen, Tyskland i dialog, teil. Mit seiner deutschen Perspektive konnte er den übrigen Diskussionsteilnehmern und dem Publikum einen Einblick darin geben, wie ein etabliertes Ausbildungssystem funktioniert.

„Jedes Jahr bekommen wir bei Siemens 45.000 Bewerbungen auf unsere Ausbildungsplätze. Wir beschäftigen immer circa 10.000 Lehrlinge in unserem Unternehmen und von diesen bleiben nach Beendigung ihrer Ausbildung 75 Prozent bei uns. Lehrlinge sind für uns unverzichtbar, um die Wissenbasis innerhalb des Unternehmens aufrechtzuerhalten und weiterzuentwickeln. Es wäre gar nicht möglich, alle freien Plätze nur mit Ingenieuren zu füllen, die ein Hochschulstudium absolviert haben. Ich weiß gar nicht, wie andere Unternehmen ohne Lehrlinge auskommen können“, sagte Jürgen Siebel.

Schwedische Unternehmen setzen auf eigene Ausbildungsgänge

Der Bedeutung der Ausbildung junger Menschen und ihrer Einführung in die Unternehmen ist man sich selbstverständlich auch in der schwedischen Wirtschaft bewusst. Während man noch darauf wartet, dass von zentraler Stelle ein allgemeines Lehrlingssystem eingeführt wird, haben einige Unternehmen in den vergangenen Jahren eigene Modelle gestartet. Eines davon ist„Volvosteget“, eine einjährige bezahlte Ausbildung innerhalb des Volvokonzerns für 18-22-Jährige, in welcher Theorie und Praxis verbunden werden.

„Das Interesse an den Ausbildungsplätzen im Rahmen von Volvosteget ist sehr groß. Wir bekommen fast zehnmal so viele Bewerbungen wie wir Plätze haben“, sagte Jan-Eric Sundgren, Senior Advisor der Volvo-Konzernleitung, während der Diskussion.

Für Volvo ist es selbstverständlich, dass sich Unternehmen selbst engagieren müssen, um zukünftige Mitarbeiter zu finden und auszubilden. „Wir müssen die Produktion in Schweden halten, deshalb sollten wir auf ein Lehrlingssystem setzen. Das ist eine Investition in die Zukunft“, erklärte Jan-Eric Sundgren.

Keine Lehrlingstradition in Schweden

Wenn die Lösung jedoch so einfach und naheliegend ist, wieso gibt es in Schweden dann immer noch kein groß angelegtes Lehrlingssystem? Die Diskussionsteilnehmer waren sich einig, dass es daran liegt, dass diese Form der Ausbildung in Schweden keine Tradition hat:

„Wir haben dies nicht in unserer Kultur. Sehr lange war die allgemeine Einstellung, dass das staatliche Bildungssystem für jede Art von Ausbildung zuständig sein müsse. Aber das Bildungssystem kann eben nicht alles lösen“, sagte Marita Ljung, Staatssekretärin im schwedischen Wirtschaftsministerium.

„Der Staat hat sich lange Zeit um alle Ausbildungen in Schweden gekümmert und alle waren sich darin einig, dass dies gut so sei. Aber wir müssen dieses System jetzt ändern. Die Tatsache, dass viele große Unternehmen eigene Ausbildungsgänge starten, ist ein deutliches Zeichen dafür. Gleichzeitig dürfen die Unternehmen nicht zweimal zahlen müssen - für die Ausbildung ihrer Lehrlinge und via Steuern für das staatliche System“, meinte Tobias Krantz, Chef für Ausbildung, Forschung und Innovation beim schwedischen Wirtschaftsverband Svenskt Näringsliv.

Gewerkschaft will über Lehrlinge verhandeln

Tobias Krantz propagierte für eine Steuersenkung für Unternehmen, wenn diese künftig stärker in die Ausbildung von Lehrlingen eingebunden werden sollen. Der Vorsitzende des größten schwedischen Gewerkschaftsbunds LO, Karl-Petter Thorwaldsson, war jedoch anderer Meinung. Er sprach sich bei Tyskland i dialog für direkte Verhandlungen zwischen Gewerkschaften und Arbeitgebern aus, um das Problem der Jugendarbeitslosigkeit gemeinsam anzupacken.

„In Schweden haben wir viele gute Programme, um Jugendliche in Arbeit zu bekommen, jedoch keinen, der diese organisiert. Wenn wir aber gemeinsam die Verantwortung für ein System übernehmen, haben wir sehr gute Chancen, damit auch erfolgreich sein zu können. Schauen Sie sich nur die ,Teknikcolleges' an, die wirklich sehr gut funktionieren. Wir können sehr viel von Deutschland lernen, was das Ausbildungssystem betrifft. Dies hier einzuführen, würde allerdings gewaltige Investitionen erfordern und dafür müssen wir gemeinsam eine Lösung finden“, sagte Karl-Petter Thorwaldsson.

Risse im deutschen System

Deutschlands duales Ausbildungssystem und das Engagement deutscher Unternehmen für Jugendliche wurde während der Diskussion mehrfach gelobt. Aber selbst das deutsche System funktioniert bekanntlich nicht perfekt. Während der vergangenen Jahre ist die Zahl der abgeschlossenen Ausbildungsverträge deutlich gesunken und immer mehr junge Deutsche beginnen stattdessen ein Studium. Viele verbinden eine Berufsausbildung inzwischen mit niedrigem Status, schlechten Karrieremöglichkeiten und geringem Einkommen.

Jürgen Siebel von Siemens zeigte sich besorgt über diese Entwicklung. Für ihn ist es wichtig, dass das Bildungssystem für alle durchlässig bleibt. Ein gutes Beispiel dafür sind sogenannte Duale Studiengänge, die sich in Deutschland immer größerer Beliebtheit erfreuen und auch von Siemens angeboten werden. In solchen Studiengängen wird ein Hochschulstudium mit einer Berufsausbildung sowie einer Anstellung bei dem jeweiligen Unternehmen verknüpft. Diejenigen, die das Studium meistern, sind hochqualifiziert und haben sehr gute Chancen, auch nach der Ausbildung weiterhin beim Unternehmen bleiben zu können.

„Für einen jungen Menschen bedeutet das fantastische Möglichkeiten“, sagte Jürgen Siebel.