Prof. Hubert Fromlet kommentiert für die Deutsch-Schwedische Handelskammer

Sommerreflektionen: Neue Chancen für Europa

26.06.2017

Natürlich wollte kein europafreundlicher Mensch den Brexit. Als direkte Folge dieses Rückschritts haben jedoch die EU insgesamt und auch die meisten einzelnen EU-Mitgliedsländer angefangen, sich konkretere Gedanken über die Zukunft unseres Kontinents zu machen.

Es gibt zweifelsohne viele Zukunftsfragen, die die EU (exklusive Großbritannien) schleunigst angehen sollte. Drei der wichtigsten Themen sollen hier kurz angesprochen werden. Dazu gehören sowohl aus Sicht der Politik als auch der Wirtschaft:

  • Chancen und Risiken der Digitalisierung
  • eine strategische Um- oder Neuorientierung gegenüber China
  • eine zukunftsorientierte und gleichzeitig hilfreiche Afrika-Politik

Leser dieser Zeilen werden sich vielleicht fragen, warum sich ein Ökonom auf ein politisches Thema einlässt. Die Antwort nimmt sich einfach aus: Politik und Wirtschaftsentwicklung lassen sich nunmehr bei der Erstellung von Prognosen (meist) nicht mehr voneinander trennen. Diese Tatsache ist allerdings bei Weitem noch nicht zu allen Produzenten und Konsumenten von Prognosen vorgedrungen.

Ähnliches kann auch über die immer engeren Zusammenhänge zwischen Ausbildung, Innovationen, Produkt- und Geschäftsentwicklung im Unternehmensbereich einerseits sowie dem makroökonomischen Wirtschaftswachstum (BIP-Wachstum) andererseits gesagt werden. Auch mit diesen Zusammenhängen sollten sich Mikro- und Makroökonomen, Zukunftsforscher, Politiker und auch Entscheidungsträger in der Wirtschaft immer mehr anfreunden – wenn möglich auch in der Praxis.

Digitalisierung noch ernster nehmen

Zurück zu den drei oben genannten Zukunftsfragen. Der immer stärkere globale Trend zur Digitalisierung sollte sowohl von der Politik als auch von der Unternehmerschaft und den Gewerkschaften unseres Kontinents noch ernster genommen werden. Viele interessante, neuartige Produktentwicklungen werden in den nächsten Jahren ihren Weg auf den Markt finden. Hierzu sind jedoch bessere Kenntnisse und Weiterentwicklungen auf allen Ebenen angebracht – auch um den Risiken besser entgegentreten zu können.

Die letztere Zielsetzung wird aber ohne grenzüberschreitende Forschung und koordinierte Maßnahmen auch innerhalb der EU nicht zu erreichen sein. Hier kommen offensichtlich enorme Herausforderungen auf die Union, ihre Mitgliedsländer und einzelne Unternehmen zu. Diese Herausforderungen müssen unbedingt angenommen werden. Dies betrifft zum Beispiel in hohem Maße die sogenannten „Outsiders” am Arbeitsmarkt mit schwachem beruflichem Qualifikationsniveau, von denen viele einem verstärkten Verdrängungsprozess ausgesetzt sein werden.

Gleichzeitig wird deutlich verbesserte Cybersicherheit auf allen Ebenen immer wichtiger. Hier haben die EU in Brüssel und die einzelnen EU-Länder noch viel Arbeit vor sich, aber auch auf Mikroebene die Unternehmen selbst.

Mehr Kooperation mit China

Weiterhin sollte die EU die Chance nutzen, mit China noch besser ins Gespräch zu kommen und gleichzeitig mehr Kooperation in wichtigen Bereichen wie Handel, Investitionen, Forschung, Umwelt, Energietechnik, Gesundheitswesen, Studentenaustausch usw. anzustreben.

Die EU braucht in einer langen Reihe von wichtigen Zukunftsfeldern eine deutlichere Kooperationsstrategie für China. Viele europäische Unternehmen werden sogar ihre Geschäftsmodelle für China ändern müssen, auch als Folge der nicht unbeachtlichen chinesischen Reformpolitik. Daran sollte zielstrebig gearbeitet werden, wobei eine deutliche europäische China-Politik derartige betriebspolitische Umstellungsprozesse erleichtern würde. Umgekehrt würde China zukünftig sicherlich lieber mit einer fundamental stärkeren EU zusammenarbeiten als die Lage momentan hergibt.

Weg von traditioneller Afrika-Politik

Schließlich soll hier noch als drittes Beispiel eine in Zukunft zielstrebige Afrika-Politik seitens der EU und ihrer Mitgliedsländer genannt werden, das heißt weg von traditioneller Entwicklungspolitik und hin zu langfristig wachstumsfördernder Hilfestellung, wie zuletzt von der deutschen Bundeskanzlerin Angela Merkel deutlich angesprochen. An der Konkretisierung einer solchen politischen Umorientierung auch gegenüber anderen Kontinenten und Entwicklungsländern dürfte nicht zuletzt der neue französische Präsident Macron interessiert sein – aber auch kleinere Länder wie beispielsweise Schweden.

Höheres und stabileres Wachstum des BIP in Afrika wäre gut für die einzelnen Länder dieses bislang wirtschaftlich rückständigen Kontinents. Neue Marktchancen könnten sich ergeben, nicht zuletzt für europäische Unternehmen. Nachhaltig höheres BIP-Wachstum könnte auch eine wichtige soziale Hilfestellung für potentielle Migranten im eigenen Land bedeuten, hoffentlich nicht nur theoretisch. Dazu wäre jedoch ein langjähriger Kraftakt seitens der EU-Länder und auch der seitens der einzelnen afrikanischen Länder erforderlich.

Insgesamt zeichnen sich derzeit recht viele Bereiche ab, in denen die EU in den nächsten fünf bis zehn Jahren Punkte sammeln könnte – in Drittländern, aber auch innerhalb des eigenen großen Wirtschaftsraums. Schon heute tun sich viele Aktionsfelder auf, wo positives Zukunftsdenken und Handeln mit großer Wahrscheinlichkeit zu stärkerem Wachstum in den 27 Post-Brexit-Ländern führen könnte.

Europa sollte daher schnell aus seiner jahrelangen Passivität erwachen. Deutschland und Schweden könnten – und sollten – in dem hoffentlich kommenden, neugeborenen Strategie- und Reformprozess eine gewichtige Rolle spielen, auch gemeinsam. Endlich hat die EU neue Chancen, mit Zuversicht in die Zukunft blicken zu können. Keiner weiß jedoch, wie lange sich diese Chancen noch erfolgversprechend bieten.

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Hubert Fromlet

Affiliierter Professor an der schwedischen Linné-Universität und Senior Advisor der Deutsch-Schwedischen Handelskammer

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